Anwälte seien auch in zehn, zwanzig Jahren noch relevant, ist die selbstständige Rechtsanwältin Carole Sorg von der Zürcher Kanzlei Sorg Bosshard Neth überzeugt. Künstliche Intelligenz könne Anwältinnen in der täglichen Arbeit aber inzwischen wesentlich unterstützen, sagt sie: «Es gibt Vorlagen, die wir einsetzen können. Bestimmte Tools etwa bieten eine Prüfung von Geheimhaltungsvereinbarungen an. Das erleichtert die Arbeit und spart Kosten.»

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Dabei betont Sorg die drei Hauptbereiche ihrer Arbeit: Die Vertragserstellung, die Beratung der Klientinnen und Klienten sowie die Prozessführung. Bei der Vertragserstellung gibt es mittlerweile zahlreiche Formulare, die Sorg einsetzt. «Repetitive Tätigkeiten wie Standardverträge aufsetzen werden immer mehr wegfallen. Anwälte und Anwältinnen, die das angeboten haben, werden sich etwas anderes suchen müssen.»

Sorg ist im Bereich von Arbeitsstreitigkeiten tätig, behandelt aber auch Familienrecht – und steht entsprechend oft bei Prozessen vor dem Richter. «Es geht um eine Strategie, die zu den Klientinnen und Klienten passt. Dabei zählt das Zwischenmenschliche, der individuelle Fall, und das kann keine Maschine ersetzen.»

Das Projekt Justitia 4.0

Anwälte und Anwältinnen können sich durch die Automatisierung wieder vermehrt auf die individuelle Beratung und die Prozessführung konzentrieren; etwa eine Scheidung oder ein Forderungsprozess liesse sich kaum durch künstliche Intelligenz behandeln, ist sich Sorg sicher.

Ein Plan in der Schweiz sieht vor, dass Rechtsanwälte, Rechtsanwältinnen und Gerichte bindend über das elektronische Justizportal kommunizieren müssen. Bis 2026 soll der elektronische Rechtsverkehr auf eidgenössischer und kantonaler Ebene mit dieser zentralen Plattform erfolgen.

Diesen Digitalisierungsprozess seitens der Behörden begrüsst Anwältin Aline Kratz-Ulmer: «Früher musste ich alles ausdrucken und in Papierform abschicken.» Jetzt sei es möglich, bestimmte Dokumente als PDF einzureichen und per Mail zu kommunizieren. «Die Behörden modernisieren sich jetzt und schätzen die Effizienz von digitalen Tools mehr und mehr. Darin zeichnet sich auch ein Generationenwandel ab», sagt Kratz-Ulmer.

Ihre Kanzlei Hubatka Müller Vetter Rechtsanwälte ist spezialisiert auf die Rechtsberatung in der beruflichen Vorsorge. Kratz-Ulmer arbeitet insbesondere mit Anlagestiftungen, Pensionskassen, aber auch mit gemeinnützigen Stiftungen. In diesen Bereichen führt sie Prozesse bei Streitigkeiten durch. Die Digitalisierung hilft ihr beispielsweise bei Invaliditätsfällen. Das sind grosse Dossiers, die sich über Jahre angesammelt haben. 

Diese erhält die Anwältin mittlerweile elektronisch. Damit könne sie umfangreiche Dossiers viel kürzer und effizienter durchschauen. «Diese Zeitersparnis nutze ich dann für die eigentliche Anwaltsarbeit», sagt Kratz-Ulmer: «Das primäre Handwerk der Juristen und Juristinnen ist die Sprache: Man muss in der Lage sein, rechtlich stichhaltig zu begründen. Man muss zwischen den Zeilen lesen und Widersprüchlichkeiten in den Aussagen aufspüren. Das kann künstliche Intelligenz nicht, aber sie kann unterstützen.»

Zukunftsthema Cloud-Anbieter

Wer sich seit über zwanzig Jahren mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt und ein erfahrener Kenner auf diesem Gebiet ist, ist David Rosenthal von der Anwaltskanzlei Vischer. Sie gehört zu den grössten Wirtschaftskanzleien der Schweiz und beschäftigt in Niederlassungen in Zürich, Genf und Basel rund hundert Anwälte und Anwältinnen.

Rosenthal veröffentlicht regelmässig Papers und Richtlinien, die sich mit Regulierungen und dem Spannungsfeld der Digitalisierung im Rechtsgeschäft beschäftigen. Dabei geht es um die Durchführung von internen Untersuchungen und den Rechtsraum innerhalb von Cloud-Anbietern. Auch die Themen wie Blockchain und Smart Contracts beschäftigen den Juristen zunehmend.

