Für Investoren ist 2022 kein gutes Jahr: Der SMI liegt 20 Prozent im Minus. Obligationen, die in «normalen» Zeiten zu den Aktien gegenläufige Kurse haben, rauschten ebenfalls zweistellig nach unten. Der Bitcoin, von einigen Verfechtern als «das digitale Gold» und als ultimatives, nicht von Notenbanken manipulierbares Absicherungsinstrument gepriesen, liegt 60 Prozent in den Miesen.

Selbst der Goldpreis, das ultimative Kriseninstrument, steht 8 Prozent unter Jahresanfang. Für die in Schweizer Franken rechnenden Anleger gibt es einen kleinen Trost: Der starke Dollar hat den Goldpreis in Franken ziemlich stabil gehalten.

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Bestätigung kommt nächsten Mai

Der Dollar ist in diesem Jahr aufgrund der Leitzinsanhebungen durch die Fed in den USA um gut 10 Prozent gestiegen. Auch hier sind es die Zinsen, die über die Preisentwicklung fast aller Assets inklusive der nicht gelisteten Private-Equity-Anlagen entscheiden. Wer investiert, tut deshalb gut daran, zu schauen, was die Fed unternimmt – denn die anderen Notenbanken müssen nachziehen.

«Wir gehen davon aus, dass die Zentralbanken den Grossteil der in diesem Zyklus zu erwartenden Zinserhöhungen in diesem Jahr noch vornehmen werden», sagt Karsten Junius, Chefökonom bei der Privatbank J. Safra Sarasin. Zum Jahresende rechnet er mit Zinsniveaus von 4,5 Prozent in den USA, 2 Prozent im Euro-Raum und 1,5 Prozent in der Schweiz. «Die Geldpolitik wird damit dann im restriktiven Bereich sein», so Junius weiter. «Die Zentralbanken werden aber noch lange nicht erklären können, die Inflationsgefahren besiegt zu haben. Die Gesamtinflationsraten mögen zwar bis dahin ihren Hochpunkt hinter sich gelassen haben, die Kerninflation wird aber deutlich langsamer sinken und steigende Löhne können ihren Rückgang sogar noch weiter verzögern.»

Dazu komme hier in der Schweiz, dass gewisse administrierte Preise wie die für Strom erst mit einer Verzögerung angepasst werden. «Um die Inflationsgefahren in Schach zu halten, erwarten wir daher auch in der ersten Jahreshälfte 2023 noch vereinzelte Zinserhöhungen – mit Zinssenkungen rechnen wir 2023 nicht», so der Ökonom.

Damit bleiben die Zinsen trotz einer Rezession erst einmal auf einem deutlich höheren Niveau. «Der Konjunkturzyklus hat sich im Euro-Raum jetzt schon so stark abgeschwächt, dass wir davon ausgehen, bereits jetzt in einer Rezession zu sein», erklärt Junius weiter. Die Daten, die das bestätigen können, würden allerdings erst im Mai nächsten Jahres veröffentlicht. «Dann ist das Thema an den Finanzmärkten vermutlich schon durch», glaubt Junius. «Die USA dürften erst im nächsten Jahr in eine Rezession fallen. Eine sanfte Konjukturlandung halten wir auch dort für wenig wahrscheinlich.»

Dafür seien die Zinsen schon zu stark gestiegen, und die sich abzeichnende Abkühlung des Immobilienmarktes sei zu stark ausgefallen. Das erscheint notwendig, um die Inflationsraten zu senken. Schliesslich gehe ein grosser Teil der Kerninflation auf steigende Mieten und Kosten für selbst genutztes Wohneigentum zurück, sagt Junius.

Eigene Immobilie spürt die Zinswende

Die Zinsen bleiben ein Hauptfaktor für die Bewertungen an den Aktienmärkten, sagt Junius. Deshalb schauen alle Investoren wie gebannt auf die Entwicklung bei den Leitzinsen. «Wir sehen das immer wieder – sobald Hoffnungen aufkeimen, dass das Fed seine Leitzinsen doch nicht so stark anheben könnte wie bis anhin erwartet, haussieren die Aktienmärkte. Dies führt dazu, dass Aktien auch von schlechten Konjunkturnachrichten profitieren können. Allein bei schlechten Inflationsdaten verlieren sowohl Obligation als auch Aktien.»

Der zweite wichtige Einflussfaktor für die Aktienmärkte – die Unternehmensgewinne – sind gemäss Junius bisher im Hintergrund geblieben. «Hohe Gewinne im Energiesektor und teilweise hohe Margen haben bislang dazu beigetragen, dass die Gewinne vor allem in den USA noch nicht stark eingebrochen sind», so Junius. «Das Momentum ist aber auch hier negativ, und wir rechnen damit, dass die sich abschwächende US-Konjunktur mit einem deutlichen Gewinnrückgang einhergehen wird. Schliesslich werden auch die Gewinne im Energiesektor nicht noch einmal so stark wachsen können.»

Und auch für Obligationen sieht es nicht gut aus. «Es ist sehr lange her, dass sie so starke Kursverluste in so kurzer Zeit verzeichnen mussten», resümiert Karsten Junius. Daraus liessen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens sei es gefährlich anzunehmen, festverzinsliche Anlagen seien nur geringen Kursrisiken ausgesetzt.

Zweitens sind nach der Korrektur die Renditen von Obligationen wieder auf deutlich attraktiveren Niveaus. «Die Zeit negativer Zinsen ist ganz klar vorbei», erklärt Junius. «Die Volatilität ist im Zinsbereich allerdings noch extrem hoch, sodass wir auch hier vorsichtig investieren würden. Das heisst, dass eher kurze und mittlere als sehr lange Laufzeiten zu bevorzugen wären.»

Auch sei die Zeit noch zu früh, stärker in die risikoreicheren Unternehmen aus dem High-Yield-Bereich zu investieren. Der Konjunkturabschwung und die hohen Zinsen könnten weniger widerstandsfähige Unternehmen noch sehr stark belasten. «Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Haushalte von steigenden Zinsniveaus nicht nur auf der Investmentseite betroffen sind», sagt Karsten Junius. «Die Hypothekarzinsen sind ebenfalls stark angestiegen. Anlegerinnen und Anleger sollten daher auch mitberücksichtigen, inwieweit sie davon betroffen sind.»