Was haben Sie zuletzt auf Ricardo.ch gekauft?

Eine Swatch Moonswatch und eine Spule Filament für den 3D-Drucker; Ersteres via Auktion, Letzteres zum Festpreis. Verkauft habe ich vor kurzem ein Trapez zum Kitesurfen … Ich fühle mich langsam zu alt für die Sportart.

 

Wo steht Ricardo.ch heute in einem von Amazon, Zalando und Facebook dominierten Plattformenmarkt?

In unseren Konsumentenköpfen ist der Reflex «Ich brauche etwas, also kaufe ich es neu» stark verankert. Die internationalen Riesen nutzen diesen Reflex geschickt – sie stimulieren Konsum, auch wenn kein echtes Bedürfnis besteht. Wir versuchen, den Reflex zu ändern, zu: «Ich brauche etwas, also schaue ich zuerst auf Ricardo.» Dafür machen wir den Gebrauchtkauf so einfach, sicher und attraktiv wie den Kauf von Neuware. Jede technische Hemmschwelle, jede Ausrede, nicht secondhand zu kaufen, wollen wir beseitigen. Die Grössenvorteile globaler Plattformen haben wir nicht – aber wir setzen auf ein besseres Produkt, das nachhaltigen Konsum einfach und attraktiv macht.

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Zur Person

Francesco Vass leitet seit November 2021 innerhalb der SMG Swiss Marketplace Group als Managing Director die Marktplätze Ricardo, Tutti.ch und Anibis.ch. Der gebürtige Tessiner studierte Elektrotechnik an der ETH Zürich und absolvierte ein MBA-Studium an der Insead Business School in Paris und Singapur.

 

Das Unternehmen

Ricardo wurde 1999 in Baar (ZG) gegründet und hat sich seither zu einem der beliebtesten Onlinemarktplätze für Secondhandwaren in der Schweiz entwickelt. Heute gehört die Plattform zur SMG Swiss Marketplace Group und zählt über fünf Millionen Mitglieder, die jährlich Millionen von Artikeln handeln. 

 

Ricardo war lange ein Synonym für Onlineauktionen in der Schweiz. Wie hat sich das Geschäftsmodell in den letzten Jahren verändert – und wohin soll es gehen?

Auktionen bleiben eine beliebte Verkaufsmethode, vor allem für Artikel, deren Wert nicht einfach zu schätzen ist. Mittlerweile deckt Ricardo alle Formate des digitalen Handels ab, von Festpreisangeboten hin zu moderierten Preisvorschlägen. 

 

Welche Rolle spielt der C2C-Secondhandmarkt heute noch im Umsatzmix – und wie viel B2C steckt inzwischen in Ricardo?

Ricardo war und bleibt zu einem wesentlichen Teil ein C2C-Marktplatz: Aktuell stammen rund drei Viertel des Warenumsatzes aus Secondhand-Transaktionen zwischen Privatpersonen. Man kann in der Schweiz von einem regelrechten Secondhandboom sprechen, welchen Ricardo massgeblich geprägt hat. Wir bringen diesen Trend nicht nur mit der Einzigartigkeit und dem Preisvorteil von Secondhand im Vergleich zu Neuware in Verbindung, sondern vielmehr auch mit dem wachsenden Bedürfnis der Schweizer Bevölkerung, nachhaltig zu konsumieren. 

 

Was ist Ihre Wachstumsstrategie für die nächsten drei bis fünf Jahre? Ist Internationalisierung ein Thema – oder bleibt Ricardo ein Schweiz-fokussiertes Modell?

Wir sagen dem Verstauben von nicht mehr gebrauchten Gegenständen in Schubladen und Kellern den Kampf an. Stellen Sie sich vor, Sie machen im Keller mit dem Handy ein kurzes Video und erhalten automatisch erkannte, kategorisierte und bepreiste Artikel, die mit einem einzigen «Tap» online stehen. Solche Prototypen testen wir bereits. Gleichzeitig helfen wir dem Detailhandel, nachhaltiger zu wirtschaften, indem wir die beste Plattform für Retouren, reparierte oder generalüberholte Ware anbieten. Wir bauen aktuell die Schnittstellen, damit diese Produkte auf Ricardo effizient verkauft werden können. Das Potenzial in der Schweiz ist längst nicht ausgeschöpft.