Auch Rosenthal glaubt daran, dass Anwälte und Anwältinnen auch in einigen Jahren noch alle Hände voll zu tun haben werden. Er nutzt Machine Learning vor allem für das Auswerten von grossen Dokumentenvolumen. «Die Menge an Daten innerhalb einer internen Untersuchung oder eines Data Breach ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Zur Bewältigung dieser umfangreichen Dokumente verwende ich Tools, die Muster erkennen und einordnen können», sagt Rosenthal. Mit dem Begriff «künstliche Intelligenz» geht er sparsam um; er spricht von digitalen Helfern. Er nutzt Dienste, die zum Beispiel aus dem Inhalt von sichergestellten E-Mail-Postfächern in einer Untersuchung Listen mit den in den Mails vorkommenden Namen erstellen oder thematische Muster erkennbar machen können, die dann «die Suche nach der Nadel im Heuhaufen erleichtert» – auch wenn sie zum Schluss manuell erfolgt.

Früher hätten Mitarbeitende teils Zehntausende von Mails durchgehen und Klienten und Klientinnen ihren Stundenlohn zahlen müssen. Nun könne diese Arbeit teilweise automatisiert und damit preisgünstiger angeboten werden. Allerdings hat die Technik ihre Grenzen: «Die Maschine kann Muster erkennen oder statistisch relevante Wortkombinationen ermitteln, aber verstehen tut die Inhalte nur der Mensch», sagt Rosenthal. «Den Spürsinn, den Blick fürs Ganze und das Zusammensetzen des Puzzles ersetzt der Computer in diesen Fällen nicht.»

Computer werden Anwälte nicht überflüssig, sondern effizienter machen.

 

Daneben arbeiten Rosenthal wie auch Sorg mit automatisierten Prozessen, wenn es um die Analyse oder Erstellung von Verträgen geht. Ein Beispiel ist die maschinelle Suche nach bestimmten Klauseln in den Verträgen eines Datenraums einer M&A-Transaktion. Das lässt bei den Honoraren vor allem mehr Mittel für die eigentliche Arbeit von Anwältinnen und Anwälten zu. Man spare zeitaufwendige und mühselige Fleissarbeit ein, «und damit kann ich mich wieder auf das Zwischenmenschliche in meinem Beruf konzentrieren, also verhandeln, überzeugen, Lösungen finden», sagt Rosenthal. Für die Arbeit, die Maschinen auch in Jahrzehnten nicht ersetzen können.

Risiken maschinell berechnen

Rosenthal war zuerst als Softwareentwickler tätig und wechselte erst später in die Rechtsberatung. Deshalb hat er sich früh mit der Einwirkung der Digitalisierung in seinem Berufsfeld beschäftigt.

Einen Ausblick, wohin die Anwaltspraxis im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung gehen könnte, zeigt Rosenthal in seinen Publikationen auf: Legal Tech bedeutet für ihn zum Beispiel, Risikobeurteilungen mittels Algorithmen viel strukturierter als sonst üblich durchzuführen. Er hat so etwa eine Methode zur «Berechnung» des Risikos eines ausländischen Behördenzugriffs bei Cloud-Projekten entwickelt.

Mit solchen Ansätzen könne in Zukunft einiges in Bereichen getan werden, in denen standardisierte Anforderungen bei Rechtsfällen bestehen. Ein ähnliches Projekt hat Rosenthal auch für Banken gemacht, um ihre Cloud-Projekte rechtlich zu beurteilen – «und damit sie dafür keine Anwältinnen und Anwälte mehr beauftragen müssen, die dann irgendwelche langen Memos schreiben». Der Einsatz von Tools wie Excel klinge zwar nicht sehr «fancy» und habe auch nichts mit KI zu tun, aber letztlich gehe es darum, wie mit dem Einsatz von IT und neuen Ansätzen die Anwaltsarbeit besser werde. Es soll hierbei nicht die Maschine dem Menschen alle Arbeit abnehmen, sondern ihm helfen, schwierige Fragen effizienter, strukturierter und damit letztlich auch objektiver zu beurteilen.

Weil einiges davon Open Source ist, können Institutionen diese Tools selbst einsetzen und sich erst anschliessend für spezifische Fragen an die Anwältin oder den Berater wenden. «Computer werden Anwältinnen und Anwälte also nicht überflüssig, aber effizienter machen», sagt Rosenthal und ergänzt: «Unser Job besteht ja nicht einfach nur darin, Dokumente auf Klauseln hin zu durchsuchen oder Gerichtsentscheide zu einem Thema zu finden – unser Job ist noch immer ein People-Business und eines, in dem Kreativität erforderlich ist. Wie in anderen Bereichen sind Maschinen auch hier nicht besonders kreativ.»