Vom Schmetterling im Garten über das Moos im Wald bis hin zur Forelle im Bergbach: Ihre Anwesenheit ist ein Indikator für ein gesundes Ökosystem. Was man nicht sieht, ist die Chemie dahinter: Jeder Duft, jede Farbe, jeder Prozess der Photosynthese ist ein komplexes Zusammenspiel von Molekülen. Jedes Molekül ist wie ein Baustein, der in diesem gigantischen, unendlich komplexen «Chemielabor» der Natur in unzähligen Variationen zusammengesetzt wird, um etwas Magisches zu schaffen.
Wie schaffen es nun die Chemie-, Pharma- und Life-Sciences-Industrie – eine Welt voller Labore und Fabriken – nicht nur, diese Natur nachzuahmen, sondern sie auch zu schützen? Wie können wir die Welt ernähren, Krankheiten heilen und gleichzeitig die Artenvielfalt bewahren? Die Antwort liegt nicht nur im Verzicht, sondern auch in der Innovation. «Die Natur liefert uns nicht nur Rohstoffe, sondern auch Ideen. Sie inspiriert Forschung, Entwicklung und nachhaltige Produktionsprozesse», erklärt Stephan Mumenthaler, Direktor beim Schweizer Wirtschaftsverband Scienceindustries, und präzisiert: «Unsere Industrie braucht Biodiversität als Innovationsmotor – ob für Heilmittel, biologische Pflanzenschutzmittel oder biobasierte Chemikalien.»
Biodiversität nutzen und schützen
Die Branche habe «ein ureigenes Interesse daran, Biodiversität zu erhalten – weil sie unsere Geschäftsgrundlage mit sichert», betont Mumenthaler. Entsprechend reduzieren die Mitgliedsunternehmen gezielt ihre Umweltauswirkungen und investieren in Innovationen. Als zentraler Ansatzpunkt gelte das effiziente Management von Ressourcen, von verantwortungsvollem Einkauf bis zur Kreislaufwirtschaft. Innovationen aus der Biotechnologie würden dabei ressourcenschonende Produktionsprozesse ermöglichen. «Ein Beispiel: das Projekt Veramaris produziert Omega-3-Fettsäuren für die Aquakultur mithilfe von Mikroalgen. Dies kann jährlich den Fang von über einer Million Tonnen von Wildfischen ersetzen und so einen wichtigen Beitrag zum Artenreichtum der Meere leisten», erklärt Mumenthaler.
Der Erfolg dieser Massnahmen könne auf lokaler Ebene durch ein geeignetes Biodiversitäts-Monitoring überprüft werden, zum Beispiel durch die Erhebung der Artenvielfalt auf dem Firmengelände. Schwieriger werde es, wenn die Auswirkung von Massnahmen auf regionaler oder gar internationaler Ebene beurteilt werden sollen. «Es fehlt an global einheitlichen Standards, um Biodiversität messbar zu machen. Hier braucht es dringend Fortschritte, ähnlich wie beim Klimaschutz», betont Stephan Mumenthaler.
Nachhaltiger Fortschritt versus Regulierung
Auch wenn das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Branche heute um ein Vielfaches grösser ist, so belasten bestimmte Substanzen aus früheren Industrieprozessen die Ökosysteme noch heute. «Unsere Unternehmen sanieren belastete Standorte und übernehmen Verantwortung, wo sie eine Verursacherrolle haben», erklärt Mumenthaler den Umgang mit solchen Altlasten. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen seien wichtige Lehren für heutige und zukünftige Innovationen gezogen worden. «Heute werden Biodiversitätsaspekte frühzeitig in Forschung und Produktdesign berücksichtigt, um die Umweltauswirkungen am Ende des Lebenszyklus zu minimieren.»
Dass sich bei der Entwicklung moderner Biotechnologien auch ethische Dilemmata ergeben können, weil sie unvorhergesehene Auswirkungen auf Ökosysteme und Biodiversität haben können, weist Mumenthaler nicht von der Hand. Er betont jedoch, dass auch das Nichthandeln ein Risiko darstellen könne. «Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion um neue Pflanzen-Züchtungsverfahren mithilfe der Genom-Editierung. Der Bundesrat hat kürzlich eine der weltweit restriktivsten Regelungen vorgeschlagen, die fachlich nicht belegte Risikobefürchtungen über belegbare Chancen für eine nachhaltigere Landwirtschaft stelle. «Damit werden Chancen für eine nachhaltigere und auch biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft in der Schweiz langfristig verbaut», so Mumenthaler. Generell stuft Mumenthaler nicht alle regulatorischen Rahmenbedingungen als praxistauglich ein. Gewisse Vorschriften würden die Industrie vor grosse Herausforderungen stellen. «Wir begrüssen klare Regeln, aber sie müssen sektorspezifisch, innovationsfreundlich und umsetzbar sein», resümiert Stephan Mumenthaler.
Am Ende zeigt sich: Der Schmetterling, der im Garten herumflattert, und die globale Industrie sind keine Gegenspieler, sondern Teil desselben komplexen Netzes, in dem Innovationen für das Überleben der Artenvielfalt entscheidend sein können. Das Prinzip dabei ist einfach: Kleine Ursachen können eine grosse Wirkung entfalten – der Schmetterlingseffekt.