Zahlreiche erfolgreiche Marken in der Schweiz sind etablierte Brands, viele davon sind in Familienhand. Warum ist es auch für diese Marken wichtig, innovativ zu sein? Oder ist das gar nicht notwendig, wenn man zum Beispiel Ricola oder Kambly heisst?
Innovativ sein zu müssen, gilt für alle Marken. Konsumententrends verändern sich ständig. Was einmal ein Wettbewerbsvorteil war, kann schnell überholt sein. Innovation ist daher eine Grundprämisse für Marken und für Marketing im Allgemeinen. Das gilt sowohl für alteingesessene Unternehmen als auch für neue. Ein schönes Beispiel in der Schweiz ist Zweifel, eine Kultmarke. Zweifel zeigt kontinuierliche Innovation, nicht nur mit ihren bekannten Chips, sondern auch durch die Einführung einer Submarke wie Vaya, die auf den gesundheitsbewussten Markt abzielt. Innovationsdruck spürt jede Marke.
Zur Person
Beginnen wir doch mit einer Marke, die es nicht geschafft hat.
Erinnern Sie sich an Tupperware? In jedem Haushalt gab es vor dreissig, vierzig Jahren Produkte von Tupperware. Tupperware stand damals sinnbildlich für die perfekte Hausfrau. Doch was ist passiert? Auf der einen Seite haben die Chinesen günstige Alternativen auf den Markt und nach Europa gebracht, auf der anderen aber hat sich auch das Frauenbild stark geändert. Dass Frauen am Nachmittag oder am Abend Zeit haben, auf einer Party mit vielen anderen Frauen teure Plastikwaren zu kaufen, ist nicht mehr zeitgemäss.
Im besten Fall ist man also immer wachsam und aufmerksam und schaut, wie neue Generationen mit ganz anderen Ansprüchen kommen. Sie haben den Gesundheitsfaktor angesprochen. Welche Rolle spielt dieser Markt in der Schweiz?
Besonders im gesundheitsbewussten Bereich sehen wir grosse Entwicklungen. Wenn Sie sich die führenden Supermärkte wie Migros und Coop anschauen, wird dieser Proteintrend in den Regalen sichtbar. Es gibt jetzt nicht nur Snickers, sondern auch Snickers mit Protein und Cerealien. Das zeigt, dass man sich an Marktgegebenheiten und neue Kundenbedürfnisse anpassen muss. Es ist aber nicht so, dass alle Innovationen erfolgreich sind. Tatsächlich schaffen es die wenigsten neuen Produkte über ein Jahr hinaus.
Wie wichtig ist es daher, Innovationen strukturiert und strategisch zu behandeln?
Es geht um einen einfachen Marketingprozess: Diagnose, Strategie und Umsetzung. Schief geht es meistens, wenn man sich nur auf den dritten Punkt konzentriert, aber das kommt immer noch oft vor. Zuerst gilt es, zu analysieren, wie sich der Markt entwickelt und was für die Zielgruppe relevant ist. Dies könnte beinhalten, dass man neue Konsumententrends identifiziert oder zukünftige Zielgruppen analysiert. Strategie bedeutet, Wachstumsziele zu definieren und auch Nein zu gewissen Richtungen zu sagen. Eine Marke kann nicht alles leisten. Man fragt sich, was man erreichen will und ob man in einem bestimmten Segment wachsen möchte. Erst danach kommt die Umsetzung, wie beispielsweise Produkterweiterungen und Veränderungen in der Kommunikation.
Gibt es Beispiele für Unternehmen, denen dies besonders gut gelungen ist?
Rivella ist ein gutes Beispiel dafür, wie man den Gesundheitstrend aufgreifen kann: Sie hat die Marke Focuswater aufgekauft, die sich als Schweizer Vitaminwasser an eine jüngere Zielgruppe richtet. Auch Nivea schraubt kontinuierlich an der eigenen Marke und auch am Logo.
Können diese Veränderungen auch zu Spannungen führen?
Veränderungen können natürlich auch zu Spannungsverhältnissen mit der Stammkundschaft führen. Weleda hat vor kurzem ihr Logo und ihre Verpackung angepasst. Diese sprechen sicherlich eine jüngere Zielgruppe an, ein Teil der Stammkundschaft fühlt sich dadurch jedoch nicht mehr abgeholt.
