Die Digitalisierung ist in den meisten Unternehmen längst angekommen. Digitale Anwendungen, moderne ERP- Systeme, KI-Tools und Automatisierungslösungen gehören mittlerweile zur Grundausstattung. Dennoch bleibt der grosse Durchbruch oft aus. Prozesse werden zwar digitalisiert, doch häufig nur punktuell und ohne den gewünschten Erfolg.
Der Autor
Thomas Oschlisniok, Partner KPMG Schweiz, Experte für digitale Transformation
Die Praxis zeigt, dass in vielen Unternehmen immer noch stark segmentierte Strukturen vorherrschen: Marketing, Sales, Produktion, Logistik, IT – alle arbeiten mit eigenen Tools, eigenen KPIs und eigenen Prozessen. Was fehlt, ist die durchgängige Sicht auf die Wertschöpfungskette und die Fähigkeit, in unternehmensweiten Prozessketten zu denken. Die Folge: Medienbrüche, Reibungsverluste und vor allem verpasste Innovationschancen. Denn wirkliche Innovation entsteht häufig an den Schnittstellen: wenn Informationen frei fliessen, wenn Feedback aus dem Markt direkt in die Produktentwicklung einfliesst, wenn Vertrieb und Produktion nahtlos zusammenarbeiten.
Vom Kunden her denken
Ein zentraler Hebel liegt in der End-to-End-Transformation: Prozesse werden nicht mehr innerhalb von Abteilungsgrenzen definiert, sondern vom Kundenbedürfnis aus rückwärts geplant – sei es ein Kundenanliegen, ein Produktionsauftrag oder ein Finanzprozess. Das heisst: Nicht jede Abteilung optimiert für sich, sondern das Unternehmen gestaltet seine Abläufe ganzheitlich – vom Kundenimpuls bis zur finalen Wertschöpfung.
Durchgängige Prozesse erfordern gemeinsame Datenmodelle, transparente Workflows und klare Verantwortlichkeiten über Abteilungsgrenzen hinweg. Das gelingt nur mit digitalen Plattformen, die als Bindeglied dienen – nicht als weitere IT-Insel. Beispiele aus der Praxis zeigen: Wer das Zusammenspiel von Vertrieb, Auftragsabwicklung und Produktion digital vernetzt, kann Lieferzeiten massiv reduzieren, Fehlerquoten senken und die Kundenzufriedenheit messbar steigern.
Natürlich spielt Technologie eine zentrale Rolle, aber sie ist kein Selbstzweck. Cloud-Plattformen, Data-Lakes und Integrationstools wie APIs schaffen die technische Basis, auf der innovative KI-gestützte Analysewerkzeuge und Automatisierungslösungen aufsetzen. Doch entscheidend ist, dass die Technologie auf ein übergeordnetes Ziel einzahlt: das gemeinsame Verständnis für Wertschöpfung. Eine erfolgreiche End-to-End-Transformation startet daher immer mit der Frage, welches Erlebnis die Kundinnen und Kunden (auch interne) erwarten, und nicht, welche Systeme und Tools im Einsatz sind. Erst wenn alle Beteiligten die Customer-Journey und die Prozesse verstehen, kann Technologie wirksam eingesetzt werden.
Kulturwandel bildet das Fundament
Der Wandel von funktionalen Silos hin zu vernetzten Prozesslandschaften ist nicht nur technisch anspruchsvoll – er ist ein kultureller Kraftakt. Mitarbeitende müssen lernen, in Prozessketten zu denken, Verantwortung zu teilen und bereichsübergreifend zu handeln. Führungskräfte wiederum müssen eine neue Art der Zusammenarbeit vorleben: weniger Kontrolle, mehr Vertrauen sowie weniger Abteilungsdenken, mehr gemeinsames Zielbild. Change-Management ist daher ein integraler Bestandteil der digitalen Transformation. Erfolgreiche Unternehmen investieren gezielt in Kommunikation, Ausbildung und Inklusion – und schaffen so die kulturelle Reife, die es braucht, um Silos nachhaltig aufzubrechen.
Digitalisierung ist weit mehr als die Einführung neuer Tools. Sie ist eine Chance, das Unternehmen als Ganzes neu zu denken – vernetzt, kundenzentriert, agil. Wer Prozesse als gemeinsame Wertschöpfung im Sinne des Kundenerlebnisses versteht, schafft die Basis für nachhaltige Innovation. End-to-End-Transformation ist der Schlüssel dazu und schafft die dafür notwendige Vernetzung und Integration.