Während in den Corona-Jahren auch in der Schweiz neue Player und Konzepte wie Pilze aus dem Boden schossen, setzte ab Mitte 2022 im Schweizer Onlinelebensmittelhandel die Phase der Ernüchterung und Konsolidierung ein. Dies hat sich in den vergangenen zwölf Monaten seit dem letzten Onlinelebensmittelhandelsmarkt-Update der Handelszeitung im Mai 2024 noch einmal akzeleriert.
Prof. Dr. Matthias Schu, Leiter CAS E-Commerce Management, Institut für Kommunikation und Marketing, IKM der Hochschule Luzern
Die generelle Marktstimmung zeigen auch die im März veröffentlichten 2024er-Zahlen von Nielsen IQ, GfK, Schweizerische Post und Handelsverband: Der Schweizer Gesamtmarkt zeigt im Vergleich zur Vorjahresperiode eine Umsatzveränderung um minus 0,2 Prozentpunkte – im Bereich Non-Food resultierte ein Minus von 2,6 Prozent, während sich in der Kategorie Food/Near-Food ein prozentualer Zuwachs von 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr ergab. Damit beträgt der derzeitige Marktanteil des Onlinelebensmittelhandels in der Schweiz rund 3,1 Prozent beziehungsweise 1,4 Milliarden Franken (gegenüber rund 1,35 Milliarden Franken in der Vorperiode). Und so befindet sich der Markt gesamthaft betrachtet noch immer in einer Seitwärtsbewegung.
Von der leichten Erholung im Schweizer E-Food-Markt konnten jedoch nicht alle Player gleichermassen profitieren. Vor allem die Nische des Quick Commerce als Stand-alone-Konzept hat in den vergangenen zwölf Monaten quasi eine vollständige Marktbereinigung erfahren: Stash als «Last Man Standing»-Klonkonzept des deutschen, ebenfalls vom Markt verschwundenen Start-up Gorillas, wurde 2024 eingestellt, die Kundendatenbank übernahm das aus Österreich stammende und seit Februar 2024 in Zürich ansässige Start-up Alfies. Aufgrund von zu kleinen Warenkörben, geringen Margen, zu kleinen Ballungszentren und einer stark ineffizienten letzten Meile, gepaart mit hohen Lohnkosten, lassen sich reine Quick-Commerce-Modelle – ex definitione Anbieter mit Lieferung unter einer Stunde – in der Schweiz kaum profitabel und skalierbar abbilden.
Die vom Autor im 2024er E-Food Marktausblick in der Handelszeitung propagierte Verschmelzung des auf Lebensmittel ausgerichteten Quick-Commerce-Modells mit deutlich profitableren Restaurantlieferdiensten, deren Fokus auf gekochten Speisen liegt, kann auch in der Schweiz beobachtet werden: Seit Sommer 2024 kooperiert Just Eat Schweiz mit dem Detailhändler Spar und liefert die in einer von rund dreissig teilnehmenden Spar-Filialen kommissionierten Produkte innerhalb von 35 Minuten an die Bestellenden aus.
Während sich im Restaurant-Delivery-Sektor Just Eat Schweiz sowie Dieci als grösste Schweizer Pizzakuriere über weitere Zuwächse freuen konnten, fiel für Foodnow, das 2019 als Restaurant-Delivery-Plattform der Migros ins Leben gerufen wurde, im Rahmen der Migros-internen Fokussierung auf das Kerngeschäft der Vorhang per Ende Mai 2024.
Auch das Onlinehofladen-Start-up Farmy konnte in den vergangenen zwölf Monaten wiederholt nicht vom positiven Markttrend im Schweizer Onlinelebensmittelhandel profitieren. Diverse Restrukturierungs- und Kostensenkungsmassnahmen wie die Schliessung des zweiten Lagerstandorts in Ecublens VD reichten nicht aus, um weiterhin eigenständig zu agieren. Als Resultat rettete sich Farmy nach einer weiteren Nahtoderfahrung im Januar durch einen Notverkauf zum gefühlt symbolischen Preis in der Höhe von 100’000 Franken zu einem seiner Lieferanten, dem Grosshändler Pico AG. Bitterer Beigeschmack der Farmy-Rettung: Die Kleinaktionäre, von denen im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne im Frühling 2023 rund 6,5 Millionen Franken eingesammelt wurden, gingen gänzlich leer aus.
Das Schweizer E-Food-Urgestein Migros Online steigerte in der vergangenen Periode den Umsatz um rund 6 Prozent auf 365 Millionen Franken (versus plus 5 Prozent in der Vorperiode). Zudem wird hier weiter an einem automatisierten Lagerprojekt im Aargau gebaut, von dem man sich deutliche Effizienzgewinne bei den heute noch vergleichsweise händischen Lager- und Kommissionierprozessen bei Migros Online erhofft.
Zu den Gewinnern im Schweizer Onlinelebensmittelhandels darf sich abermals Coop zählen, der – wohlverdient – sein stetiges Wachstum auch in den vergangenen zwölf Monaten fortsetzen und sich so weitere Marktanteile erfolgreich sichern konnten. Mit der besten Value Proposition im Schweizer E-Food-Markt, namentlich dem grössten Sortiment mit mehr als 22’000 Artikeln, Frischetheken mit Individualisierungsmöglichkeit der Produkte, Same Day Delivery und einstündigen Lieferzeitfenstern ist Coop abermals seit mehreren Jahren in Folge der Onlinesupermarkt mit dem grössten Umsatzwachstum (plus 8,8 Prozent versus 8.5 Prozent in der Vorperiode).
Aldi-now, der Onlineableger von Aldi Suisse, setzt ebenfalls auf Expansion; er hat sein Liefergebiet weiter ausgedehnt und ist nun in mehr als 340 Postleitzahlgebieten in der Schweiz präsent, darunter neu auch in Aarau und Solothurn, inklusive jeweiliger Agglomeration. Zudem setzt man bei der letzten Meile zum Kunden nun auf das zur Schweizerischen Post gehörende Start-up Notime, das seine jahrelange Foodausliefererfahrung beim Onlineshop My Migros der Genossenschaft Migros Aare bis zu dessen Einstellung aufbauen konnte. Durch den Carrier-Wechsel ergab sich so eine professionelle Win-win-Situation für beide Seiten.
Abgesehen von der Übernahme der Kundenkartei vom früheren Quick-Commerce-Start-up Stash ist es um Branchenneuling Alfies, der mit seiner Lieferung innert 60 oder 120 Minuten nach Bestelleingang beziehungsweise zur Wunschzeit neue Impulse in Sachen Kundenzentrierung setzen wollte, bislang erstaunlich ruhig geblieben.
Nach einem Blick ist die Glaskugel ist davon auszugehen, dass sich der Trend zu Convenience und «One Stop Shopping» auch im 2025 beim Wocheneinkauf weiter akzentuieren wird, wobei der Faktor Zeitreduktion und einfacher Shoppingprozess wie auch in den Vorjahren online im Vordergrund steht. Die zwei bis drei Stunden pro Woche, die eine Familie für Offlineshopping mit im Schnitt fünf Einkaufsstätten aufbringen muss, lassen sich über die Vollsortimenter online einsparen. Folglich kann damit gerechnet werden, dass aufgrund der deutlich besseren Value Proposition wiederum Coop den Schweizer E-Food-Markt outperformen wird, gefolgt von Migros Online und Aldi-now.