 

Wie haben sich das Nutzerverhalten und die Erwartungen der Schweizerinnen und Schweizer an Onlineplattformen in den letzten Jahren verändert – und wie reagiert Ricardo darauf?

Vor einigen Jahren waren technische Ausfälle von bedeutenden Onlineplattformen keine Seltenheit. Auch Ricardo hatte manchmal mit der hohen Last am Sonntagabend zu kämpfen. Wir haben uns stark verbessert, und die Plattformverfügbarkeit ist heute hoch (klopft auf den Holztisch). Auch im Bereich Zahlung und Versand ist die Industrie deutlich weitergekommen: Digitale Zahlungsmethoden sind heute schlicht unerlässlich, und Lieferzeiten werden immer kürzer. Anders als klassische E-Commerce-Anbieter führt Ricardo kein Warenlager und kann daher nur bedingt auf Lieferungen Einfluss nehmen. Wir tun alles, um die Transaktionsabwicklung so reibungslos wie möglich zu gestalten: beispielsweise mit vorfrankierten und -adressierten Etiketten oder Diensten wie Pick@home.

 

Der Trend zu «Recommerce» boomt – vor allem bei jungen Konsumentinnen und Konsumenten. Wie gelingt es Ricardo, Teil dieser Bewegung zu sein und nicht von neuen Apps verdrängt zu werden?

Ich freue mich sehr über diese Entwicklung und mache mir keine Sorgen: Ricardo ist schon immer Recommerce gewesen. Jüngste Studien besagen übrigens, dass der Konsum von Fast Fashion weltweit Rekordwerte erreicht. Spannend ist, dass gleichzeitig auf Ricardo der Verkauf von Secondhandmode stark wuchs – allein im vergangenen Jahr um 13 Prozent. Diesen Bereich hat insbesondere eine jüngere Zielgruppe für sich entdeckt, die ihren abgelegten Fast-Fashion-Teilen auf Ricardo ein zweites Leben schenkt und sich einen Batzen dazuverdient oder eben lieber einzigartige Secondhandmode shoppt.

 

Wie wichtig ist Mobile für Sie – und wie unterscheiden sich App-User von klassischen Desktop-Nutzern auf Ricardo?

Vor einigen Jahren hiess es «Mobile first». Heute kann man zwar noch nicht von «Mobile only» sprechen, aber weit entfernt sind wir nicht. Im ersten Quartal 2025 wurde fast 60 Prozent des auf Ricardo gekauften Warenwertes in den Apps abgewickelt. Die Desktopversion von Ricardo bleibt weiter beliebt, insbesondere für längere oder komplexere Suchen oder zum genauen Vergleichen von ähnlichen Angeboten.

 

Ricardo.ch gehört zur Swiss Marketplace Group. Was bringt diese Zugehörigkeit konkret – Synergien, Daten, Reichweite? Oder auch Zielkonflikte?

Klare Synergien. Wir sind alle Onlineplattformen mit Fokus auf die Schweiz, teilen viele technologische Herausforderungen und müssen nicht das Rad neu erfinden. Wir rekrutieren ähnliche Topleute und bieten spannende und abwechslungsreiche Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Gruppe. Ein Schwerpunkt ist die gemeinsame Investition in Cybersicherheit. Wir investieren kontinuierlich in umfassende Schutzsysteme, Prävention und stabile Infrastruktur – das kommt allen Plattformen und ihren Nutzerinnen und Nutzern zugute. Gleichzeitig arbeiten wir operativ sehr eigenständig – mit klaren Zielen je Geschäftseinheit.

 

Wie positionieren Sie sich gegenüber Plattformen wie Tutti oder Anibis, die ebenfalls zur SMG gehören? 

Ich bringe zu dieser Frage gerne folgenden Vergleich: Es gibt Leute bei der Arbeit, die ihr Mittagessen von zu Hause mitbringen. Sie kaufen vorab ein, kochen und spülen danach ihr Geschirr. Dafür ist das Mittagessen «gratis». Andere bevorzugen die Kantine oder das Restaurant: Sie haben weniger Aufwand, müssen dafür etwas bezahlen. Am Ende erfüllen beide Gruppen ihr Bedürfnis, nämlich sich zu verpflegen. Bei Tutti.ch und Anibis.ch und Ricardo ist das ähnlich: Das Bedürfnis ist diesmal, etwas zu kaufen oder zu verkaufen – der Weg dorthin ist unterschiedlich: Bei Ricardo werden die Transaktionen über die Plattform abgewickelt. Ricardo übernimmt fast den gesamten Aufwand, bietet Sicherheit und zusätzliche Services – das hat seinen Preis. Tutti.ch und Anibis.ch sind Kleinanzeigen-Plattformen, welche es Verkäufern und Käufern ermöglichen, sich zu finden und sich zu einigen – die Abwicklung der Transaktion erfolgt dann ausserhalb der Plattform. Die Nutzung von Tutti.ch und Anibis.ch ist günstiger, dafür ist der Aufwand grösser. 

