Produktempfehlungen, Preisgestaltung, Logistikoptimierung, KI-generierte Darstellungen von Vor- und Nachteilen von Produkten und Betrugsprävention – die künstliche Intelligenz ist längst im schweizerischen E-Commerce angekommen. «Diese Beispiele sind bei uns alle bereits live», sagt Tobias Heller, Sprecher bei Digitec Galaxus. «Wir beobachten die Entwicklungen in diesem Bereich aktiv und prüfen laufend, welche Neuerungen unserer Kundschaft und uns einen Mehrwert bieten können.»
«Wir probieren diesbezüglich immer wieder verschiedene Ansätze aus», sagt auch Lukas Keller, Sprecher bei Brack.Alltron. Hier setzt man KI bereits in verschiedenen Unternehmensbereichen erfolgreich ein: etwa bei der KI-basierten Produktberatung für Endkunden auf Brack.ch oder als KI-gestützte Algorithmusoptimierung bei der Suche und in den Empfehlungen. KI kommt auch im Kundendienst von Brack zum Zug: Das Schweizer Start-up Typewise schlägt bei der schriftlichen Beantwortung von Kundenanfragen Textbausteine vor. Seit Januar 2023 werden ausserdem 30 Prozent der publizierten Produktbeschreibungen durch KI erstellt. «In weiteren Bereichen wie beispielsweise im Marketing oder in der Logistik evaluieren wir aktuell noch Use-Cases für einen möglichen KI-Einsatz», so Keller weiter.
GEO statt SEO
«Die KI hat den E-Commerce bereits stark verändert», erklärt Wolfgang Schäfer, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in den Bereichen Digitalisierung und Kundenerfahrungen lehrt und forscht. «Bewegen wir uns entlang der Kundenreise (Customer-Journey), greifen viele Kundinnen und Kunden bei der Recherche nach Produkten und Dienstleistungen zunehmend nicht mehr auf klassische Suchsysteme wie Google oder Bing zurück, sondern fragen direkt ein KI-Tool wie Chat GPT oder Claude.» Dabei entfällt der Aufwand, den wir bisher mit der Auswertung von Suchergebnissen hatten. Statt Search Engine Optimization (SEO) spielt laut Schäfer immer mehr Generative Engine Optimization (GEO) eine tragende Rolle im E-Commerce.
«Gehen wir dann einen Schritt weiter und kommen im Onlineshop an, beeinflussen ein KI-selektiertes Sortiment und Dynamic Pricing unser Konsumverhalten», so Schäfer weiter. «Und KI-generierte Inhalte wie Produktbeschreibungen und Erklärvideos tragen ebenso wie immer natürlicher kommunizierende Bots zu besseren und individuelleren Kundenerlebnissen bei.
Dabei verwischt KI auch zunehmend die Grenzen zwischen klassischem Handel am Point of Sale (POS) und E-Commerce.» Digital Twins, also digitale Kopien physischer Objekte, erlauben Verbesserungen in Echtzeit auf der Fläche, wie beispielsweise KI-optimierte Produktplatzierungen oder das Management des Kassenbereichs.
Noch einen Schritt weiter hilft künstliche Intelligenz laut Digitalisierungsexperte Schäfer bereits bei der automatischen Beantwortung und Bewertung von Kundenanfragen, zum Beispiel bei Reklamationen oder Rücksendungen. «Und wenn wir dann bei der Evaluation der Kundenreise angelangt sind, werten KI-Modelle die Daten der Kundenbefragungen und des Kundenverhaltens aus, um Handlungsempfehlungen zu generieren», weiss Schäfer. «Einen Ausblick auf die nahe Zukunft geben uns Large Action Models (LAMs) – Modelle, die nicht Sprachmuster wie bisherige Large Language Models (LLMs), sondern Handlungsmuster verwenden», fährt er fort. So können User diesen per Sprachbefehl den Auftrag geben, beispielsweise Lebensmittel online selbstständig zu bestellen.
Hürden werden immer niedriger
Alle bisherigen Entwicklungen im Bereich künstliche Intelligenz basieren laut Wolfgang Schäfer auf leistungsfähiger Hard- und Software, die KI-Modelle wie Chat GPT o3 erst ermöglichen. «Unternehmen müssen oft noch auf die Big Techs und deren KI-Lösungen in der Cloud zurückgreifen», erklärt der Experte. «Viele Modelle stehen aber mittlerweile kostenfrei zur Verfügung, sodass sie auch lokal und mit deutlich besserer Datensicherheit betrieben werden können.» Die Kosten reduzieren sich zudem massiv. Durch diese sinkenden Eintrittshürden können sich zunehmend auch kleinere E-Commerce-Unternehmen engagieren. Wichtig wird jedoch weniger das beste KI-Modell, sondern eher der Zugriff auf neue Daten und Energiequellen sein.
Im Massengeschäft bieten sich KI-Lösungen sehr gut an, da sie die Komplexität und Dynamik des E-Commerce zu bewältigen helfen und dabei Kundenerlebnisse durch individuelle Services verbessern können, glaubt Schäfer. «Aktuell noch schwierig ist, wenn Informationen über konkrete Lebens- und Konsumkontexte für eine Dienstleistung notwendig sind. Diese Kontextinformationen werden häufig noch durch sehr detailliertes Prompting, also das Verfassen einer Aufgabenstellung für ein KI-Modell, bereitgestellt.»