Die Schweiz ist aktuell Weltmeisterin bei den Retouren – jährlich wird jedes fünfte online bestellte Paket wieder zurückgeschickt. Das entspricht jährlich rund 15 bis 20 Millionen Rücksendungen – mit erheblichen Auswirkungen auf Kostenstruktur, Kundenzufriedenheit und den ökologischen Fussabdruck. Dies geht sogar so weit, dass Zalando bereits diverse Kundenkonten mit hohen Retourenquoten sperrt. Doch was wäre, wenn Retouren nicht nur als notwendiges Übel gesehen würden, sondern als strategischer Hebel für mehr Effizienz, Nachhaltigkeit und Kundenzufriedenheit?
Anouk Breitenstein ist Lead Business Consultant bei Zühlke; Denis Kolmanic ist New Business Principal bei Zühlke.
Die Zwickmühle zwischen Nachhaltigkeit und Bequemlichkeit
Laut Studien sagen 81 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig sei. Doch nur etwa 40 Prozent handeln auch konsequent danach – ein klassischer Fall kognitiver Dissonanz: Viele kaufen noch impulsiv, bequem, unreflektiert ein. Dieses Spannungsfeld zwischen Anspruch und Verhalten ist mehr als nur ein psychologisches Phänomen. Es ist eine konkrete Chance für den Handel, durch bessere Informationen, smarte Technologien und datenbasierte Prozesse nachhaltigere Entscheidungen zu fördern und so Rücksendungen aktiv zu vermeiden.
Die beste Retoure ist eine, die gar nicht erst entsteht
Eine konsequente Vermeidung beginnt beim Einkaufserlebnis. Fehlkäufe lassen sich durch innovative Tools schon vor dem Check-out deutlich reduzieren. Besonders im Fashionbereich, in dem falsch gewählte Grössen häufig der Rücksendegrund sind, helfen interaktive Grössenberater und Avatare mit individuellen Körpermassen dabei, passende Produkte zu finden. Aber auch präzise Produktbeschreibungen in klarer Sprache und mit bildhaften Adjektiven können die Erwartungen der Käufer besser steuern. Hinzu kommen hochwertige Produktbilder, Zoom-Funktionen und Model-Angaben, die ein realistisches Bild vom Produkt vermitteln und Enttäuschungen vorbeugen. Auch Kundenbewertungen leisten einen wertvollen Beitrag, indem sie authentische Erfahrungen sichtbar machen. Wenn dann noch Retourenquoten auf Marken- oder Produktebene angezeigt werden, stärken diese Informationen das Vertrauen und führen zu bewussteren Kaufentscheidungen.
So kann der Handel kognitive Dissonanzen zwischen Nachhaltigkeitsanspruch und Konsumverhalten aktiv verringern – und durch smarte Technologien zur bewussteren Entscheidung beitragen. So wird aus smarter Information echte Prävention.
Retouren clever meistern
Doch Retouren lassen sich nicht vollständig vermeiden – aber ihr Management kann zum Effizienzbooster werden. Genau hier setzen moderne Technologien an, um den Rücksendeprozess selbst effizienter, datenbasierter und nachhaltiger zu gestalten.
- Durch den Einsatz von Gewichtsanalyse, Trackingdaten und digitaler Anmeldung können Pakete – auch ohne Öffnung – schneller und ressourcenschonender bearbeitet werden. Ein zentrales Element in diesem Prozess sind Retourenportale, in denen Rücksendungen bereits im Vorfeld digital erfasst werden.
- AI & Computer Vision für automatische Schadenerkennung und Klassifizierung: Mithilfe von Bilderkennung und Scoring können optische Mängel automatisch identifiziert und klassifiziert werden. Dies ermöglicht eine schnelle und präzise Erfassung von Schäden.
- Noch weiter geht der Einsatz von Predictive Fulfillment: Dabei wird anhand von Nachfrageprognosen entschieden, wohin retournierte Ware am sinnvollsten gelenkt wird – zum Beispiel in lokale Lager oder besonders absatzstarke Filialen. So gelangt das Produkt möglichst schnell zurück in den Verkauf und vermeidet Umwege über zentrale Hubs.
Was früher aufwendig war, wird heute zu einem datengetriebenen Prozess mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Effizienz.
Rücksendungen sind längst nicht mehr nur Verlustbringer – sie eröffnen neue Geschäftsmodelle, etwa zirkuläre Modelle, die Umwelt und Wirtschaft zugleich nutzen. Durch die Integration in Recommerce-Prozesse können Artikel automatisch klassifiziert und direkt einer Zweitvermarktung zugeführt werden – sei es im eigenen Shop, auf Plattformen oder über Peer-to-peer-Modelle, bei denen die Retoure direkt vom ursprünglichen Käufer zum nächsten Kunden versendet wird. Ein vielversprechendes Geschäftsmodell im Umgang mit Retouren sind Closed-Loop-Programme, die auf Kundenbindung, Nachhaltigkeit und Kreislaufdenken setzen. Dabei können Kundinnen und Kunden ihre Rücksendungen oder gebrauchte Artikel gezielt in den Kreislauf zurückgeben. Und ein innovativer Ansatz für Retouren ist die Integration in Miet- und Abonnementmodelle. Statt retourniert und aus dem Verkauf genommen zu werden, fliessen Produkte gezielt in eine «Mietrotation» ein – vor allem in Kategorien wie Kleidung, Unterhaltungselektronik oder Baby- und Kinderbedarf.
Diese Modelle erschliessen neue Wertströme und bieten wiederkehrende Einnahmen anstelle von einmaligen Verkäufen. Sie fördern die Kreislaufwirtschaft und regen Unternehmen dazu an, über traditionelle Geschäftsmodelle hinauszudenken. Statt sich nur auf die Retouren zu konzentrieren, schaffen sie Möglichkeiten für deren Nutzung auf neue Weise – ein zukunftsweisender Schritt in die nachhaltige Wirtschaft.