 

Was halten Sie von Plattformen wie Facebook Marketplace oder Kleinanzeigen.ch – sind das Freunde, Feinde oder Koexistenzpartner?

In Sachen E-Commerce hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich noch immer etwas hinterher. Plattformen wie Facebook Marketplace bringen neuen Nutzerinnen und Nutzern den Einstieg in den Onlinehandel näher – das begrüssen wir. Aber es ist auch ein knallharter Wettbewerb. Die Skaleneffekte dieser globalen Anbieter können wir nicht erreichen, denn sie können die Kosten für Entwicklung und Betrieb ihrer Plattformen auf viel mehr Kunden verteilen. Und für sie ist ein Verlust in der Schweiz ein Rundungsfehler.

 

Welche Rolle spielen KI und Automatisierung bei Ricardo – sei es in der Produktsuche, Preisgestaltung oder im Kundendienst?

Tappen Sie mal auf den «Ricardo AI»-Knopf in der Mitte unserer iOS- oder Android-App. Von dort gelangen Sie zur KI-basierten visuellen Suche, die Angebote aus dem millionenschweren Ricardo-Inventar anzeigt, die ähnlich aussehen wie das Objekt vor Ihrer Handykamera. Oder zum KI-unterstützten Einstellprozess, der nur anhand von ein paar Fotos Inserattitel und -beschreibung vorschlägt. Diese Features sind kein Experiment – sie sind Realität: Über 40 Prozent der via App erstellten Inserate werden heute durch KI unterstützt. Das ist ein Beispiel dafür, wie wir technologische Entwicklungen ganz konkret in Kundennutzen übersetzen.

 

Wie bekämpfen Sie Fakes, Betrug und dubiose Angebote?

Mit allen Mitteln. Sicherheit hat auf einem Onlinemarktplatz wie Ricardo oberste Priorität. Wir setzen uns mit umfassenden automatisierten Tools, Sicherheitsmechanismen sowie mit menschlicher und künstlicher Intelligenz für die Betrugserkennung und -prävention ein. Und das mit Erfolg: Die aktuelle Betrugsrate bewegt sich im tiefen Promillebereich. Und doch ist für uns jeder Betrugsfall einer zu viel. Aus diesem Grund investieren wir jährlich einen mittleren einstelligen Millionenbetrag in die Sicherheit, zum Beispiel in die Implementierung einer Zwei-Faktor-Authentifizierung oder die Entwicklung und Lancierung von Ricardo Moneyguard. 

 

Wie steht es um Vertrauen und Sicherheit im digitalen Handel – und was erwarten Konsumenten heute von einer Plattform, damit sie sich wohlfühlen?

Konsumenten erwarten beim E-Commerce einen hohen Sicherheitsstandard. Obwohl Ricardo kein klassischer Onlineshop ist, verfolgen wir das Ziel, Transaktionen auf unserer Plattform so sicher zu gestalten wie den Einkauf von Neuware bei regulären Onlinehändlern. Für eine höchstmögliche Sicherheit bieten wir seit letztem Jahr Ricardo Moneyguard an, das die Abwicklung der Transaktionen auf Ricardo wie ein virtueller Treuhänder absichert. 

 

Wenn Sie Ricardo heute neu gründen könnten – was würden Sie anders machen? Und was würden Sie auf jeden Fall wieder so angehen?

Das müssten Sie die Gebrüder Widmer fragen, die 1999 Ricardo (damals unter dem Namen Auktion24.ch) gegründet haben (lacht). Ein ehemaliger Kollege und Industrieveteran hat immer gescherzt: «Online marketplaces are a very simple business … You only need to get a thousand things right!» In diesem Sinne würde ich versuchen, ein paar mehr Dinge richtig zu machen und den einen oder anderen Fehler zu vermeiden.