Im Kampf gegen Steuerflucht will die Europäische Union grosse Konzerne künftig zu öffentlichen Erklärungen zwingen, in welchem Land sie wie viel an den Fiskus zahlen. Nach fünf Jahren Streit einigten sich Vertreter der EU-Staaten und des Europaparlaments am Dienstagabend auf die Regeln des sogenannten Country-by-Country-Reporting. Die Beteiligten sprachen von einem Meilenstein für mehr Steuergerechtigkeit. Oxfam und Transparency zeigten sich jedoch enttäuscht. Sie halten den Kompromiss für zahnlos.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Einige grosse Unternehmen nutzen Ableger und komplizierte Firmengeflechte, um Gewinne in Länder mit möglichst niedrigen Steuersätzen zu verschieben und so Steuern zu vermeiden. Das geschieht innerhalb der EU, aber auch weltweit.

Es geht um 50 Milliarden Euro im Jahr

Schätzungen zufolge verlören die EU-Staaten durch Steuervermeidung grosser Firmen jährlich mehr als 50 Milliarden Euro, erklärte der portugiesische Wirtschaftsminister Pedro Siza Vieira. Sein Land hat derzeit den Vorsitz der EU-Staaten und vermittelte den Kompromiss. In der schweren Zeit nach der Pandemie sei Transparenz wichtiger denn je. «Es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass alle wirtschaftlichen Akteure ihren fairen Anteil zur wirtschaftlichen Erholung beitragen», betonte der Minister.

Die Country-by-Country-Regeln sollen für multinationale Unternehmen mit weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz gelten. In einem länderbezogenen Bericht sollen sie unter anderem die Nettoumsätze, Gewinn oder Verlust vor Steuern und die tatsächlich gezahlten Ertragssteuern veröffentlichen. Auch Mitarbeiterzahl und Tochterfirmen sollen transparent werden.

«Steuerdumping wird für alle sichtbar»

Die Daten sollen für alle EU-Staaten aufgeschlüsselt werden. Die Pflicht gilt zudem für Länder auf der sogenannten Schwarzen Liste der Steueroasen sowie für Staaten, die mindestens zwei Jahre hintereinander auf der sogenannten Grauen Liste stehen, derzeit zum Beispiel die Türkei.

Der deutsche Grünen-Finanzexperte Sven Giegold zeigte sich sicher, dass die Regeln «ein scharfes Schwert gegen Steuervermeidung» seien: «Wenn grosse Unternehmen ihre Gewinne und gezahlten Steuern pro Geschäftsland offenlegen müssen, wird Steuerdumping jedes Jahr für alle sichtbar.» Das werde dem Ruf der Unternehmen schaden. Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken betonte: «Die EU übernimmt mit diesem Beschluss eine globale Vorreiterrolle und setzt Massstäbe im Bereich der Unternehmenstransparenz und Steuergerechtigkeit.»

Davon ist die Organisation Transparency International jedoch nicht überzeugt. Der jetzt vereinbarte Gesetzestext lasse grosse Schlupflöcher für die Unternehmen. Hauptkritikpunkt: Die Pflicht zur Offenlegung gilt nur in EU-Staaten und den Ländern auf den Listen der Steueroasen, aber eben nicht weltweit. Transparency forderte die EU-Staaten und das Parlament auf, dem Kompromiss die Zustimmung zu verweigern. Denn beide Institutionen müssen noch endgültig über die Vereinbarung abstimmen. Eigentlich gilt das als Formsache.

«Man kann nie alles erreichen, was man wollte»

Die EU-Kommission hatte schon 2016 den Vorschlag zur Änderung der Rechnungslegung gemacht. Das Europaparlament legte seine Verhandlungsposition 2017 fest. Die EU-Staaten akzeptierten das Country-by-Country-Reporting aber erst in diesem Frühjahr mit der nötigen Mehrheit. Deutschland enthielt sich. In den Verhandlungen mit dem Europaparlament ging es um die Details des Plans.

EU-Finanzkommissar Paolo Gentiloni hatte schon am Dienstagvormittag in Erwartung einer Einigung gesagt: «Es ist ein Schritt voran, man kann natürlich nie alles erreichen, was man wollte.»

(awp/gku)