Die Digitalisierung spaltet den Bildungsbereich: Einerseits sollen Schulen vernetzt und junge Menschen mit digitalen Technologien frühzeitig auf die Anforderungen einer zunehmend digitalen Welt vorbereitet werden. Anderseits diskutiert man Verbote von Smartphones im Unterricht – und setzt diese teilweise bereits durch.
«Lernen ist etwas zutiefst Menschliches», sagt Roger Spindler, Direktor an der Schule für Gestaltung Bern und Biel und Referent am Zukunftsinstitut in Frankfurt a. M. (D). «Das fängt bereits nach der Geburt an.» Und geht idealerweise in der Schule und später dann im Beruf weiter. «Wobei – wenn man die Schule bis heute nicht erfunden hätte und sich zusammensetzen und überlegen würde, wie man das Lernen organisieren soll, würde wohl niemand auf die Idee kommen, alles in 45-Minuten-Blöcke und das Wissen auf die unterschiedlichen Fächer, wie wir sie heute kennen, aufzuteilen.» Die schulischen Strukturen weichen sich heute auf – «aber es braucht weiterhin eine gewisse Verbindlichkeit», so Spindler. Diese spüre man, wenn man ein Schulzimmer betrete, «es sind idealerweise Beziehungsräume, man will sehen und spüren, dass darin etwas passiert.»
Edutecture als Umgebungsfaktor
Eine wichtige Rolle spielen hierbei Gestaltungselemente, die Spindler mit dem Begriff «Edutecture», zusammengesetzt aus Education und Architektur, bezeichnet. Licht («ein Licht aufgehen»), Luft («den Kopf auslüften»), Lärmschutz (um Kopfhörer zu vermeiden) und Liebe beziehungsweise Sorgfalt gehören dazu. Moderne Technologien spielen heute eine wichtige Rolle – sie sind am besten eine unsichtbare Unterstützung, die einfach funktionieren muss.
Diese Technologien haben sich in den vergangenen vierzig Jahren deutlich verändert, so Spindler weiter: In den späten 1980er-Jahren tauchten die ersten Computer – viele darunter von Apple – auf. «Mit dem iPhone wurde es dann aber wirklich anders», so Spindler weiter. «Schülerinnen und Schüler begannen damit, zu überprüfen, ob das stimmt, was die Lehrperson vorne jeweils erzählt hat.» Das Jahr 2010 brachte den «Pisa-Schock», die Frühförderung und auf Technologieseite Smart Boards sowie Youtube. Mitte des Jahrzehnts wurden mit dem Lehrplan 21 die MINT-Fächer aufgewertet und Kompetenzen statt Lernziele betont. Gegen Ende des Jahrzehnts kamen mit Instagram und Snapchat weitere Social-Media-Plattformen auf – Facebook war bei den jungen Menschen out. «Dann kam 2020 das Coronavirus, und alles, was man zuvor zur Nutzung von Technologie im schulischen Alltag diskutiert hatte, musste mit dem Homeschooling plötzlich funktionieren», so Spindler weiter. «Und Ende 2022 kam dann Chat GPT – und damit wird alles, Schule, Bildung, Prüfungen, infrage gestellt.»
Fragen an die KI
Diese rasche Abfolge neuer Technologien rückt etwas in den Hintergrund, was beim schulischen Lernen gleich bleibt. «Es geht um Aufmerksamkeit, Neugier, Motivation und Beziehungsarbeit», so Spindler. «Zum Lernen gehört auch immer Anstrengung.» Bildung gehe viel weiter als das Lernen – und dann entwickle man sich so weit, Fragen stellen zu können. «Richtig Fragen stellen zu können: Das ist eine der grossen Herausforderungen heute», sagt Spindler.
Spindler erwartet, dass Technologien des Nach-Smartphone-Zeitalters ein Teil der Lösung sein werden. Wie die aussehen werden, weiss man heute noch nicht. Man weiss lediglich, was sie leisten müssen: «Wir benötigen Plattformen, welche das Lernen unterstützen.» Ob sich damit auch das erwünschte kritische Denken einstellt, ist eine andere Frage. «Hierbei kommt es weiterhin sehr stark auf die Lehrperson an», erklärt Spindler. «Denn auch die Antworten der KI müssen hinterfragt werden.»