Sulzer. Seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert ein Urgestein in der Schweizer Industrielandschaft. Breiten Bevölkerungskreisen (und älteren) noch präsent mit Maschinen, Dieselmotoren, Pumpen, Lokomotiven – und gefühlt hundert anderen Produkten. Doch das sind tempi passati. Nach turbulenten Jahren mit Käufen und Verkäufen ist der Winterthurer Konzern kaum mehr zu erkennen.
Heute erwirtschaften weit über 13’000 Mitarbeitende an 160 Produktions- und Servicestandorten weltweit einen Umsatz von 3,5 Milliarden Franken. Mit den drei Divisionen Flow (Wasser, Industrie, Energie, Infrastruktur), Services und Chemtech (Trenntechnologie, Verfahrenslösungen für Prozessanlagen) werden Wachstumsmärkte bedient, welche die Sicherheit und Qualität kritischer Güter und Dienstleistungen und gleichzeitig den Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft sicherstellen sollen.
Nägel mit Köpfen
Dies wiederum unterstützt den Übergang zur Kreislaufwirtschaft. «Unsere integrierten Lösungen schaffen einen erheblichen Mehrwert, indem sie Energieeffizienz, die Reduzierung von Kohlenstoffemissionen und Umweltverschmutzung sowie eine bessere Prozesseffizienz ermöglichen», sagt Executive Chairwoman Suzanne Thoma.
Biopolymer-Technologie
Derweil sich Politik und NGOs mit gut gemeinten Ideen zu nachhaltiger Entwicklung überbieten, machen die Winterthurer Nägel mit Köpfen. Und zwar mit «Innovation Technology Hubs». Einen Hub in Singapur und bisher zwei in der Schweiz – in Allschwil und Oberwinterthur. Diese Hubs fokussieren auf spezifische Technologien. «Sie sind mit allem ausgestattet, was innovative Unternehmen benötigen, um künftige Technologien aus der Theorie in die Realität zu bringen – von Batterie- und Kunststoffrecycling über nachhaltige Flugzeugtreibstoffe und Biopolymere bis hin zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung und vielem mehr», erklärt Virginie Bellière-Baca, Global Head of Technology and Innovation von Sulzer Chemtech.
Intelligente Materialien
Nun hat Sulzer kürzlich seinen vierten Standort in der Schweiz eröffnet. Der sogenannte Innovation Technology Hub (Intech) in Winterthur Töss wird die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten von Sulzer in der Polymerverarbeitung und im Polymerrecycling weiter stärken. Mit 3150 Quadratmetern Labor- und Forschungsfläche sei diese strategische Investition Teil des kontinuierlichen Engagements des Unternehmens für nachhaltige Innovation.
Das Potenzial ist enorm, denn mit der Zunahme der Weltbevölkerung wächst auch die Menge an Kunststoffen stetig, die für Verpackungen, Elektronik oder das Bauwesen verwendet werden. Für Tim Schulten, Leiter der Division Chemtech, geht es auch darum, Kunden bei der Entwicklung intelligenter Materialien und zirkulärer Geschäftsmodelle zu unterstützen.
Das Intech-Zentrum ist mit Folien-, Form-, Schaum- und Extrusionsanlagen ausgestattet, die es ermöglichen, Biopolymere präzise zu formen, um spezifische Kundenanforderungen wie Haltbarkeit, Flexibilität oder biologische Abbaubarkeit zu erfüllen. Vor Ort sei die Herstellung von Prototypen in einer Grössenordnung von wenigen Kilogramm bis zu einigen Tonnen möglich, so Virginie Bellière-Baca.
Traditionell werden diese Kunststoffe aus fossilen Quellen hergestellt. Biopolymere wie PLA (Polymilchsäure) und PCL (Polycaprolacton) hingegen können aus erneuerbaren Quellen und biologisch abbaubar hergestellt werden – etwa aus Zuckerrohr – und haben daher einen viel geringeren CO2-Fussabdruck. Bellière-Baca: «Biopolymere tragen damit zur Lösung von zwei grossen ökologischen Herausforderungen bei: Kohlenstoffemissionen und Plastikabfälle.» Biokunststoffe gelten daher als Materialbausteine der Zukunft.
Für Konzernchefin Suzanne Thoma zeigt diese Investition, «wie wir essenzielle Industrien bedienen, um zu einer prosperierenden Wirtschaft und einer nachhaltigen Gesellschaft beizutragen». Entsprechend werde Sulzer «weiterhin in wichtige unternehmensinterne Bereiche investieren und die Wachstumsinitiativen fortsetzen».
Nachgefragt mit Tim Schulten, Divisionsleiter Sulzer Chemtech
Tim Schulten, Sulzer
Was war der Grund, spezielle Innovation Technology Hubs zu schaffen?
Wir wollen verschiedene Aktivitäten für Partner und Kunden zusammenzufassen – im Sinne einer Partnerschaft für Forschung und Entwicklung. Die Bündelung unserer Experten und deren Fachwissen soll die Zusammenarbeit effizienter machen und Kollaborationen, Innovationen und Anwendungsentwicklungen beschleunigen. So möchten wir unseren Kunden näherbringen, dass sie bei uns Zugriff auf Experten weltweit haben und uns dazu nutzen können, ihre Ideen im Kleinen oder Grossen zu testen, um neue Produkte und Anwendungen schneller in den Markt zu bringen.
Was kann die Kundschaft vom InTecH in Winterthur Töss erwarten?
In unserem Hub dreht sich alles um massgeschneiderte Lösungen – ob es um die Reinigung von Materialien, die Herstellung nachhaltiger Schaumstoffe aus rezyklierten Materialien oder die Entwicklung biobasierter Kunststofflösungen geht. Gemeinsam mit unseren Experten können Kunden ihr Produktangebot auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe abstimmen.
Was ist in nächster Zeit von den Innovation Technology Hubs zu erwarten? Was steckt in der Pipeline?
Wir sind bereits gut ausgelastet – mit kundenspezifischen Entwicklungsarbeiten und Aufträgen. Auch haben wir Besucher von internationalen Konzernen empfangen, die sehr interessiert sind an unserem Angebot. Das zweite Halbjahr sieht also vielversprechend aus!
Interview: Werner Rüedi