Meine kleine Kolumne «Klima: Manch ein Auto schneidet besser ab als das Velo und der ÖV» brachte eine grosse Diskussion in den «sozialen» Medien. Das freut mich. Deshalb greife ich gerne einige strittige Aspekte auf.

Grundsätzlich ist festzuhalten: Verkehr belastet die Allgemeinheit durch Umwelt-, Unfall- und Lärmschäden sowie durch den Verbrauch öffentlicher Finanzmittel. Solange die Verkehrsnutzer diese «externen Kosten» nicht selbst tragen, fahren sie zu viel und fordern einen überrissenen Ausbau ihrer Verkehrsträger. Das gilt gleichermassen für Auto, ÖV und Velo.

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Das Bundesamt für Raumentwicklung ARE schätzt die Umwelt-, Unfall- und Lärmschäden akribisch. Wie ich schon vielfach vorgerechnet habe, belaufen sich die externen Kosten des Veloverkehrs gemäss ARE-Daten inklusive der ungedeckten Infrastrukturkosten und der – nach meiner Meinung überschätzten – Gesundheitsnutzen des Trampelns pro Personenkilometer auf etwa 22 Rappen. Sie sind damit rund dreimal so hoch wie diejenigen des Autoverkehrs. Grund dafür sind die sehr hohen Unfall- und Infrastrukturkosten. Hingegen schätzt das ARE die Klimabelastung des Velos auf null.

Wenn es um den Ausbau des Veloverkehrs geht, zählen seine Kosten pro zusätzlich gefahrenen Kilometer. Diese sind noch viel höher. Wenn die neue Infrastruktur vor allem bei gutem Wetter genutzt wird, sind die Kosten pro Personenkilometer riesig. Wenn Velos aber vermehrt bei Regen, Schnee und nachts sowie von älteren Leuten benutzt werden, explodieren die Unfallkosten. Und wenn Menschen viel Velo fahren, kann es sogar ungesund werden. Zudem steigen vor allem Fussgänger und ÖV-Benützer aufs Velo um.

Der Autor

Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Forschungsdirektor von Crema – Center for Research in Economics, Management and the Arts.

Ernährungsverhalten der Velofahrer

Die ARE-Daten berücksichtigen alles Erdenkliche, also auch Klima, vor- und nachgelagerte Prozesse, Biodiversität, Trennwirkung durch den Autoverkehr in den Städten etc., und sie rechnen die Unfallkosten nach Schuld zu. Ich gebe gerne zu, dass man über viele Details streiten kann, etwa die Bewertung des Landverbrauchs. Sie kehren jedoch die negative Gesamtbilanz des Velos gegenüber dem Auto keinesfalls um.

Vielmehr gibt es einen grossen systematischen Fehler, ohne den das Velo hinsichtlich Klima deutlich schlechter abschneidet: Ignoriert wird in den ARE-Daten und in der Verkehrsdiskussion ganz generell, dass die Fahrerinnen und Fahrer für jede Fahrstrecke zusätzlich Energie aufwenden und dafür mehr essen müssen und so angesichts des grossen CO2-Fussabdrucks der Nahrungsmittelproduktion auch mehr CO2 verursachen. 

Ein Vergleich mit dem Auto hängt stark vom Ernährungsverhalten der Velofahrer sowie vom Verbrauch und der Besetzung der Autos ab. Im Durchschnitt sieht es etwa so aus: In der Schweiz verursacht die Ernährung gemäss WWF täglich gut 6 Kilogramm CO2 pro Einwohner. Da diese täglich etwa 2500 Kcal Energie aufnehmen, verursachen sie also 2,4 Gramm CO2 pro Kcal. Beim Velofahren verbrauchen sie pro Kilometer etwa 25 Kcal Energie zusätzlich, verursachen also 60 Gramm CO2 pro Kilometer zusätzlich. 

CO2-Ausstoss der Velofahrer beträchtlich

Ein sparsames 5-Liter-Auto emittiert hingegen durch seinen Benzinverbrauch etwa 120 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer und, wenn es mit zwei Personen besetzt ist, so wie das Velo 60 Gramm CO2 pro Personenkilometer. Nun kann man argumentieren, dass beim Auto für Benzinherstellung und -transport noch 30 Prozent CO2 zusätzlich anfallen. Tatsächlich aber ist das in den ARE-Daten unter den vor- und nachgelagerten Prozessen schon berücksichtigt. 

Oft wurde eingewendet, dass Velofahrer dafür sonst weniger Sport machen, und so kein zusätzliches CO2 anfällt. Ja. Aber dann darf man dem Velofahren erst recht keinen Gesundheitsnutzen zurechnen, wodurch seine Gesamtbilanz noch schlechter wird. Umgekehrt könnte man argumentieren, dass manche verschwitzte Velopendler am Arbeitsort noch einmal zusätzlich duschen und so weitere etwa 400 Gramm CO2 verursachen.

Der Einwand, dass das dank Elektrovelos nicht mehr nötig ist und damit auch die CO2-Bilanz anders aussieht, ist richtig. Aber mit Elektrovelos steigen die Unfallkosten noch weiter an und die Gesamtbilanz wird noch schlechter.  

Unabhängig davon, wie man im Detail rechnet, bleibt der CO2-Ausstoss von Velofahrern beträchtlich und ihre gesamten externen Kosten pro Personenkilometer sehr gross. Das bedeutet natürlich nicht, dass nun aller Verkehr per Auto erfolgen soll. Es heisst aber, dass wir endlich Kostenwahrheit für Auto, ÖV und Velo brauchen. Die Verkehrsnutzerinnen und -nutzer sollen ihre Kosten alle selbst bezahlen. Denn ganz gleich, wie viel Spass das Velo-, Auto- und ÖV-Fahren macht: Es gibt keinen Grund, es auf Kosten der Gesellschaft zu tun.

Dank Kostenwahrheit würde die Umwelt profitieren und der Verkehr vernünftiger erfolgen, etwa in der Stadt mit viel kleineren Autos. Und der Staat hätte beträchtliche Zusatzeinnahmen und Minderausgaben, dank denen er zum Beispiel die Mehrwertsteuer um zwei Drittel senken könnte.