Abarbeiten dröger Traktate? Stilles abnicken? An der Delegiertenversammlung von Raiffeisen am Samstag dürfte das anders sein. Bei der Genossenschaftsbank ist gehörig Dampf im Kessel: Am Donnerstag hat die Finanzmarktaufsicht (Finma) ihren Bericht veröffentlicht, Pierin Vincenz ist seit wenigen Tagen auf freiem Fuss, CEO Patrick Gisel angeschlagen und der Verwaltungsrat, der sich trotz Versagens eine 40-prozentige Lohnerhöhung genehmigte, hat ein Legitimationsproblem. Doch wie geht es weiter? Folgende fünf Fragen sollen das Durcheinander an Verfahren, Untersuchungen, Anschuldigungen und Gerüchten entwirren.

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1. Was droht den Verwaltungsräten?

Die Verwaltungsräte könnten an der Delegiertenversammlung eine Klatsche einfangen. Inmitten der Krise gönnten sie sich für 2017 eine Lohnerhöhung um 40 Prozent. Zurückschrauben lässt sich das kaum. Trotzdem wollen einzelne Delegierte am Samstag noch einmal darüber debattieren.

Zudem droht ihnen, für das Geschäftsjahr 2017 nicht entlastet zu werden. Zwar wollten mehrere Regionalverbände die Abstimmung zur Décharge erst auf die DV im Herbst verschieben – weil dann der Bericht der Finanzmarktaufsicht (Finma) vorliegen würde. Nun ist er am Donnerstag aber erschienen. Und er stellt den Verwaltungsräten kein gutes Zeugnis aus: «Der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz hat seine Funktion als Oberleitungs-, Aufsichts- und Kontrollorgan der Bank insbesondere im Zeitraum von 2012 bis 2015 ungenügend wahrgenommen», heisst es darin. Und: Er habe die Oberaufsicht über den CEO vernachlässigt und die Einhaltung interner Regeln nicht durchgesetzt. Auf gut Deutsch: Der Verwaltungsrat hat komplett versagt. Gut möglich also, dass die Abstimmung nun doch stattfindet und die Delegierten die Verwaltungsräte abstrafen, indem sie ihnen die Entlastung verweigern. Gegen VR-Mitglieder könnte dann auf Schadenersatz geklagt werden.  

2. Welche Untersuchungen und Verfahren laufen noch?

Abgeschlossen ist nun das Enforcement-Verfahren der Finma gegen die Raiffeisen Schweiz. Allerdings prüft die Aufsicht weiterhin, ob Raiffeisen die Corporate Governance verbessert, ihre Beteiligungsstruktur entflechtet und sich der Verwaltungsrat erneuert sowie fachlich verstärkt. Die Finma verlangt, dass mindestens zwei Mitglieder angemessene Erfahrung im Bankwesen mitbringen. Ein Verwaltungsrat muss zudem Fachkenntnisse im Bereich Compliance haben.

Raiffeisen hat im März selbst eine Untersuchung angekündigt, die sämtliche Geschehnisse aufklären soll. Wie lange sie noch dauert, ist unklar. Möglicherweise bringt sie noch Ungereimtheiten aus den Beteiligungen der Aduno-Gruppe ans Licht – das Finma-Verfahren konzentrierte sich nämlich nur auf die Beteiligungen der Bank an Investnet, KMU Capital und Investnet Holding. Die Finma hat bereits angekündigt, je nach ausgang der Bankinternen-Untersuchung weitere Verfahren gegen Einzelpersonen zu eröffnen.

Noch immer untersucht die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen Pierin Vincenz und den früheren Aduno-Chef Beat Stocker wegen Verdacht auf ungetreuer Geschäftsbesorgung. Der Ex-Raiffeisen-Chef soll sich bei der Firmenübernahme der Kreditkartengesellschaft Aduno und der Investmentgesellschaft Investnet persönlich bereichert haben. Vincenz bestreitet jedoch alle Vorwürfe. Die Untersuchung könnte in nächster Zeit zu einem Ende kommen. Sie sei weit fortgeschritten, teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit.

Beat Stocker

Ex-Aduno-Chef Beat Stocker.

