Die Schweiz strebt an, ein führendes Land in der Digitalisierung zu sein. Was sind in Ihren Augen die wichtigsten Schritte dazu?
Gemäss dem Digital Competitiveness Ranking von IMD sind wir weltweit auf dem sehr guten zweiten Rang. Diese Platzierung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir auch Herausforderungen haben und dranbleiben müssen. Denn im Zeitalter der künstlichen Intelligenz entwickelt sich alles sehr schnell. Wir müssen uns zum Beispiel mehr um das Thema Cybersicherheit kümmern. Als Staat, in Unternehmen und auch als Privatpersonen. In diesem Bereich gibt es noch viel Aufholbedarf. Ebenso bei der digitalen Identität, die in vielen anderen Ländern schon Standard ist und viele Prozesse vereinfacht. Weitere wichtige Schritte sind die Weiterentwicklung des elektronischen Patientendossiers, die Digitalisierung von Behördendienstleistungen und die Förderung von digitalen Grundkenntnissen in der Bevölkerung.
Wie wird die Schweiz ihre Position im internationalen Wettbewerb behaupten, insbesondere angesichts der rasanten Entwicklungen und der unterschiedlichen Regulierungsansätze in der EU, den USA oder in China?
Die Schweiz kann in puncto Digitalisierung auf ihre Stärken zählen: politische und wirtschaftliche Stabilität, hohe Innovationskraft, Offenheit und exzellente Bildungsinstitute. Insbesondere in die Forschung sollten wir noch mehr investieren. Viele realisieren nicht, dass gerade in der digitalen Welt Schweizer Werte wie Selbstbestimmung, Vertrauen und Sicherheit besonders zum Tragen kommen. Insgesamt sollten wir die Chancen von neuen Technologien wie der künstlichen Intelligenz erkennen und uns als Land überlegen, wie wir uns strategisch positionieren.
Stichwort digitale Souveränität: Wie definiert die Schweiz diese, und welche konkreten Schritte werden unternommen, um digitale Souveränität zu stärken, ohne sich von internationalen Entwicklungen abzukoppeln?
Eine offizielle, in Stein gemeisselte Definition von digitaler Souveränität gibt es in der Schweiz heute nicht. Als Digitalswitzerland verstehen wir digitale Souveränität als die Fähigkeit der Schweiz, ihre digitalen Ziele durchzusetzen, einschliesslich eigener Zuständigkeit, innerer Gestaltungsfreiheit und äusserer Resilienz. Dies bedeutet auch, gezielt technologische und rechtliche Werkzeuge einzusetzen, um Abhängigkeiten zu managen, Kompetenzen aufzubauen und die Kontrolle über unser digitales Schicksal zu wahren. In der Praxis heisst das für die Schweiz als Land, digitale öffentliche Infrastrukturen dort selbst aufzubauen, wo das angebracht ist, und diese im eigenen Land zu betreiben, um Vertrauen und Kontrolle zu gewährleisten.
Gilt das auch für einzelne Akteure der Wirtschaft?
Unternehmen sollten sich im Rahmen ihrer digitalen Selbstbestimmung ähnliche Fragen stellen, um auch in kritischen Situationen technologische Entscheidungen selbst treffen können. Dabei sollten technologische Abhängigkeiten gezielt hinterfragt werden, sei es durch eine stärkere Diversifikation bei IT-Dienstleistern, angepasste Anforderungen im Beschaffungsmanagement, den gezielten Einsatz von Open-Source-Lösungen oder den bewussten Aufbau von Know-how.
Während die EU mit dem AI Act ein umfassendes Regelwerk für künstliche Intelligenz geschaffen hat, verfolgt die Schweiz einen eher dezentralen Ansatz. Welche konkreten Vor- und Nachteile ergeben sich daraus?
Die Schweiz fährt einen für unser Land typischen Ansatz der sektoriellen, technologieneutralen Regulierung. An und für sich sprechen wir von einem Baukasten. Wir schauen uns an, welche Risiken im jeweiligen Anwendungsbereich bestehen – sei es in der Finanzbranche, im Gesundheitswesen oder bei kritischen Infrastrukturen – und regulieren dort, wo es nötig ist. Der AI Act der EU hingegen regelt KI-Technologien sektorübergreifend. Ein Vorteil des Schweizer Wegs ist die Flexibilität. Wir können gezielter reagieren, ohne Innovation im Keim zu ersticken. Auf der anderen Seite benötigt der Schweizer Ansatz auch mehr Koordination, damit kein Flickenteppich entsteht.
Angesichts der schnellen Entwicklung von KI: Wie kann eine Regulierung so gestaltet werden, dass sie einerseits Sicherheit und Vertrauen schafft, aber andererseits Innovation nicht ausbremst oder gar behindert?
Erstens brauchen wir eine prinzipienbasierte Regulierung. Das heisst, dass nicht Technologien vorgeschrieben, sondern Schutzziele definiert werden, etwa Datenschutz, Transparenz oder Haftung. Zweitens müssen wir Raum schaffen, um zu experimentieren. Möglich ist das zum Beispiel mit regulatorischen Sandboxes, wie sie unter anderem der Kanton Zürich anbietet. Davon können Unternehmen lernen, aber auch der Regulator. Drittens muss die Rechtsdurchsetzung gewährleistet sein. Am Schluss braucht es einen optimalen Mix an Massnahmen, gesetzgeberische und nicht gesetzgeberische, wie etwa ethische Standards und Prozesse zur Umsetzung von Standards. Es gibt bereits viele gute Standards. Wo es heute noch harzt, ist bei der Umsetzung in der Praxis. Hier sind etwa Trainings für Mitarbeitende wichtig.
