Produktiver, aber weniger teamfähig», «Google kürzt den Angestellten im Homeoffice wegen sinkender Produkti vität die Gehälter» und «Homeoffice sollte nicht Regelfall werden» – anderthalb Jahre nach Beginn der Covid-19-Pandemie sind die Haltungen von Unternehmen bei der Frage, wo und in welchem Umfang ihre angestellten Menschen arbeiten sollen, genauso gespalten wie die individuellen Anpassungen und Verhaltensweisen.

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Online-Meetings bedeuten: Zusätzliche Zeit floss dorthin statt ins Nachdenken und ins Formulieren smarter Ideen.
 

Michael Gibbs, Forscher von der University of Chicago Booth School of Business, kam in Zusammenarbeit mit Forschern von der University of Essex bei der Analyse von Daten zum Verhalten von Angestellten aus der IT-Branche zum Ergebnis, dass die vielen Angestellten zu Hause zwar zeitlich mehr und länger arbeiten – doch diesem Zusatzinput steht kein entsprechender Output gegenüber. Denn die entscheidende Produktivität pro Stunde ist gesunken. Damit lasse sich auch erklären, so Gibbs, warum bisher unterschiedliche Studienergebnisse – zeitlicher Mehraufwand, aber es schaut nicht mehr dabei heraus – einfach zwei Seiten der gleichen Medaille sind.

Ein Drittel arbeitet richtig mit

Die Mikroanalyse der Zeitnutzung bei hybriden Arbeitsformen und Home office zeigte, dass die Arbeit im Homeoffice für viele Menschen weniger konzentrierte «Fokus-Arbeitszeit» und mehr (Online-) Meetings bedeutet. Die zusätzliche Zeit floss in diese Meetings – und nicht in das Nachdenken und die Verschriftlichung smarter Ideen.

Für die längeren Meetings haben die Forscherinnen und Forscher drei Erklärungen als treibende Faktoren: Vorgesetzte, die ihre eigene Position durch Online-Meetings und Anrufe rechtfertigen (müssen), mehr oder weniger subtile Kontrollen sowie der zusätzliche Aufwand, der entsteht, wenn man sich für Projekte koordinieren muss, sie aber nicht live im Büro entweder im Sitzungszimmer oder am Kaffeeautomaten besprechen kann.

Elisabeth Sander, australische Arbeitsplatzforscherin, hält diese Erklärungen für zu kurz gegriffen, wie sie kürzlich an einer von der Investmentbank Jefferies organisierten Veranstaltung sagte. Es gebe eine ganze Reihe von weiteren Faktoren, welche die Arbeitsleistung von Menschen massgeblich beeinflussen.

Zunächst die Wechselwirkung zwischen physischer Umgebung und kognitiver Leistungsfähigkeit. Die Ausgestaltung von Arbeitsplätzen liest sie wie eine Geschichte der Organisationskultur, der Arbeitsabläufe und der Kreativität.

Ein weiterer Punkt ist die Leistungsbereitschaft der Menschen: Grosse Surveys kommen recht übereinstimmend auf einen Drittel der angestellten Personen, die wirklich engagiert sind, wenn man – als Unternehmen – nichts unternimmt. Wenn die angestellten Personen mehr Kontrolle und Selbstverantwortung übertragen bekommen, steigt das Engagement deutlich, das heisst in den Bereich 50 Prozent und – bei kleinen Firmen – bis 70 Prozent.

Weiter zeigt sich, dass Homeoffice ganz unterschiedlich konzipiert werden kann. Der wichtigste Faktor scheint gemäss den jüngeren Umfragen mit angestellten Personen die Flexibilität zu sein, wichtiger als Ein- oder Zwei-Tage-Regeln.

Überlegene hybride Modelle

Büros sind und bleiben gemäss der jüngeren Forschung auf absehbare Zeit wichtig für die Unternehmenskultur, für die Marke, den formellen und informellen Informationsaustausch sowie für die soziale Kohäsion. Hybride Modelle sind anderen überlegen: Die Produktivität liegt höher und die individuelle Work-Life-Balance lässt sich viel besser adjustieren. Die besten Büros sind deshalb überschaubar, sie sind auf die neuen Kernfunktionen sich treffen, Ideen entwickeln und nebenbei informell über Sport, Freizeit und Ferien reden ausgelegt und optimiert.

Neue zukunftsweisende Faktoren

Inzwischen gehört der Umgang mit den angestellten Menschen als Human-Capital-Basis zu den zentralen Aspekten der nachhaltigen (ESG-)Unternehmensführung. In den USA schreibt die Börsenaufsicht SEC vor, wie börsengelistete Firmen über die Massnahmen berichten müssen, mit denen sie die Produktivität und Entwicklung ihrer Angestellten handhaben. In Europa zählt die Personalentwicklung zu den zentralen Pfeilern der nachhaltigen EU-Finanzdatenberichterstattung.

Treiber der Entwicklung sind nicht mehr nur Regulierer und Assetmanager, die ESG-Fonds verwalten, sondern auch die Risikokapitalfirmen und Investmentbanken: Sie ziehen für ihre Abklärungen rund um M&A-Aktivitäten zunehmend die bisher als «weiche Faktoren» eingeschätzten Daten rund um die Unternehmenskulturen und das Wohlbefinden der Angestellten als zentrale Faktoren für den zukünftigen Firmenerfolg heran. Denn ob ein Unternehmen in fünf Jahren noch erfolgreich sein wird, lässt sich gemäss dieser Auffassung eher an der aktuellen Produktivität der zufriedenen und erfolgshungrigen Angestellten messen als an den Finanzzahlen aus der Vergangenheit.