Nachhaltiges Investieren ist längst nicht mehr nur eine Frage des ESG-Ratings, sondern ein differenzierter Anlageansatz. Entscheidend ist nicht die Verpackung, sondern die Substanz: Geschäftsmodelle, die auf Innovation, Ressourceneffizienz und geschlossene Wertstoffkreisläufe setzen und konkrete Lösungen für globale Herausforderungen bieten. Nachhaltigkeit wird so zunehmend zu einem wirtschaftlichen Prinzip und zu einer strategischen Chance für langfristig orientierte Investoren – Ausdruck einer tiefgreifenden Transformation unseres Wirtschaftssystems. In Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wächst der Druck, zu handeln. Gleichzeitig steigen die Anreize, die Chancen dieser Transformation zu nutzen.
Melanie Beyeler, Senior-Portfoliomanagerin, EFG
Gesellschaftlicher Druck bleibt gross
Trotz politischer Spannungen rund um Klimathemen bleibt die gesellschaftliche Unterstützung für Klimamassnahmen robust. Selbst in den USA betrachten laut der Yale-Universität mehr als 60 Prozent der Bevölkerung den Klimawandel als ernsthafte Bedrohung und fordern staatliches Handeln. Der Wunsch nach reiner Luft, sauberem Wasser und einer intakten Umwelt ist keine ideologische Haltung, sondern eine Reaktion auf reale Erfahrungen – Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände und extreme Wetterlagen machen die Folgen des Klimawandels greifbar. Umweltqualität wird so zur Voraussetzung für gesellschaftliche Stabilität und für Investoren zunehmend zum Erfolgsfaktor: Nachhaltigkeit rechnet sich, und zwar operativ.
Nachhaltigkeit als unternehmerische Notwendigkeit
Für Unternehmen ist Nachhaltigkeit längst keine Kür mehr – sie ist zur Überlebensfrage geworden. Wer ökologische und soziale Risiken ignoriert, gefährdet seine Wettbewerbsfähigkeit, den Kapitalzugang und die eigene Zukunft. Zukunftsorientierte Unternehmen verankern Nachhaltigkeit im Kerngeschäft: Sie optimieren ihren Energieverbrauch mit künstlicher Intelligenz (KI), setzen auf intelligente Gebäudetechnologien, schliessen Rohstoffkreisläufe oder gewinnen Energie aus Abfall. Diese Lösungen gehen weit über symbolische Massnahmen hinaus und sind ökonomisch attraktiv. Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Laut einer Studie sehen 93 Prozent der Chief Financial Officer (CFO) klare wirtschaftliche Gründe für Investitionen in Nachhaltigkeit; 69 Prozent erwarten daraus höhere Renditen als bei herkömmlichen Projekten.
Wer beschleunigt, wer bremst?
Energiepolitik ist zu einem geopolitischen Schlüsselthema geworden. Die Elektrifizierung von Verkehr, Industrie und Gebäuden treibt den Energiebedarf – und erneuerbare Energien sind vielerorts bereits die günstigste Option. Es geht längst nicht mehr nur um Emissionen, sondern um wirtschaftliche Souveränität. China baut seine Führungsrolle mit strategischen Investitionen in neue Energietechnologien weiter aus. Europa zieht mit milliardenschweren Programmen und vereinfachten Rahmenbedingungen nach. In den USA hingegen zeigt sich der Wandel in überraschender Form: Der Inflation Reduction Act, das milliardenschwere US-Förderprogramm für saubere Technologien, bringt Investitionen vor allem in republikanisch geprägten Bundesstaaten wie Texas. Parallel dazu treiben Initiativen wie die US Climate Alliance den Wandel auf subnationaler Ebene voran.
So wird der globale Wettbewerb zur treibenden Kraft – weniger aus idealistischen Motiven, sondern vielmehr aufgrund wirtschaftlicher Opportunitäten. Nachhaltigkeit rechnet sich. Die Technologien für eine Netto-null-Wirtschaft sind vorhanden. Entscheidend sind verlässliche Rahmenbedingungen, Zugang zu Kapital und ein klarer Umsetzungswille. Länder, die diese Leitplanken setzen, stärken ihren Standort. Unternehmen, die Nachhaltigkeit strategisch integrieren, sichern sich Wettbewerbsvorteile. Und für Investoren eröffnen sich attraktive Chancen: Anbieter zukunftsweisender Lösungen sind nach wie vor moderat bewertet, weil die Transformation an vielen Märkten noch nicht vollständig eingepreist ist. Nachhaltiges Investieren bedeutet heute weniger Labels, mehr Wirkung. Wer Substanz über Symbolik stellt und konkrete Chancen statt ideologischer Auseinandersetzungen verfolgt, ist langfristig im Vorteil.