Quelle: Markus Lamprecht

3. Was könnte auf Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz noch zukommen?

Vincenz ist auf freiem Fuss, und das wird er wohl auch bleiben. Über 100 Tage hat er in der Untersuchungshaft bereits abgesessen. Diese würden im Fall einer Haftstrafe angerechnet. In erster Linie droht Vincenz eine Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft muss nun aber beweisen, dass Vincenz nicht nur Verhaltensregeln, sondern auch Recht gebrochen hat. Eine schwierige Aufgabe.

Und Vincenz wird vehement dagegen kämpfen, verkündete er doch kurz nach seiner Freilassung: «Die im Rahmen des Strafverfahrens gegen mich erhobenen Vorwürfe bestreite ich nach wie vor und ich werde mich mit allen Mitteln dagegen wehren.» Für Vincenz geht es primär darum, mit einem Freispruch ein Stück seiner Reputation zurückzugewinnen.

Ob die noch zu Retten ist? Jüngst wurde bekannt, dass er 1.-Klasse-Flugreisen nach Asien mit der Raiffeisen-Kreditkarte bezahlt haben soll – obwohl sich ein Zusammenhang zu der Genossenschaftsbank kaum erschliesse, wie der «Tages Anzeiger» schreibt. Auch seien hohe Pauschalspesen für Autos aufgefallen, für die es keine schlüssige Erklärung gebe. Und in seinem Privathaus soll er die Informatik ebenfalls als Spesen deklariert haben.  

4. Kann sich Raiffeisen-Chef Patrik Gisel halten?

Bisher unternahm Raiffeisen alles, um ihren Chef zu halten. Doch ist er der richtige für einen Neuanfang? Gisel war jahrelang Vincenz’ linke Hand. Zwar hat die Finma nichts gefunden, was ein aufsichtsrechtliches Verfahren rechtfertigen würde. Sie wird aber die Untersuchung von Raiffeisen genau unter die Lupe nehmen und allenfalls ein Verfahren eröffnen.

Patrik Gisel: Der Raiffeisen-Chef zieht ein kritisches Fazit

Patrik Gisel war jahrelang Vincenz’ linke Hand.

Quelle: Keystone

Unterdessen bröckelt aber auch der interne Rückhalt. In einem Schreiben, das der «Blick» veröffentlichte, geht Verwaltungsratspräsident der Raiffeisenbank Horw Marc Kaeslin mit dem CEO hart ins Gericht: Die Geschäftsleitung um Patrik Gisel falle durch «unglaubliche Arroganz und unzählige Spitzkehren» auf. Nicht nur Vincenz, sondern auch andere Mitglieder der Geschäftsleitung von Raiffeisen Schweiz hätten eine «Verantwortung für die himmeltraurige Entwicklung bei Raiffeisen Schweiz». Kaeslin fordert: «Alle Verantwortlichen aus der Ära Vincenz müssen weg, auch der heutige CEO Gisel. Diese Personen können die Gruppe nicht glaubwürdig in die Zukunft führen.» 

Gefährlich werden könnte Gisel auch sein ehemaliger Mentor Vincenz. Offiziell will sich dieser in nächster Zeit zwar nicht äussern. Dennoch ist es möglich, dass er Gisel als Mitwisser anschwärzt.    

5. Hat das Genossenschaftsmodell ausgedient?

Der Finma wäre es am liebsten, wenn sich zumindest Raiffeisen Schweiz in eine Aktiengesellschaft wandelt. So gälte für die Genossenschaftsbank dieselben Spielregeln wie für die anderen Grossbanken; entsprechend einfacher wäre die Aufsicht. Doch dagegen wehrten sich die Genossenschafter bisher entschieden.

Nun aber hat die Finma im Bericht vom Donnerstag Raiffeisen Schweiz dazu verpflichtet, eine Umwandlung in eine AG zu prüfen. Will Raiffeisen ihre Gesellschaftsform behalten, muss sie aufzeigen, wie sie die Probleme auch so lösen kann. Experten zweifeln daran. Wirtschaftsrechtsexperte Peter V. Kunz kritisiert schon lange, dass die Gesellschaftsform der Raiffeisen für eine Bank nicht funktioniere. Es fehle die disziplinierende Wirkung durch eine Börse. Die Idee, dass sich Raiffeisen Schweiz in den nächsten Jahren zur AG wandelt, während die regionalen Bankfilialen Genossenschaften bleiben, ist nun auch innerhalb der Bank kein Tabu mehr.