Der Klimawandel schreitet voran. Was hat unsere Ernährung damit zu tun?

Diverse Studien belegen, dass ein Drittel der Treibhausgasemissionen bei der Produktion von Lebensmitteln entsteht. Pro Person werden 2 bis 3 Tonnen CO₂ im Jahr verursacht – 5,5 Kilogramm pro Tag. Wollen wir das Ziel eines nachhaltigen Planeten erreichen, ist unsere Ernährung also ein entscheidender Hebel.

Was müssten wir konkret tun?

Die Emissionen um die Hälfte reduzieren, denn das «Budget», das jede Person hat, liegt bei einer Tonne CO₂-Emissionen pro Jahr.

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Wie schaffen wir das?

Durch eine einfache Entscheidung.

Wie bitte?

Es gibt Lebensmittel, die hundert Mal mehr CO₂-Emissionen verursachen als andere. Diese zu reduzieren und sich auf jene Lebensmittel zu konzentrieren, die im Ziel liegen, dafür braucht es nur eine einfache Entscheidung – keine grossen Investitionen oder Fabriken.

Woher weiss ich, welche Lebensmittel im Ziel liegen?

Hier kommt Eaternity ins Spiel. Seit 2008 berechnen wir so präzise und effizient wie möglich den Umweltfussabdruck von einzelnen Lebensmitteln und machen diesen transparent erkenntlich – frei zugänglich für jedermann über unsere Plattform All You Can Eat (www.ayce.earth).

Worauf basieren Ihre Berechnungen?

Uns war schon früh klar, dass uns nur zugehört wird, wenn wir ein absolut solides wissenschaftliches Gerüst vorweisen können. Darum rechnen wir mit Inventardaten, die diverse anerkannte Wissenschaftler für ihre Datenbanken erheben und regelmässig aktualisieren. Wir sammeln diese und bauen noch etwas obendrauf.

Was für Daten sind das?

Das ist primär die CO₂-Bilanz. Wir beurteilen, wie viele CO₂-Äquivalente pro Produkt verursacht werden. Diese Äquivalente sind Standards, die durch die Wissenschaft festgelegt werden. Im grösseren Blickfeld geht es auch um die planetaren Grenzen als Werte, die wir erheben müssen. Nicht alles ist gut messbar, aber neben der CO₂-Bilanz haben wir auch den Wasserverbrauch, das Tierwohl und die Regenwaldabholzung mit drin.

Wieso diese vier Kategorien?

Die haben sich in einer Zusammenarbeit mit internationalen Grössen, die hier in der Forschung aktiv sind, herauskristallisiert. Wichtig war dabei, herauszufinden, was tatsächlich messbar ist, aber auch, welche Indikatoren sich überlappen, welches Problem sich also schon damit löst, wenn ein anderes gelöst wird. Die Feinstaubbelastung korreliert zum Beispiel sehr stark mit der CO₂-Belastung selbst. Darum ist es nicht notwendig, diese auch noch mit aufzuführen.

Was kann man aus dem Score herauslesen?

Wir berechnen nicht nur die Bilanz – Kilogramm CO₂, Liter Wasser und so weiter –, sondern wir beurteilen auch den Nährwert von Lebensmitteln. Diese Differenzierung ist wichtig, denn sonst hätte alles, was viel Wasser enthält – zum Beispiel Getränke oder Suppen – eine super Bilanz. Das ist Blödsinn. Eine Rindssuppe ist nicht klimafreundlicher als eine Sojabohne.

Der Klimaretter

Name: Manuel Klarmann
Funktion: Gründer und Geschäftsführer von Eaternity
Ausbildung: Studierte Mathematik mit Psychologie und Informatik und hat einen Bachelor in Mathematik mit Neuroinformatik von der Universität Zürich sowie einen Master in Neuroinformatik von der ETH Zürich.

