Die Schweiz ist anscheinend in Partylaune. Jedenfalls konnten wir die letzten Wochen regelmässig nachlesen, wo die heissesten Feten gefeiert wurden. Die Berichterstattung widmete sich dabei leider nicht angesagten DJs und Musikerinnen, sondern den Covid-19-Neuinfektionen und dem Debakel um falsche Personendaten von Micky Maus und Co.

Isabel Martínez arbeitet an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, ein Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit liegt auf Verteilungsfragen. Die promovierte Ökonomin gehört dem internationalen Forschungsnetzwerk des Volkswirtschaftlers Thomas Piketty an, das eine Weltungleichheitsdatenbank aufbaut: WID.world.

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Im Zentrum die Frage: Wie gefährlich ist es, dass Clubs offen sind? Schnell war die Schweiz sich einig: Die Ansteckungsgefahr sei gross, sehr gross sogar, wenn man in einem Club dicht an dicht tanzt oder bei lauter Musik seinem Gegenüber ins Ohr schreit. Die Medien wurden nicht müde, aus jeder Infektion in einem Club einen «Superspreader Event» zu machen. Über Nacht wurden Bars und Clubs zu Sündenböcken der Nation. Das meist junge Partyvolk, das es in Sommernächten in Scharen in die Ausgehmeilen zieht, wurde zum Symbol für verantwortungslosen Egoismus inmitten einer Gesellschaft, die sich gerade erst solidarisch zu Hause eingesperrt hatte.

Die korrigierten Zahlen des BAG zu den Ansteckungsquellen haben wenig an dieser Sicht geändert. Zudem ist die publizierte Statistik nicht sonderlich belastbar, um gesicherte Aussagen zu machen – schon nur, weil der Ansteckungsort in 40 Prozent der Fälle unklar bleibt.

Kein Wahlrecht, aber Eigenverantwortung

Vielleicht sind offene Bars und Clubs aus epidemiologischer Sicht tatsächlich ein unhaltbares Problem. In diesem Fall müssten sie aber leider geschlossen und mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Es geht nicht auf, wenn auf der einen Seite die Politik Bars und Clubs de facto zum Öffnen zwingt, während die breite Öffentlichkeit auf der anderen Seite kritisiert, dass Menschen die Angebote der geöffneten Bars und Clubs tatsächlich nutzen.

Es ist auch unlogisch, von jungen Menschen, denen wir zum Teil das Wahl- und Stimmrecht absprechen, zu verlangen, dass sie bitte so viel Eigenverantwortung an den Tag legen, nicht mit ihren Freunden in einem geöffneten Club zu tanzen. Eine Studie renommierter Ökonomen aus den USA zeigt zudem: Lockerungen der Covid- 19-Massnahmen verbreiten fälschlicherweise ein Gefühl von Sicherheit.

«Eine Swiss mag systemrelevant sein, doch Kulturangebote, belebte Plätze und, ja, ein buntes Nachtleben haben ebenso eine Berechtigung.»

Zu Recht greifen wir betroffenen Branchen unter die Arme und versuchen, Entlassungen und Konkurse abzuwenden. Eine Swiss mag systemrelevant sein, doch Kulturangebote, belebte Plätze und, ja, ein buntes Nachtleben haben ebenso eine Berechtigung. Sie bereichern den Alltag, bereiten Freude und machen Städte zu attraktiven Lebensräumen. Natürlich wäre es daher schade, wenn Bars und Clubs schliessen müssten. Aber noch trauriger fände ich es, wenn diese Institutionen nach der Pandemie ganz verschwunden wären.

Anstatt bestimmte Events an den Pranger zu stellen, sollten jetzt brauchbare Statistiken zu den Ansteckungen erstellt werden. Daten dazu müssten aus dem Contact-Tracing längst vorliegen. Damit liessen sich Problemherde erkennen und entsprechend liesse sich handeln. Sonst ist der nächste Sündenbock bestimmt nicht weit. Ich tippe auf Fussballspiele.