Die digitale Transformation ist in vollem Gang. Gibt es so etwas wie einen Endpunkt, ein konkretes Ziel?

Eric Schott: Nein, es gibt aber zwei wichtige Themen: Erstens müssen Unternehmen die Kundenperspektive und -bedürfnisse nicht predigen, sondern leben und tief in ihrer Organisation verankern. Und zweitens müssen alle innerhalb eines Unternehmens am gleichen Strang ziehen. Man muss dabei Akteure zusammenbringen, die das bisher nicht gemacht hatten.

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Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Für Swiss und Lufthansa haben wir ein Projekt, bei dem es darum geht, was Fluggesellschaften vor, während und nach dem Flug den Passagieren noch anbieten können. Für dieses Projekt war es erforderlich, dass Beteiligte aus den Bereichen Marketing, IT und Datenanalyse zusammenarbeiten. Zuvor hatten die zwar auch an ähnlichen Projekten gearbeitet – aber das vor allem nebeneinander her.

Sehen Sie weitere Hindernisse bei der Transformation?

Es braucht eine ständige Unterstützung und die Überzeugung durch die Unternehmensspitze. Das Feuermuss praktisch ständig am Laufen gehalten werden. Oft kollidiert man dann mit dem Controlling. Die erwarten konkrete Businesspläne und Erlösprognosen, bevor sie die Gelder für neue Digitalprojekte freigeben. Das kann man bei Innovationen nicht immer so liefern. Und dann muss die Unternehmensspitze einen sanften Druck entfalten, um die Beteiligten zusammenzubringen.

Nehmen wir eine Branche, die derzeit ebenfalls im Umbruch ist: die Retail- Branche. Dort tauchte jetzt mit Amazon ein mächtiger neuer Anbieter auf. Da bleibt den Incumbents kaum die Zeit für langwierige interne Diskussionen.

Bisherige Anbieter wie Lidl oder Metro in Deutschland – in der Schweiz liegen die Verhältnisse ähnlich – müssen dann versuchen, teilweise so wie Amazon zu werden. Das gelingt ihnen zum Beispiel durch die Gründung von Ventures und Startups, die man zuerst ausserhalb der Organisation auf der grünen Wiese arbeiten lässt und dann später mit dem Stammhaus verbindet. In dieser Funktion sollen sie das Hauptunternehmen wachrütteln und viel rascher neue Angebote entwickeln, als man das bis jetzt gemacht hatte. Das Hauptunternehmen wiederum kann lernen, wie digitale Innovationen funktionieren.

Aus Ihrer Sicht – wie sieht die Situation in Europa und der Schweiz aus?

Die disruptiven Ideen, das muss man so sagen, kommen nicht aus der Schweiz, nicht aus Deutschland und kaum aus Europa. Es mag Ausnahmen geben. Es gibt positive Faktoren in der Schweiz und in Europa. Dazu gehören die Strukturen, die Offenheit für Innovationen, die Teamfähigkeit. Die Chance für schweizerische Firmen liegt darin, auf der Basis dieser Voraussetzungen eigene Wege zu gehen. Diese Unternehmen müssen sich fragen, was sie schon mitbringen, auch an ideellen Werten und Kundenverankerung, und dann mit erhöhter Geschwindigkeit ans Experimentieren gehen.

Wenn wir zurückgehen zu Ihrem Beispiel Swiss/Lufthansa – was ist da disruptiv?

Man muss sehen, woher die Fluggesellschaften kommen. Die hatten bisher Tickets für Passagiere verkauft und Fracht befördert. Sie stellen sich die Frage, wie man ausserhalb des Fliegens Geld verdienen kann.

«Ein wichtiger Faktor quer über alle Hierarchien ist die Frage, wie ein Unternehmen intern kommunizieren kann.»

 

Das ist eine grosse Veränderung, die man in diesem Fall ohne die Beteiligung der grossen Tech-Firmen aus Amerika erreichen möchte. Man will einen neuen Weg gehen, der die alten Modelle in neuartiger Weise ergänzt, und sich so neue Ertragsquellen erschliessen.

Aber richtig disruptiv ist das nicht.

Genau – disruptiv ist nicht so unser Ding in Europa. Aber man kann trotzdem viel weiter denken. Zum Beispiel an grössere Mobilitätsketten, wenn man in einer App Flug und Lufttaxi für den Transport zwischen Flughafen und Innenstadt bucht.

Der Veränderer

Name: Eric Schott
Funktion: Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Campana & Schott, aktiver Beirat bei verschiedenen Startups, Honorarprofessor an der Technischen Universität Berlin
Alter: 54
Familie: drei Kinder
Ausbildung: Dipl. Wirtschaftsingenieur, Studium der Philosophie mit Promotion
Bester Tipp für individuelle Weiterentwicklung im Zeitalter der Transformation: Neues Denken erfordert, ständig den eigenen Horizont erweitern zu wollen. Dazu muss ich das gewohnte Umfeld und die eigenen Unternehmensgrenzen verlassen, um mich mit anderen Menschen auszutauschen und neue Impulse aufzuspüren.

Eric Schott
Quelle: ZVG

Welche neuen Rollen sehen Sie für die Unternehmensleiter?