Unternehmen: Eaternity unterstützt Organisationen weltweit dabei, den genauen ökologischen Fussabdruck ihrer Lebensmittel zu berechnen, mit dem Ziel eines Ernährungssystems innerhalb der Belastungsgrenzen der Erde.

Wie «korrigieren» Sie das?

Es gibt ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis darüber, was eine Person pro Tag braucht. Makronährstoffe: Kalorien, Proteine, Fette, Wasser und so weiter. Diese Werte berechnen wir für die Lebensmittel, die wir beurteilen. Wie weit  wird der Tagesbedarf mit diesem Lebensmittel gedeckt und wie schneidet es im Vergleich mit anderen hinsichtlich der vier Kriterien ab?

Viel komplizierte Rechnerei also ...

Das stimmt. Für die Konsumierenden sind es aber letztendlich drei Sterne, die ausgewiesen werden, wobei drei Sterne bedeuten, dass das Produkt 50 Prozent unter dem durchschnittlichen CO₂-Ausstoss liegt, zwei Sterne heisst, dass es besser ist als der Status quo, und ein Stern bedeutet, dass es noch Luft nach oben gibt. Die Sterne gibt es analog beim Wasser, beim Tierwohl und beim Regenwald.

Reden wir Tacheles: Welches sind die «bösen», welches die «guten» Lebensmittel?

Das ist schnell erzählt: Fleisch und Milchprodukte haben eine schlechte Bilanz, Gemüse, Früchte, Nüsse, Samen, Hülsenfrüchte und so weiter eine gute. Der Kontrast zwischen Kürbis und Rindsfilet zum Beispiel ist riesig: Das Rindsfilet verursacht hundert Mal mehr Emissionen als der Kürbis. Wer also drei Tage Rindsfilet isst, verursacht gleich viel CO₂-Emissionen wie jemand, der ein ganzes Jahr Kürbis isst. Das ist krass. Oder: Ein Liter Milch hat dieselbe Ökobilanz wie ein Liter Benzin, wenn er verbrannt wird.

Gibt es weitere überraschende Fakten?

Spannend finde ich auch den Vergleich zwischen der Ananas und dem Apfel. Beides sind klimafreundliche Produkte, die Score-Differenz zwischen ihnen ist 100 Gramm – 300 Gramm CO₂-Ausstoss für den Apfel und 400 Gramm für die Ananas für die vergleichbare Menge. Der Unterschied ist, dass der Apfel lokal wächst und die Ananas mit dem Schiff kommt. 100 Gramm ist aber so wenig, dass es völlig egal ist, ob man die Ananas oder den Apfel isst. Der Transport schlägt hier überhaupt nicht zu Buche. Natürlich sollte man lokal essen. Aber es gibt andere Sorgen, die grösser sind.

Was ist mit Bio-Produkten?

Viele Bio-Produkte haben eine bessere Ökobilanz als gewöhnliche. Nicht so beim Bio-Fleisch: Hier sinken die Emissionen nicht, weil das Tier ja länger auf der Weide herumspringt und gerade das Rind dabei mehr Methan ausstösst. Ich empfehle Bio, aber nicht beim Fleisch.

Vielen Konsumentinnen und Konsumenten wird das nicht bewusst sein.

Konsumierende haben generell ein verzerrtes Bild. Umfragen haben gezeigt, dass die CO₂-Emissionen durch den Transport von Lebensmitteln doppelt so hoch geschätzt werden, als sie tatsächlich sind. Gleichzeitig werden die Emissionen durch die Produkte selbst stark unterschätzt. Viele verstehen nicht, dass, wenn Lebensmittel gedüngt werden, diese Düngemittel auf dem Feld verdampfen und dadurch Treibhausgase entstehen. Werden Regenwälder abgeholzt, haben wir nochmal was kaputt gemacht. Und dann gibt es noch die Methangas-Emissionen von den Kühen. Das sind die drei Hauptfaktoren, die Emissionen verursachen. Und das nehmen die meisten nicht wahr.

