Der Klimawandel setzt dem Wachstumsmodell der Industriestaaten Grenzen – auch in der Schweiz. Wir stufen uns im internationalen Vergleich gerne als nachhaltig ein. Doch wir produzieren auch extrem viel Abfall, und drei Viertel unseres Energieverbrauchs stammen immer noch aus fossilen Energiequellen. Laut der Stiftung Myclimate ist die Schweiz auf Platz 16 der weltweit grössten Pro-Kopf-CO₂-Emittenten. Die Energiestrategie 2050 ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es braucht auch ein nachhaltiges Wachstumsmodell.

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Bisher wurden die Leistungsfähigkeit und der Wohlstand eines Landes anhand des Bruttoinlandprodukts (BIP) gemessen, das jedoch die Auswirkungen der Wirtschaftstätigkeit auf Gesellschaft und Umwelt nicht berücksichtigt.

Gemäss dem 2022er UN-Umweltprogramm steuert unser Planet auf eine katastrophale Erwärmung von 2,6 Grad Celsius zu. Wirtschaft und Akademie sind also angehalten, neue Wachstumsmodelle vorzuschlagen. Drei Konzepte stehen zur Diskussion, aber eines ist klar: «Business as usual» ist keine Option mehr.

Der Autor

Chris Iggo, Chief Investment Officer, Core Investments, Axa Investment Managers, Winterthur.

Grünes Wachstum

Der Schwerpunkt des grünen Wachstums liegt auf einem weniger energieintensiven Verbrauch, ohne die Nachfrage unbedingt zu senken. Mit diesem Ansatz lässt sich sogar Wachstum in Verbindung mit einem höheren Verbrauch rechtfertigen. Elektrofahrzeuge sind ein Beispiel für grünes Wachstum, das sich an der heutigen Funktionsweise unserer Volkswirtschaften und Märkte anlehnt. Sie lenken uns aber von der ökologisch effizienteren Option ab, die Produktion und Nutzung von Autos drastisch zu reduzieren.

Unternehmen wissen bereits, dass eine nachhaltige Unternehmensstrategie sowohl mit Investitionskapital als auch mit der Nachfrage der Verbraucher belohnt werden kann. Das bedeutet, dass Investitionen in saubere Technologien, die biologische Vielfalt und die Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu einem Wachstumsbereich geworden sind. Letztlich besteht das Ziel des grünen Wachstums darin, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln, was eine massive Zunahme der Einführung erneuerbarer Technologien voraussetzt.

 

Degrowth

Die Befürworter von Degrowth akzeptieren, dass eine Reduktion von Produktion und Konsum – vor allem in den Industrieländern – zu einer Schrumpfung der Volkswirtschaften führen kann. Diese Vorstellung stellt so ziemlich alle heiligen Kühe unseres ökonomischen Denkens auf den Kopf. Politische Entscheidungsträger sind jedoch zunehmend offen für Degrowth-Ideen wie zum Beispiel die Vier-Tage-Woche, da die Daten zeigen, dass die Länder ihre Emissionsreduktionsziele nicht allein durch grünes Wachstum erreichen können.

Degrowth wirft viele Fragen auf, nicht zuletzt über die Auswirkungen auf die verarbeitende Industrie in den Entwicklungsländern, wenn die reicheren Länder ihren Verbrauch an importierten Gütern reduzieren. Die Rolle der Investorinnen und Investoren in Volkswirtschaften, die nicht auf Wachstum ausgerichtet sind, würde Kreativität erfordern. Wie sieht ein Degrowth-Aktienmarkt aus? Kann ein tragfähiges Anlageuniversum an Unternehmen aufgebaut werden, die gesellschaftlich nützlich sind, der Umwelt nicht schaden und nicht versuchen, neue Nachfrage zu schaffen?

A-Wachstum

In einem Wirtschaftsmodell, das auf A-Wachstum basiert, findet die Idee der Kreislaufwirtschaft ihren Platz: Der Lebenszyklus von Gütern wird so gesteuert, dass Abfall beinahe vermieden und der Energieverbrauch minimiert wird. Dies dürfte sich positiv auf die Natur, die biologische Vielfalt und die Emissionen auswirken.

 

Die Lücke schliessen

Während Degrowth einen umfassenden Perspektivenwechsel erfordert, würde A-Wachstum auch eine umfangreiche Zusammenarbeit der verschiedenen Wirtschaftsakteure bedingen. Organisationen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank müssten ein wachstumsneutrales Paradigma annehmen. Zurzeit weisen BIP-Alternativen, die das Wohlergehen von Mensch und Umwelt – und nicht den materiellen Wohlstand – messen, aber noch nicht die Klarheit und Konsistenz unserer vertrauten Wirtschaftsmetrik auf. Eine «Beyond GDP»-Initiative in der Europäischen Union bemüht sich, diese Lücke zu schliessen. Aus Investorensicht sind die Bedenken ähnlich wie bei einem Degrowth-Szenario.

Es gibt natürlich noch weitere Alternativen zum bisherigen Wachstumsmodell – und die Zukunft dürfte in einem hybriden Ansatz liegen. Im besten Fall wird unsere künftige wirtschaftliche Realität weitgehend vom Modell des grünen Wachstums abgeleitet sein, Schlüsselelemente der A-Wachstums- und Kreislaufphilosophie enthalten und die Idee des Degrowth durch weniger Verbrauch und Verschwendung miteinbeziehen.