Rund um das Thema E-ID und digitale Identität gab und gibt es Bedenken in der Bevölkerung. Digitalswitzerland spricht sich ganz klar für die neue E-ID aus. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Schweizer Bevölkerung, damit diese aktiv angenommen wird?
Ich verstehe den Vorbehalt – viele erinnern sich noch an die Abstimmung von 2021, wenn es um das Thema E-ID geht. Fakt ist, dass die Situation heute fundamental anders ist.
Inwiefern?
Die neue E-ID wird vom Bund herausgegeben, nicht von Privatunternehmen. Die Daten werden nicht auf einer zentralen Datenbank gespeichert. Sie liegen dezentral auf dem eigenen Smartphone, und jede Bürgerin und jeder Bürger kann selbst entscheiden, welche Daten sie mit wem teilen möchten.
Welche Vorteile können die Nutzer erwarten?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit einem Klick Formulare unterschreiben, Umzug melden, AHV-Konto einsehen oder beim Onlineweinhändler das Alter verifizieren – ganz ohne Behördengänge oder Ausweis-Scans. Das sind nur einige Beispiele von vielen.
Wie funktioniert das ganz konkret?
Mit der staatlichen E-ID sind Angaben wie Name, Adresse oder Geburtsdatum als verschlüsselte Attribute sicher in einer digitalen Wallet auf dem Gerät abgelegt. Für beispielsweise einen Handyvertrag oder einen Betreibungsregisterauszug genügt ein einziger Knopfdruck auf dem Smartphone, um dem Mobilfunkanbieter oder der Behördenstelle die angeforderten Angaben freizugeben und sie per Face ID oder PIN zu bestätigen. Da keine umständlichen Ausweisfotos hochgeladen, übermittelt und irgendwo auf externen Datenbanken dauerhaft gespeichert werden müssen, sinkt auch das Risiko von Identitätsdiebstahl. Jede Übertragung ist kryptografisch signiert; ein Betrüger kann sie nicht fälschen, ohne dass die Verifikation sofort fehlschlägt. Die Identität bleibt jederzeit unter der Kontrolle der Nutzerin.
Wird die analoge ID damit überflüssig?
Sie wird nicht verschwinden – die E-ID ist lediglich ein zusätzliches, freiwilliges Tool, das Komfort, Mehrwert und Sicherheit bietet.
Die Bedeutung des Datenschutzes und offener Quellcodes ist bei der E-ID entscheidend. Wie kann sichergestellt werden, dass diese Prinzipien auch bei internationaler Zusammenarbeit gewahrt bleiben?
Alle Attribute der E-ID, also Name, Adresse, Geburtsdatum und so weiter, sind ausschliesslich verschlüsselt und lokal in der digitalen Brieftasche auf dem Mobilgerät des Nutzers gespeichert. Nicht einmal der Bund hat Zugriff darauf, und es gibt auch keine Back-ups einzelner E-IDs auf einem Server des Bundes. Der Bund speichert lediglich einen kryptografischen Schlüssel, mit dem er die Echtheit bestätigt und natürlich die persönlichen Grunddaten einer Person im Personenregister des Fedpol. Wer also zum Beispiel mittels E-ID seine Volljährigkeit bestätigt, egal ob in der Schweiz oder im Ausland, schickt nicht sein Geburtsdatum quer durch das Netz, sondern lediglich einen verifizierbaren Altersnachweis. Damit reduziert sich das «Daten-auswandern-Problem» technisch schon auf ein Minimum.
Zur Person
Wo sehen Sie die grössten ungenutzten Potenziale für digitale Innovation in der Schweiz, die unser Leben in den nächsten fünf bis zehn Jahren massgeblich verändern könnten?
Grosses ungenutztes Potenzial steckt in unseren Daten. Digitalswitzerland unterstützt daher den Aufbau von vertrauenswürdigen Datenräumen, wo Unternehmen, Behörden und Forschung Daten teilen können, ohne die Hoheit darüber zu verlieren. Richtig umgesetzt, können sie ein riesiger Innovationstreiber und auch Kosteneinsparer sein, sei es in der Medizin, in der Industrie oder im Verkehrswesen. Damit einhergehend ist auch die Interoperabilität von Daten wichtig, beispielsweise für das elektronische Patientendossier. Auch Quantencomputer dürften innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre beginnen, unser Leben spürbar zu prägen.
KMU sind wichtige Innovationstreiber, doch gibt es eine wachsende Kluft zwischen grossen und kleinen Unternehmen in der Nutzung digitaler Technologien wie Cloud Computing und KI. Wo sehen Sie mögliche Ursachen?
Das liegt vor allem an den Skaleneffekten. Cloud Computing und künstliche Intelligenz sind infrastrukturlastige Technologien und sind dementsprechend kostenintensiv. Da zögern kleinere Unternehmen eher. Wenn ein Projekt scheitert, können Grossunternehmen das verkraften – für KMU sind die Hürden grösser.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Welche Chancen bietet die Digitalisierung, damit die Schweiz nicht nur wettbewerbsfähig bleibt, sondern auch Lebensqualität, Bildung und Zusammenhalt stärkt?
Mithilfe von Digitalisierung können wir den Wohlstand und die Lebensqualität der Schweiz nachhaltig sichern. Sie hat das Potenzial, unseren Alltag einfacher, inklusiver und sicherer zu machen. Etwa durch eine nahtlose digitale Verwaltung, ein vernetztes Gesundheitssystem oder personalisierte Lernangebote für alle Generationen. Letztendlich soll die Digitalisierung den Menschen dienen. Wir haben in der Schweiz alles, was es dazu braucht: Innovationskraft, exzellente Bildungsinstitutionen, starke Werte und einen offenen Dialog zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.