Die Zeiten der Fünfjahresstrategien sind vorbei. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man soweit vorausplanen kann. Das muss man ersetzen und sich dabei ständig die Frage stellen, wer man als Firma ist, wer man sein und wohin man gehen möchte und welche spezifischen Aufgaben man erfüllen will.

Das klingt nach Übertragung des Persönlichkeitsmodells auf ein Unternehmen.

Das müssen die Manager mit ihren Angestellten zusammen entwickeln, über die Hierarchien hinweg. Eine solche Identität bildet dann auch eine Basis für neue Geschäftsmodelle. Somit lassen sich weitreichende Veränderungen auf die Organisation übertragen. Wichtig und zentral ist die Rolle des Unternehmens selber, wie man von den Kunden wahrgenommen wird beziehungsweise wahrgenommen werden möchte. Um auf das Beispiel der Fluggesellschaften zurückzukommen: Da stellt sich die Frage, ob man sich als Transportunternehmen begreift. Oder als Content Provider. Oder als Lifestyle-Unternehmen. Man muss sich immer fragen:Was ist das Besondere, das wir den Kunden bieten wollen?

Wenn das Unternehmen diese Etappe erreicht hat, kommt die nächste, die konkrete Umsetzung.

Die nächste Stufe geht Richtung «agile Organisation». Ich selber bin zurückhaltend bei der Verwendung dieses Begriffs, ich spreche lieber von «adaptiven Unternehmen ». Dabei geht es darum, neue Gelegenheiten zu erkennen und anzupacken, sie zu nutzen und die Organisation aktiv so zu gestalten, dass sie rasch reagieren kann und sich rasch die richtigen Leute zusammenfinden.Das erfordert neue Modelle, wie Menschen zusammenarbeiten. Führungskräfte sollten das nicht über die Hierarchien steuern, sondern über die Frage, wie man die Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens verbessern kann. Sozusagen von unten.

Viele Firmen haben jetzt Chief Digital Officer (CDO) eingestellt – hilft das? Wenn man das wirkungsvoll aufsetzt, echtes Budget und wichtige Bereiche wie die IT dazugibt sowie auch eine professionelle StartupUmgebung kreiert, ist das eine gute Sache. Anders sieht es aus, wenn man den CDO als Stabsstelle begreift, die nur eine digitale Strategie konsolidieren soll. Das führt dann dazu, dass sich die anderen Manager zurücklehnen und sich nicht mehr damit beschäftigen. Wir haben oft gesehen, dass die Rolle des CDO erst im zweiten Anlauf richtig funktioniert.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Ergo, die Erstversicherungstochter im Munich-Re-Konzern, hatte im ersten Anlauf keinen Erfolg. Es hat einfach nicht funktioniert. Jetzt haben sie ein eigenes, substanziell ausgestattetes Vorstandsressort dafür, das intern und extern investieren kann.

Was empfehlen Sie Führungskräften, Fachspezialisten, älteren Mitarbeitenden und jungen Menschen am Anfang ihres Berufslebens in Hinblick auf die kommenden Veränderungen?

Ein sehr wichtiger Faktor quer über alle Hierarchien ist die Frage, wie ein Unternehmen intern kommunizieren kann. Was wir immer und immer wieder gesehen haben und jetzt auch empirisch mit unserer Schweizer Collaboration-Studie bestätigt sehen: Je besser dezentral kommuniziert und je besser die Zusammenarbeit organisiert wird, desto grösser der Erfolg eines Unternehmens. Gute Zusammenarbeit hat einen unmittelbaren Effekt. Spitzenkräfte sollten sich mit der Frage beschäftigen, wie man zukünftig schneller und effektiver zusammenarbeiten kann – und hier ansetzen.

Gibt es darüber hinaus weitere Hinweise für die Spezialisten?

Es bringt viel, wenn sich die Querdenker in Unternehmen quer durch die Hierarchien mit Gleichgesinnten in anderen Abteilungen vernetzen. Da zählen andere Formen der Zusammenarbeit, gepaart mit Neugier.

«Bei über Fünfzigjährigen ist die Bereitschaft, neue Tools zu nutzen, viel grösser als weithin gedacht.»

 

Bei den über fünfzigjährigen Mitarbeitenden haben wir festgestellt, dass sich da Vorurteile halten, die von der Schweizer Collaboration-Studie widerlegt wurden. In dieser Altersgruppe ist die Bereitschaft, neue Tools zu nutzen und neue Formen der Zusammenarbeit einzuüben, viel grösser als weithin gedacht. Diese Mitarbeitenden werden, wenn sie richtig angesprochen und eingebunden sind, nicht Verhinderer von Innovation, sondern Wegbereiter.

Stichwort jüngere Angestellte – was empfehlen Sie ihnen?

Berufseinsteiger sollten vor allem ihre Neugier pflegen und sich trauen, Dinge anders zumachen. Wir sehen das auch bei uns intern: Wir ermutigen sie, Gewissheiten infrage zu stellen und selbstständig neue Sachen auszuprobieren – auch wenn das mal gegen die eine oder andere Gewohnheit verstösst.