Die Sommerferien verbringen wir oft in unserer Ferienwohnung in Griechenland. Seit Jahren besuchen wir dort unsere Lieblings-Taverne. Sie ist nicht pittoresk gelegen. Sie ist auch nicht günstig, und es gibt auch keine anderen Gerichte als in den meisten anderen Tavernen. Was macht diese Taverne zu unserer Lieblings-Taverne? Sicher die hohe Qualität des Moussaka und der Gavros. Vor allem aber, dass wir spüren: Dem Personal liegt etwas an uns.

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Im Gegensatz dazu war ich genau einmal in einem Hard Rock Cafe. Das Erlebnis war zwar toll – mit all den Memorabilia und diesem Gefühl, ein Teil des Rock ’n’ Roll zu sein; aber hat es mich danach noch einmal dahingezogen? Nein.

Das Unternehmen Hard Rock Cafe hat über 160 Filialen. Doch selbst der Milliardenumsatz des Imperiums wirkt klein im Vergleich zum Umsatz von den Tausenden Lieblingsrestaurants, die über die Jahre unserer Treue sicher sind.

Und genau das ist der Punkt: Kundinnen und Kunden haben das Privileg, selbst wählen zu können, wo sie essen gehen, welche Streaming-Plattform sie abonnieren, welche Versicherung sie abschliessen. Dabei wählen sie ein Produkt oder eine Dienstleistung, die ihre Bedürfnisse abdeckt. Sind sie vergleichbar, werden sie auch dem Kundenerlebnis beim Kauf und der Benutzung einen Stellenwert geben.

Der Autor

Glenn Oberholzer, Partner und Verwaltungsrat, Stimmt AG, Zürich.

Was unsere Familie an der Taverne in Griechenland am meisten schätzt, ist allerdings mehr als das: Es ist die Tatsache, dass über Jahre eine Beziehung entstanden ist. Und genau diese Geschäftsbeziehungen sind schwer kopierbar. Willkommen in der Relationship Economy.

Die «Weiterempfehlungs-Kenngrösse»

Immer noch setzen viele Firmen nicht auf die Dimension Beziehung. In einigen Branchen geht seit Jahren der Trend sogar in eine andere Richtung. Ausschreibungen für Bauprojekte mit Abschlagsrunden, Pitches für Millionenprojekte in der IT oder auch Abschlussprämien für Vermittlerinnen und Vermittler von möglichst langen Verträgen in der Telekommunikation sind nur einige Beispiele. Hier wird jeweils nur nach dem Preis entschieden.

Sollte also in einem immer härter umkämpften Markt nicht jede Firma sich selbst am nächsten sein? Kann es sich rechnen, in langfristige Kundenbeziehungen zu investieren? Gerade in Branchen, die auf wiederkehrende Kundinnen und Kunden angewiesen sind: unbedingt. Bei Versicherungen haben wir gemessen, dass sich durch vertrauensfördernde Massnahmen und Commitment der NPS (der Net Promoter Score, also die «Weiterempfehlungs-Kenngrösse») steigern lässt und somit die Wechselwahrscheinlichkeit sinkt. Dies führt zu mehr Prämieneinnahmen bei gleichen Akquisitionskosten.

In der Baubranche zeigen Studien, dass durch den Design-build-Ansatz, bei dem die ausführenden Firmen bereits in die Planung involviert sind oder sie sogar verantworten, im Vergleich zum klassischen Ansatz der Vergabe an den günstigsten 20 bis 30 Prozent gespart werden.

Werden Firmen, die auf langfristige Geschäftsbeziehungen setzen, am Ende die profitabelsten sein? Vielleicht. Das oberste Ziel ist das allerdings nicht. Stattdessen geht es darum, die Wertschöpfung konstant und mit Anstand gegenüber Kundinnen und Kunden, Mitarbeitenden und der Gesellschaft zu betreiben.

Erfolg mithilfe von langfristigen Kundenbeziehungen heisst also vor allem, den Fokus zu verändern. Er wechselt vom Geld zum Sinn eines jeden Unterneh-mens: wertvoll zu sein für Kundinnen und Kunden.

Zufriedenheit, Vertrauen, Commitment

Was braucht es, damit eine Firma gute Kundenbeziehungen aufbauen kann? Beziehungsqualität setzt sich im Geschäftskontext aus Zufriedenheit, Vertrauen und Commitment zusammen. Zufriedenheit erreichen Firmen durch Value Propositions, die zu Kundenwünschen passen, und durch ein gutes Kundenerlebnis. Vertrauen erreichen sie dadurch, dass sie transparent und konsistent in ihren Handlungen sind und auch über etwaige Probleme offen kommunizieren.

Grafik Relationship Economy

Relationship Economy lohnt sich: Ein gut geregelter Schadenfall führt zu einer längeren Kundenbeziehung.

Quelle: Handelszeitung

Commitment zeigen Firmen dann, wenn sie auch in schwierigen Situationen zu Kundinnen und Kunden stehen oder sich öffentlich zu ihnen bekennen. Dabei ist wichtig: Soll das skalierbar sein, geht das weit über eine persönliche Kundenbetreuung durch Menschen hinaus.

Beispiele dafür gibt es viele. Der Online- Shop Digitec lässt Kundinnen und Kunden in seiner Werbung zu Wort kommen, auch wenn sie nicht nur Gutes über die angepriesenen Produkte sagen. Ausserdem zeigt der Retailer den Preisverlauf jedes Produkts an. Beides schafft Vertrauen. Die Mobiliar hat ihren versicherten Restaurants während der Corona-Pandemie unbürokratisch unter die Arme gegriffen und sich nicht hinter Kleingedrucktem und Ausschlussklauseln versteckt – ein Zeichen von Commitment. Die nur in einer begrenzten Region aktive Bank Thalwil vergibt Handschlagkredite an ihre KMU-Kundinnen und -Kunden: Das Wort der Bankberaterin genügt, die Administration folgt danach.

Auch ein internes Bekenntnis ist nötig

Auch innerhalb des Unternehmens gilt es darauf zu achten, dass Mitarbeitende nicht einfach nur zufrieden sind. Man muss ihnen vertrauen und sich zu ihnen bekennen. Digitec hat bei der Kommunikation seiner neuen Liefervariante «langsam» nicht primär Effizienzgründe angeführt, sondern die Entlastung der Montagsschichten. Die Mobiliar steht hinter ihren Generalagenturen, sodass sie im Sinne der Kundinnen und Kunden und der Mobiliar handeln können. Die Bank Thalwil vertraut ihren Kundenberaterinnen und -beratern, damit sie die Hand zum Kredit reichen können.

Wichtig ist eine anständige Haltung

Erfolgreich zu sein in der Relationship Economy, bedeutet daher vor allem, Kundinnen- und Kunden- sowie Mitarbeitendenzufriedenheit weiterzudenken und in allen Entscheidungen darauf zu achten, dass Menschen nur dann wirklich verbunden sind mit einem Unternehmen, wenn sie auch Vertrauen und Commitment erfahren. Dazu gibt es Prinzipien und Design Patterns. Es bedingt aber vor allem eines: Eine respektvolle und anständige Haltung.