Selten kollidierten Theorie und Praxis so heftig wie bei der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Rund 50 000 Unternehmen sollten Hunderte Datenpunkte liefern. Das Ergebnis: ein teurer Bürokratie-Marathon, der kaum CO2 spart.
Der Autor
Dominik Meier, Inhaber der Politikberatung Miller & Meier Consulting und Beirat des Swiss Green Economy Symposium
Seit der Präsentation des Green Deal 2019 hat Europa jedoch eine Zeitenwende erlebt: Krieg in der Ukraine, fragile Lieferketten, schwächelnde Industrie und ein Wettlauf um Verteidigungs- sowie Zukunftstechnologien. Diese tektonischen Veränderungen machen deutlich, dass Nachhaltigkeitspolitik heute mit Industrie- und Sicherheitspolitik verknüpft ist. Die EU muss ihre gemeinsame Wehrhaftigkeit stärken und den Standort Europa stützen. Was 2019 als kostengünstige Transparenzoffensive galt, wirkt 2025 – unter Inflation, Fachkräftemangel und Rezessionsrisiken – wie ein Bremsklotz für Investitionen in Zukunftstechnologien. Europa braucht daher eine neue Balance, die klimabezogene Offenlegungspflichten dorthin lenkt, wo sie echten Mehrwert schaffen, ohne die wirtschaftliche Resilienz zu erodieren.
Zeitplan auf Eis
Im Frühjahr stoppte das Europäische Parlament den Zeitplan für die CSRD per «stop the clock». Brüssel schnürt nun ein Omnibus-Paket, das drei Flaggschiffe verschlanken soll: Taxonomie-Verordnung, CSRD und Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Motto: weniger Pflicht, mehr Wirkung. Künftig gelte der volle Kanon nur noch für Firmen mit über tausend Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz; die Zahl zu meldender Indikatoren sinkt ebenfalls. Oft ignoriert: Grosse Firmen wälzen Pflichten auf kleinere ab. Das geht dann bis zu den kleinsten Unternehmen, die Daten und Reports an die Unternehmen weiterleiten müssen, um Compliance-konform zu agieren.
Schlankere Berichtspflichten schaden aber dem Klima nicht – im Gegenteil: Klare, präzise Daten sind wertvoller als Datenhalden. Und die Opportunitätskosten für Unternehmen sind ein entscheidender Faktor. Denn: Jeder Euro, der in ausufernde Reports fliesst, fehlt für Investitionen in Wärmepumpen, Wasserstoffnetze oder grünen Stahl. Deshalb war das Stop-the-Clock-Proposal ein notwendiger Schritt, wenngleich die Eingrenzung der Zielgruppe nur bedingt hilft. Dem Klimaschutz entgeht dennoch kein Gramm CO2-Einsparung, der Wirtschaft aber Tausende Verwaltungsstunden und Euro.
Moderne Märkte brauchen regulative Ordnungsrahmen; doch wer jede Schraube oder Tomate kontrolliert, vertreibt Unternehmen aus Risiko-Regionen – mit Kollateralschäden genau bei jenen Menschenrechten, die geschützt werden sollen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, verspricht 25 Prozent weniger Last. Das ist dringend notwendig. Nicht kleinteilige Bürokratie, sondern Marktanreize lenken nachhaltiges Wirtschaften.
Bürokratische Überlast als Risiko
Ökonomische Ressourcen sind und bleiben die erste Verteidigungslinie Europas. Jede überflüssige Berichtsstunde bindet Ingenieure, Entwicklerinnen und Fachkräfte, die stattdessen Lösungen für Energie-, Resilienz- und Rüstungslücken schaffen könnten. Wer Unternehmen mit administrativen Pflichten erdrückt, untergräbt daher nicht nur deren Rentabilität, sondern auch die sicherheitspolitische Schlagkraft der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Bürokratische Überlast verwandelt sich so in ein strategisches Risiko erster Ordnung.
Wehrhaftigkeit bemisst sich folglich nicht allein an Panzern, Raketen oder Verteidigungsetats, sondern an der Fähigkeit, regulatorische Energie auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die EU darf legitime Transparenzansprüche nicht aufgeben, muss sie aber präzise priorisieren: Welche Kennzahl ist wirklich entscheidend? Erst wenn diese Fragen klar beantwortet sind, entsteht das Investitionsvertrauen, das grünen Stahlwerken, Wasserstoffpipelines oder Batteriezellfabriken zugutekommt. Schlanke, eindeutige Regeln schaffen damit doppelte Dividende: Sie senken Kosten und beschleunigen zugleich den Übergang zur Klimaneutralität. So hält die EU Kurs auf ihr ambitioniertes Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein – ohne sich auf dem Feld der Bürokratie zu verzetteln.