Sind stark verarbeitete Nahrungsmittel schlecht für Gesundheit und Umwelt? Der europäische Dachverband der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, Food Drink Europe (FDE), wehrte sich Anfang 2023 mit einem Positionspapier gegen Verallgemeinerungen. So soll «stark verarbeitet» nicht mit «weniger gesund» oder «schlechter für die Umwelt» gleichgesetzt werden. Durch Verarbeitungsprozesse wie etwa gezielte Anreicherung und Reduktion von Nährstoffen könnten Lebensmittel nämlich oft verbessert werden.

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Jetzt hat auch die Föderation der schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (Fial) nachgezogen und diesen Sommer das «Positionspapier Lebensmittelverarbeitung» verabschiedet. Dieses wurde kürzlich am Tag der Schweizer Nahrungsmittelindustrie den Mitgliedern und weiteren Interessierten im Rahmen einer Podiumsdiskussion vorgestellt.

Keine rechtliche Definition

Trotz existierenden und evidenzbasierten Ernährungsempfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung gibt es derzeit eine verstärkte Debatte, die sich um das Schlagwort «hochverarbeitete Lebensmittel» («Ultra-Processed Foods», UPFs) dreht und grosse Verwirrung in Expertenkreisen wie auch bei Konsumentinnen und Konsumenten verursacht. Denn immer öfter wird das Mass der Verarbeitung eines Lebensmittels als Indikator für dessen vermeintliche Gesundheit herangezogen.

Den Grundkonflikt bei UPFs führt David Fäh, Professor an der Berner Fachhochschule Gesundheit, darauf zurück, dass es keine rechtliche Definition von «Ultra-Processed Foods» gibt und dass auch wissenschaftlich daherkommende Klassifizierungen wie «Nova» nicht haltbar seien. Der Begriff «Nova» wurde 2009 von einem brasilianischen Wissenschafter geprägt, der versuchte, Lebensmittel in verschiedene Verarbeitungsarten zu klassifizieren. Das Problem: Der Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln ist wissenschaftlich umstritten; die dahinter vermuteten Wirkmechanismen bedürfen weiterer Forschung. So berücksichtigt «Nova» etwa den Nährstoffgehalt der Lebensmittel nicht oder unzulänglich und umfasst dadurch auch Lebensmittel, die im Rahmen der schweizerischen Ernährungsempfehlungen empfohlen sind – etwa Vollkornbrot oder (aromatisierte) Joghurts.

Verarbeitung

Diese Argumente prägen auch das Fial-Positionspapier. Die zunehmend verwendete grobe Klassifizierung und Bewertung eines Lebensmittels als «gesund» oder «ungesund» aufgrund dessen Verarbeitungs- respektive Veredelungsgrads greife aus mehreren Gründen zu kurz: So gibt es aus Sicht der Fial keine per se ungesunden Lebensmittel, sondern nur Lebensmittel, die in grösseren oder kleineren Mengen genossen werden sollten. Auch könne die Verarbeitung eines Lebensmittels positive Auswirkungen etwa in Bezug auf die Haltbarkeit, die Lebensmittelsicherheit sowie allenfalls auch auf dessen gesündere Zusammensetzung haben, beispielsweise durch die Anreicherung mit wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen oder die Reduktion von Zucker, Salz oder Fett.

Bekannte Lösungsansätze

Wenn die Einstufung von Lebensmitteln als «ultraverarbeitet» nicht dazu beiträgt, unsere Gesundheit zu verbessern oder die Umwelt zu schützen, was dann? Der europäische Dachverband Food Drink Europe setzt auf bekannte Lösungsansätze: gesunde Ernährung und Aufklärung. Konsumenten sollen dabei unterstützt werden, neben der Nährstoffzusammensetzung eines Produkts auch die Verzehrhäufigkeit, die Portionsgrösse und den Lebensstil zu berücksichtigen. Durch Kennzeichnung, Aufklärungskampagnen und Bildungsmassnahmen sollen alle Altersgruppen mit Informationen versorgt werden, damit sie sich für eine gesunde Ernährung entscheiden können.

Aber auch seitens der Industrie gebe es Potenzial. Etwa sollen dank Innovationen Neuformulierungen und Anreicherungen gefördert werden, um Produkte wie fettarme Brotaufstriche, zuckerarme Getränke oder angereicherte Cerealien anzubieten. Ausserdem soll sichergestellt werden, dass Werbung und Marketing angemessen und wahrheitsgemäss sind.

Es sind eigentlich Forderungen, die in breiten Bevölkerungskreisen bekannt sein und zu selbstverantwortlichem Konsum führen sollten – selbst in den klagefreudigen USA. Dort hat kürzlich ein junger Amerikaner gegen Hersteller wie Mondelez, Coca-Cola und Nestlé geklagt, weil er an Krankheiten wie Typ-2-Diabetes leidet und dies auf den regelmässigen Konsum hochverarbeiteter Produkte zurückführt. Die Klage galt als Präzedenzfall. Der junge Mann hatte jedoch keinen Erfolg. Mehrere grosse Lebensmittel- und Snackkonzerne aus den USA haben vor Gericht in der ersten Instanz die Klage abgewehrt. Damit dürfte das Thema aber noch lange nicht gegessen sein.