Das Gesundheitswesen in der Schweiz steht vor einer grossen Herausforderung. Die demografische Verschiebung in Europa führt zu einer stetig wachsenden Gruppe von Behandlungsbedürftigen: Bis 2030 wird die Anzahl der Menschen über 65 Jahren in der Schweiz voraussichtlich um 30 Prozent steigen. Parallel schrumpft die Zahl der Fachkräfte dramatisch. Allein in der Pflege prognostiziert die Finanzstudie der Schweizer Spitäler, dass bis zum Jahr 2030 30'500 Pflegestellen im Land nicht besetzt sein werden. Eine andere Untersuchung – in diesem Fall aus Deutschland – belegt die daraus resultierende Überbelastung der Ärzte und Ärztinnen. Schon jetzt arbeiten sie im Durchschnitt fünfzig Stunden pro Woche. Die Hauptgründe für diese Mehrarbeit sind in erster Linie organisatorische Aufgaben. Nur knapp zwei Drittel der Arbeitszeit fliesst tatsächlich in die Patientenbetreuung. Ähnlich sieht es in Schweizer Spitälern aus.
Chance auf Entlastung
Die digitale Transformation und der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen sind laut Salome von Greyerz, Leiterin der Abteilung Gesundheitsversorgung und Berufe beim BAG, kein Luxus, sondern eine Chance zur Entlastung und zur Berücksichtigung aktueller Entwicklungen. Dennoch bleiben zentrale Fragen offen: Wird KI das medizinische und das Pflegepersonal entlasten oder ersetzen? Und wie autonom darf sie in digitalen Spitalsystemen agieren, ohne ethische Grenzen zu überschreiten? Tatsache ist, dass KI primär als unterstützende Kraft eingesetzt werden sollte. Der Co-Director am Ludwig Boltzmann Institute for Digital Health and Prevention in Salzburg, Jan Smeddinck, sagte in einem Interview: «KI kann einen gesunden Lebensstil und Behandlungen bei Krankheit unterstützen – mit personalisierten Anwendungen.» Er ergänzt jedoch: «Doch sie ersetzt keine menschliche Entscheidung oder Expertise.» In seinen Augen ermöglichen die neuen Technologien, dass Fachpersonen sich stärker auf die Patienten konzentrieren können. Die eigentliche Unzufriedenheit und Mehrarbeit im Spitalalltag entstehen durch die hohe Arbeitsbelastung, den Personalmangel und den Wunsch nach besseren Strukturen und weniger Bürokratie. Diesen entlastenden Ansatz bestätigt auch Susanne Wegener vom Universitätsspital Zürich (USZ) im Rahmen einer Schlaganfallstudie: «Ersetzen wird sie uns nicht; KI kann uns aber dabei helfen, die Erfolgsaussichten einer Therapie besser einzuschätzen und damit die Behandlungsqualität weiter zu optimieren.» Die Quintessenz ist, dass der Mensch von lästiger, repetitiver Verwaltung befreit wird, um sich auf das zu fokussieren, was nur er leisten kann: die komplexe, menschliche Interaktion, empathische Versorgung und finale Entscheidungsfindung.
Administrativen Fesseln lösen
Im Kern geht es also darum, Arbeitsprozesse fehlerfrei und schnell ohne menschliches Zutun ablaufen zu lassen. Softwareroboter übertragen beispielsweise Daten aus E-Mails oder Dokumenten in IT-Systeme – ein Prozess, der durch Robotic Process Automation (RPA) in vielen Branchen erprobt ist. Gerade Spitäler kämpfen mit einer Flut an Dokumenten (Rechnungen, Rezepten, Verfügungen). Hier sorgt Intelligent Document Processing (IDP) dafür, dass diese mit KI-Unterstützung automatisch klassifiziert, abgelegt und die relevanten Daten direkt in die Spitalinformationssysteme übertragen werden, wodurch die manuelle Bearbeitung entfällt. Intelligente Automatisierung bringt nachweisbar greifbare und schnell realisierbare Vorteile. Die Lösungen, die als zusätzliche Schicht auf vorhandene Systeme aufsetzen, erfordern in aller Regel keine aufwendigen Integrationsprojekte und haben kurze Entwicklungszeiten. Typische Erfolge sind laut einer Studie eine Zeitersparnis von 85 Prozent in unterstützten Prozessen oder eine Reduktion der Durchlaufzeiten um 50 Prozent, was eine sehr schnelle Amortisation ermöglicht. Die Automatisierung revolutioniert dabei nicht nur die Verwaltung, sondern optimiert auch physische Kernprozesse in Spitälern, wie zum Beispiel die Bettenbereitstellung. Dieser logistische Ablauf, der Pflege, Reinigung und Bettenverwaltung koordiniert, kann durch Automation der Kommunikationskette beschleunigt werden: Das Bett einer um 10 Uhr entlassenen Person kann so bereits um 15 Uhr neu belegt werden. Die genannte Studie beziffert den betriebswirtschaftlichen Nutzen solcher Automationen auf über eine halbe Million Euro pro Jahr.
Um diese substanziellen Mehrwerte nachhaltig zu sichern, ist die Definition eindeutiger ethischer Regeln unerlässlich. Hierbei muss scharf zwischen unterstützender Planung und existenzieller Entscheidungsfindung unterschieden werden. Die Automatisierung ist unbedenklich, solange sie das Zeitmanagement und die Koordination von Ressourcen (Betten, Instrumenten, Operationssälen) optimiert. Wird die KI jedoch dazu eingesetzt, basierend auf Krankenakten oder Überlebensprognosen über die Zuweisung knapper Betten oder Operationsprioritäten zu entscheiden, wird es ethisch hochsensibel. Denn solche Entscheidungen gehen weit über den Datenschutz hinaus und müssen zwingend in menschlicher Verantwortung verbleiben.
Die Automatisierung kann die Effizienz von Krankenhausprozessen massgeblich verbessern, das steht ausser Frage. Spitäler stehen dabei in aller Regel vor der Wahl: entweder eine Basisautomatisierungsstrategie zu definieren – inklusive regulatorischer Abklärung und der Einrichtung eines Center of Excellence – oder pragmatisch mit limitierten Pilotprojekten zu starten. Unabhängig vom Weg ist wichtig, dass das Personal die Automation als Entlastung und nicht als Bedrohung wahrnimmt. Die Kooperation mit erfahrenen Partnern ist hier essenziell.

