Ein Schweizer Technologiekonzern rüstet seine Büros mit Wärmepumpen aus, kauft Grünstrom und ersetzt die Firmenflotte durch Elektrofahrzeuge. Das Resultat: Die direkten Emissionen sinken um 30 Prozent. Doch in der Gesamtbilanz aller Emissionen macht das weniger als 1 Prozent aus.

Die Autoren

Bastien Girod ist Partner und Henry Kulla Manager Nachhaltigkeit bei Deloitte Schweiz

Diese sogenannten Scope-3-Emissionen sind für viele Schweizer Unternehmen der blinde Fleck ihrer Klimastrategie. Während sich Scope 1 und 2 auf direkte Emissionen und eingekauften Strom beschränken, umfasst Scope 3 die gesamte Wertschöpfung von der Gewinnung bis zur Entsorgung.

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Ausmass wird unterschätzt

Die Dimensionen sind verblüffend. Bei einem Schweizer Logistikkonzern machen Scope 1 und 2 weniger als 1 Prozent aus, weil die Transport- und Lagertätigkeiten an Drittparteien ausgelagert sind. Ganz anders sieht es bei einem Baumaterialhersteller aus, bei dem wegen der energieintensiven Produktion 62 Prozent der gesamten Emissionen firmenintern anfallen.

Der Handlungsbedarf der Unternehmen zur Identifikation und Offenlegung aller Scope-3-Emissionen wächst stetig. Denn für die Gesellschaft sind am Ende die gesamten Produktemissionen entscheidend. Entsprechend verlangen auch freiwillige Initiativen wie Science-Based Targets eine Reduktion im Scope 3.

Zudem schreibt die EU grossen Unternehmen – darunter auch Schweizer Betriebe mit substanziellem EU-Geschäft – die transparente Offenlegung vor. Diese Anforderungen werden oft an Zulieferer weitergegeben, weshalb die Unternehmen lernen müssen, verborgenen Emissionen zu identifizieren.

Schätzungen statt Fakten

Das Problem: Niemand weiss genau, wie stark diese Emissionen sind. Die wenigsten Unternehmen können nachvollziehen, aus welchen Minen ihre Rohstoffe stammen oder wo sie verarbeitet wurden. Die Einsicht endet meist bei der ersten Lieferstufe.

Bisher wurden die Emissionen grob nach Einkaufsvolumen geschätzt: Pro ausgegebenen Franken in einer Produktkategorie wird ein CO₂-Wert angenommen. Eine solche einfache Analyse reicht meistens für das regulatorische Reporting, doch für strategische Entscheidungen taugt sie nicht. Denn bei Preisschwankungen schwanken auch die berechneten Emissionen, es kann sogar paradox werden: Kauft etwa ein Unternehmen teurere, aber umweltfreundlichere Materialien, steigen rechnerisch die Emissionen.

Gewicht statt Geld

Präziser sind gewichtsbasierte Modelle, die Emissionen pro Kilogramm Material berechnen. Doch auch hier hakt es: Gewichtsdaten fehlen in vielen Systemen oder sind notorisch fehleranfällig, weil bei manuellen Einträgen leicht Fehler entstehen können. Beratungsunternehmen können mit Softwareentwicklern automatisierte Dashboards erstellen, die diese Daten live darstellen und Fehler ausmerzen.

Die Königsklasse sind sogenannte Product Carbon Footprints (PCF): Dokumente, die exakt die Emissionen eines spezifischen Produkts von einem bestimmten Lieferanten aus einer konkreten Produktionsanlage ausweisen. So verlangt ein italienischer Energiekonzern bereits jetzt auditierte PCFs, bevor er einen Lieferanten überhaupt berücksichtigt.

KI als Gamechanger

Doch stellen Sie sich vor, Konzerne würden Hunderttausende PCFs von ihren Lieferfirmen verlangen. Der Aufwand für deren Verwertung wäre erdrückend. Hier kommen KI-Tools ins Spiel. Sie können PCFs heute bereits zuverlässig generieren und automatisch durch Lieferketten weiterreichen. Die Implementierungskosten variieren je nach Lösung erheblich.

Der entscheidende Schritt

Die grösste Herausforderung liegt nicht in der Technologie, sondern in deren Nutzung durch die Mitarbeitenden im Alltag: Wie entscheidet eine Einkäuferin zwischen einem grünzertifizierten Produkt aus China und einem Leichtbaumaterial aus Schweden oder von einem lokalen Anbieter? Wenn sie dafür fünf verschiedene Systeme durchforsten und unzählige E-Mails schreiben muss, bleibt die nachhaltige Beschaffung Theorie.

Erfolgreiche Unternehmen schaffen Anreizsysteme: Einkäufe werden nicht nur nach Kosten, sondern auch nach CO₂-Reduktion bewertet. Dashboards zeigen auf einen Blick Preis und Klimaimpact verschiedener Lieferanten. So wird Nachhaltigkeit vom lästigen Zusatzaufwand zum strategischen Vorteil.

Wettbewerbsvorteil durch Transparenz

Unternehmen, die heute in präzise und automatisierte Scope-3-Messung investieren, verschaffen sich einen dreifachen Vorteil: Sie können ihren Kunden konkrete Nachhaltigkeitsangaben machen, reduzieren Risiken in ihren Lieferketten und erfüllen bereits jetzt künftige Regulierungen. Der unsichtbare CO₂-Riese wird zum sichtbaren Wettbewerbsfaktor.