Der Industriekäufer von heute ist digital versiert. Er recherchiert online, vergleicht Angebote und erwartet die gleiche Einfachheit, Transparenz und Kontrolle, die er aus dem B2C-Bereich kennt. Die Realität in vielen Industrieunternehmen sieht jedoch anders aus: Manuelle Prozesse, Excel-Listen und zeitaufwendige Offertenerstellung prägen noch immer den Alltag. Während private Konsumenten binnen Minuten komplexe Bestellungen im Webshop abwickeln, warten Industriekunden oft tagelang auf Preisauskünfte.
Die Autoren
Fabien Lussu ist Partner bei Deloitte Schweiz und leitet den Bereich Energy, Resources & Industrials.
Alex Kettenbach ist Partner bei Deloitte Schweiz mit Schwerpunkt auf das kommerzielle Plattformgeschäft.
Erfolgreiche E-Commerce-Plattformen haben längst verstanden, was Industrieunternehmen noch lernen müssen: Der Kunde möchte die Kontrolle. In der Fertigungsbranche wollen B2B-Kunden heute alles – ein nahtloses Einkaufserlebnis mit vordefinierten Preisstrukturen, genauen Lagerbeständen, Bestellhistorie und flexiblen Zahlungsoptionen. Digitale Frontends wie Kundenportale mit möglichst vielen Self-Service-Features sind da eine Grunderwartung.
Lehren aus dem E-Commerce
Ein amerikanischer Industrieausrüster revolutionierte sein Geschäftsmodell durch die Anwendung von E-Commerce-Prinzipien. Das Unternehmen implementierte eine Echtzeitpreisautomatisierung, die Rohstoffpreise automatisch auf der Website aktualisiert. Die Kunden legen die Produkte in den Warenkorb, und alle Artikel werden in Echtzeit über das ERP-System verifiziert – eine nahtlose Verbindung zwischen Frontend und Backend. Ähnlich erfolgreich agierte ein europäischer Maschinenhersteller, der seinen komplexen Vertriebskanal in eine benutzerfreundliche E-Commerce-Plattform verwandelte. Ergebnis: ein One-Stop-Shop mit 24/7-Support für die globale Kundenbasis. Die beiden Beispiele zeigen: Es geht darum, E-Commerce-Prinzipien intelligent auf B2B-Anforderungen zu übertragen.
Die Kunst ist, die Kundenjourneys anzupassen und dem Kunden die Kontrolle zu geben, während die technische Tiefe erhalten bleibt. Es darf kein Kompromiss bei der Professionalität gemacht werden. Der Schlüssel ist, Komplexität in Einfachheit zu verpacken. Solche Faktoren sind aktuell wichtiger denn je: Handelsunsicherheiten wie Zölle erfordern eine dynamische Kostentransparenz und agile Beschaffung von Rohstoffen und Materialien. Eine E-Commerce-Plattform kann als dynamischer Kommunikationskanal dienen, der Preise und Verfügbarkeit in Echtzeit anpasst. Unternehmen können Kunden proaktiv über Änderungen informieren, was das Vertrauen stärkt und den Verkaufszyklus verkürzt.
Configure-Price-Quote-Tools (CPQ) werden zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Diese Software ermöglicht es Verkäufern, komplexe Kundenofferten in einem intuitiven, schrittweisen Prozess zu erstellen, während gleichzeitig Margen geschützt, Fehler reduziert und Genehmigungsprozesse automatisiert werden. CPQ-Lösungen übersetzen komplexe Produktkonfigurationen in verständliche Auswahloptionen – genau wie ein E-Commerce-Konfigurator. Die Kunden erhalten sofort Preise, Verfügbarkeiten und technische Spezifikationen, ohne auf Rückrufe warten zu müssen.
Vom Kostenfaktor zum Wachstumstreiber
Digitale Frontends sind nicht nur Effizienzbringer, sondern Wachstumstreiber, auch wenn der Return on Investment zunächst nicht direkt sichtbar ist. Auf Dauer erzielen Unternehmen höhere Abschlussquoten, eine stärkere Kundenbindung, bessere Margenkontrollen und erhalten neue Einnahmequellen.
Durch den Einsatz von digitalen Frontends geht es nicht darum, traditionelle Vertriebskanäle aufzugeben, sondern ein hybrides Modell zu schaffen. Der Industriesektor ist historisch dafür bekannt, exzellent in Ingenieurswesen und Betriebspräzision zu sein. Doch der nächste Schauplatz der Wettbewerbsfähigkeit liegt im Kundenerlebnis. Wer die Käufer online informiert und ihnen mit nahtlosem Service begegnet, wird sich von der Konkurrenz abheben.