Der Online-Handel wächst weiterhin: Im Jahr 2024 wurden online für 14,9 Milliarden Franken Güter an Privatpersonen mit Schweizer Lieferadressen verkauft. Dies entspricht einer Zunahme um 3,5 Prozent beziehungsweise 500 Millionen Schweizer Franken und stellt ein neues Allzeithoch dar. Bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 1,1 Prozent ist von einer Mengenzunahme von 2,4 Prozent auszugehen. Der Detailhandel insgesamt hat nominal 0,2 Prozent verloren, was bedeutet, dass der Onlinehandel Marktanteile gewinnen konnte.
Alexandra Scherrer ist Mitinhaberin und Geschäftsführerin bei der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Beratungsagentur für Digital Commerce. In ihrer Funktion unterstützt sie grosse und kleine Unternehmen unterschiedlicher Branchen aus B2C und B2B bei der Strategie-Erarbeitung, -Konzeption und -Umsetzung.
Rund 12 Prozent des Detailhandelsumsatzes wird in der Schweiz bereits online erwirtschaftet. Während im Food/Near-Food-Bereich der Onlineanteil bei 3 Prozent liegt, sind es im Non-Food-Segment bereits 18,8 Prozent. Besonders im Bereich Heimelektronik zeigt sich ein starker Trend zum Onlineshopping, hier tätigen die Konsumenten über die Hälfte ihrer Ausgaben online. Gefolgt von den Kategorien Spielwaren (35 Prozent Onlineanteil) sowie Fashion und Sport (30 Prozent Onlineanteil).
Marktplätze und E-Food als Wachstumstreiber
Wachstumstreiber im Schweizer Onlinehandel bleiben die grossen Marktplätze, allen voran Digitec Galaxus. Die Plattform knackte im vergangenen Jahr die Umsatzgrenze von 3 Milliarden Schweizer Franken – ein Plus von 18 Prozent. Auch der E-Food legte zu, mit Coop.ch und Migros Online als Aushängeschilder. Wenn auch bald ohne das Start-up Farmy, das bislang als Anbieter für frische Lebensmittel im Schweizer E-Food-Markt mitmischte und nach der Fusion mit Pico wohl nicht mehr gleich weitergeführt wird.
Coop und Migros richten Handel neu aus
Coop verfolgt im Onlinehandel mittlerweile ausschliesslich eine Omni-Channel-Strategie. Dennoch ist das Umfeld für einige Tochterfirmen herausfordernd: Jumbo, Fust, Interdiscount sowie Livique/Lumimart stehen unter Druck. Zudem lässt Coop das Body-Shop-Franchising per Ende Mai 2025 auslaufen. Gleichzeitig positioniert sich Coop stark im B2B-Onlinehandel: Transgourmet hat sich zu einem zentralen Umsatzpfeiler entwickelt, mit einem Nettoerlös auf Augenhöhe mit dem Supermarktgeschäft (11,5 Milliarden Franken, mehrheitlich im Ausland erzielt).
Während Coop die Breite des Handelsgeschäfts beibehält, richtet die Migros ihren Fokus auf das Kerngeschäft. Zum Jubiläumsjahr 2025 wurde ein klarer Strategiewechsel vollzogen: Migros trennt sich von allen Non-Food-Handelsformaten ausser Ex Libris und Digitec Galaxus. Eine positive Wendung nimmt dagegen Micasa: Die Möbelhändlerin erhält durch ein Management-Buyout eine neue Perspektive und bleibt als eigenständige Marke erhalten.
Neue stationäre Billigkonkurrenz und China-Welle
Weitere Konkurrenz kommt von aussen. Mit Rossmann und Action betreten zwei deutsche Anbieter mit stationären Discountmodellen den Schweizer Markt. Beide verfolgen ehrgeizige Expansionspläne. Rossmann plant, bis Ende 2025 insgesamt zehn bis elf Filialen zu betreiben, und sieht langfristig sogar Potenzial für eine dreistellige Anzahl. Action hat Anfang April seine erste Schweizer Filiale in Bachenbülach eröffnet, gefolgt von einem zweiten Standort in Martigny in der zweiten Aprilhälfte. Seine aggressive Preisstrategie und das schlanke Sortiment könnten den Wettbewerb im ohnehin angespannten Detailhandel weiter verschärfen.
Temu bleibt auch 2025 ein sichtbarer Akteur im Schweizer Onlinehandel. Nach einem geschätzten Umsatz von 350 Millionen Franken im Jahr 2023 und rund 700 Millionen Franken 2024 wird sich die Dynamik verlangsamen. Der Neuheitseffekt lässt nach, Marketingausgaben sinken – das Wachstum stabilisiert sich auf hohem Niveau.
Ungewiss sind die Auswirkungen der US-Zollpolitik auf die Umsätze der China-Anbieter in Europa und der Schweiz: Sollten die USA an ihrer Zollpolitik gegenüber chinesischen Produkten festhalten, könnten überschüssige Warenströme nach Europa und in die Schweiz umgelenkt werden. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Schweiz handelspolitische Instrumente nutzen wird, um regulierend einzugreifen.
Innovationen und Ausblick
Gleichzeitig ist wieder mehr Bewegung und Dynamik im Onlinehandel zu spüren. Grosse Plattformen investieren: Zalando etwa hat nicht nur den kleineren Mitbewerber About You übernommen, sondern sich kurz darauf auch ein Technologie-Start-up im AR-Bereich gesichert, um das Einkaufserlebnis weiterzuentwickeln.
Social Commerce ist weiter auf dem Vormarsch. Mit dem Start von Tiktok Shop in Deutschland im Frühling 2025 gewinnt dieses Format zunehmend an Popularität und dürfte auch in der Schweiz für neue Impulse im Onlinehandel sorgen.
Auch grosse Tech- und KI-Unternehmen wie Google, Open AI, Perplexity und Amazon weiten ihre Aktivitäten im E-Commerce-Feld aus. Sie investieren nicht nur in neue Einkaufstechnologien, sondern prägen aktiv die Weiterentwicklung der digitalen Customer-Journey: Konzepte wie Agentic Shopping – bei dem digitale Agenten eigenständig Produkte auswählen und Käufe tätigen – gewinnen dadurch an Relevanz und könnten schon bald zum Alltag im Onlinehandel gehören.
Im Schweizer Onlinehandel gibt Digitec Galaxus weiter Gas – gerade auch über die Landesgrenzen hinaus. Gleichzeitig baut Brack.Alltron unter dem neuen CEO das Unternehmen umfassend um, richtet sich nicht zuletzt im IT-Bereich neu aus. Auch hier darf man auf die nächsten Schritte gespannt sein.
Für das Jahr 2025 erwarten wir im Schweizer Onlinehandel ein tiefes einstelliges Umsatzwachstum. Trotz stagnierender Entwicklung im stationären Detailhandel gewinnt der Onlinekanal weiter Marktanteile.