Wäre es sinnvoller gewesen, es vielleicht wie Zweifel zu machen und einen Subbrand zu lancieren?
Das ist in aller Regel ein Kostenfaktor, den viele nicht stemmen können oder wollen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Innovationskraft von Marken?
Digitalisierung hat die Markenführung und das Marketing komplett verändert. Eine besonders spannende Entwicklung sind synthetische Antworten, die durch KI generiert werden. Diese Methode erlaubt es, schneller und kostengünstiger Marktinformationen zu sammeln und Innovationen zu betreiben. Digitale Zwillinge, die auf grossen Sprachmodellen basieren, können fast realistische Antworten liefern und so die Marktforschung effizienter machen.
Man hat aber auch das Gefühl, dass die zunehmende Digitalisierung bei den Menschen auch den Wunsch nach einem Erlebnis in der realen Welt verstärkt.
Seit Jahren gibt es in den Unternehmen die Diskussion, ob man das Geld in Performancemarketing steckt oder in Brand-Building. Lange Zeit hat man sich aufgrund der neuen Möglichkeiten auf den ersten Punkt konzentriert, hier sind Kundenkontakte besser mess- und auch beeinflussbar. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass es bei etablierten wie auch bei neuen Marken aktives Brand-Building braucht. Und dafür muss man präsent sein. Daher setzen sich auch die sogenannten Pop-up-Stores immer mehr durch. Apples grosses Plus waren immer schon ihre Stores, da sie aktive Erlebniswelten sind.
Sie sprachen die Marktforschung an: Was genau hat sich hier durch die technische Entwicklung geändert?
Die heutigen Marktforschungsagenturen nutzen immer noch klassische Methoden, jedoch wird zunehmend KI eingesetzt, um die erwähnten digitalen Zwillinge zu schaffen. Also Personas, die exemplarisch für eine Kundengruppe stehen. Sie liefern realistische Antworten und machen die Marktforschung effizienter. Dies ermöglicht es, schneller und kostengünstiger auf Markttrends zu reagieren und Innovationen voranzutreiben.
Das klingt nach einem Paradigmenwechsel. Wie beeinflusst KI das Produktmanagement in der Praxis?
Ein Beispiel dafür ist Vivi Nova von Vivi Kola. Das Getränk wurde komplett mit KI entwickelt. Und dies nicht nur bezüglich Geschmack, sondern auch bezüglich Botschaft und Verpackungsdesign. Das zeigt, wie sich heute Innovationsprozesse beschleunigen lassen, wodurch sie auch kostengünstiger werden. Coca-Cola hat diesen Ansatz ebenfalls genutzt, indem die Marke im letzten Jahr ihren berühmten Weihnachtsspot KI-generiert hat. Mit solchen Massnahmen können Unternehmen wie gesagt sowohl schneller als auch kosteneffizienter arbeiten.
Sie haben gesagt, dass die Grundannahmen gleich bleiben, aber die Umsetzung sich verändert. Könnten Sie das näher erläutern?
KI unterstützt den gesamten Prozess der Markenentwicklung und Innovation – von der Diagnose über die Strategie bis zur Umsetzung. Dies ermöglicht eine schnellere und effektivere Anpassung an die Marktbedürfnisse. Während die Grundprinzipien der Marketingtheorie weiterhin gelten, verändert KI aber massgeblich, wie diese umgesetzt werden.
Welche Kompetenzen sollten Unternehmen und insbesondere Marktmanager deshalb heute und in Zukunft besitzen, um erfolgreich zu sein?
Grundlegende Marketingtheorie bleibt bestehen, aber die heutige Praxis erfordert Fähigkeiten im Umgang mit KI und digitalen Tools. An der Universität St. Gallen passen wir unsere Lehrpläne kontinuierlich an, um sicherzustellen, dass unsere Studierenden diese Fähigkeiten erwerben. Sie müssen die theoretischen Grundlagen beherrschen und gleichzeitig die neuesten technischen Entwicklungen nutzen können.