«Wir wollen laut schreien und dabei recht haben.»

 

Einige Menschen werden sich nun angegriffen fühlen.

Essen ist ein hochemotionales Thema. Über die wissenschaftliche Dynamik wollen wir ihm einen nicht debattierbaren Rahmen geben. Wir wollen laut schreien und dabei recht haben. Wir wollen mit den Fakten kommen und sicher sein, dass diese unbestreitbar wahr sind. Wir kritisieren also niemanden, sondern zeigen lediglich Zahlen und Fakten auf.

Steht man im Laden und will nachhaltig einkaufen: Woran kann man sich orientieren?

Pi mal Daumen gehts darum, tierische Produkte zu reduzieren. Der Rest ist in Ordnung. Im Differenzierten kann man noch darauf achten, dass es kein Flugzeugtransport war oder dass das Gemüse nicht im Gewächshaus fossil beheizt wurde.

Sie rechnen nicht nur für Konsumenten und Konsumentinnen, sondern auch für Restaurants und Hersteller.

Genau. Wir haben uns ein paar Jahre nach unserem Start entschieden, dass wir eine Organisation brauchen und Löhne bezahlen müssen, um möglichst viele Leute ins Team holen zu können, die diese Berechnungen machen, programmieren und skalierbar machen. Dazu braucht es Einkommensquellen. Und diese wollten wir eben nicht von Förderung abhängig machen.

Sondern?

Unser kommerzielles Geschäft besteht darin, Berechnungen insbesondere für Lebensmittelprodukte – wie zum Beispiel Veganz – oder für Restaurants selbst zu machen. Mittlerweile sind über 650 Restaurants und Systemgastronomen – also Kantinen und Mensen – an unser System angebunden. Damit erreichen wir Tausende von Menschen pro Tag und können einen enormen Unterschied machen.

Sie machen also Köche zu Klimahelden. Wie sieht es bei den Herstellern selbst aus?

Hier sehen wir den grössten Hebel, und zwar in Form einer Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln. Unser Ziel ist es, das gesamte Produktportfolio von Supermärkten präzise zu berechnen. Hierzu sind wir mit diversen Retailern im Gespräch, um diese Berechnungen öffentlich zu machen.

Wohin führt diese Reise idealerweise, langfristig gesehen?

Der Detailhandel macht den Anfang. Dann kommt vielleicht irgendwann die Regierung und setzt eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für die CO₂-Bilanz von Lebensmitteln durch. In einem letzten Schritt gäbe es dann eine EU-weite CO₂-Steuer auf Lebensmittel. Meines Erachtens ist das das einzige Mittel, um hier noch die Kurve zu kriegen.

Welche Rolle wird dabei Eaternity spielen?

Es kann nicht sein, dass ein Startup den Score und das Label macht. Es braucht eine neutrale Plattform, die nicht privatwirtschaftlich motiviert ist. Das ist uns völlig bewusst. Wir müssen auf eine höhere Ebene kommen. Das bedeutet, dass der Score irgendwann nicht mehr Eaternity Score heissen wird. Aber es werden dieselben Abmessungen sein.

Wie steht es mit Ihrem persönlichen Umweltfussabdruck?

Über die letzten zehn Jahre habe ich mehr oder weniger alles probiert, um meinen Lebensstil anzupassen und die CO₂-Emissionen zu senken. Ich wohne in einer nachhaltigen Wohnsiedlung, wo wir unser Essen selbst zubereiten, kein Auto besitzen, erneuerbaren Strom und erneuerbare Wärme nutzen. Wir haben uns daran gewöhnt, nichts zu konsumieren, also Konsum nicht als Spass zu betrachten. Geburtstagsgeschenke sind dann halt irgendwelche Secondhand-Sachen, die wir noch haben (lacht). Und ich gehe auf keine Veranstaltungen mehr, sondern mache alles Remote. Das ist mein persönlicher Beitrag zum Schutz des Planeten.