Nach seiner Gründung im Jahr 1854 widmete sich das Luzerner Unternehmen Gübelin während Dekaden der Kreation exquisiter Uhren. Anfang der 1920er-Jahre eröffnete der damalige Geschäftsführer Eduard Moritz Gübelin ein eigenes Schmuckatelier – und gründete 1923 das gemmologische Labor, um die für die eigenen Schmuckstücke verwendeten Edelsteine auf ihre Echtheit und Qualität zu prüfen. Hundert Jahre später ist aus dem internen Dienstleister ein externer geworden – und aus dem kleinen Labor eines Luzerner Familienunternehmens eine international renommierte Instanz für Farbedelsteine. Wer wissen will, mit was genau er es zu tun hat, fragt das Gübelin Gem Lab – und dessen Managing Director Daniel Nyfeler.

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Daniel Nyfeler, Sie sind der Managing Director des Gübelin Gem Lab. Anders als es der Name vermuten lässt, ist das Labor in erster Linie ein Dienstleistungsbetreiber für Externe.

Daniel Nyfeler Wir untersuchen und bewerten natürlich auch Edelsteine für Gübelin Jewellery; aber richtig, heute kommen geschätzt 95 Prozent unserer Aufträge von extern.

Wer gehört zu Ihrer Kundschaft?

DN Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit Steinen in der Handelsphase der Value-Chain, seltener mit bereits gefassten Exemplaren. Was natürlich auch vorkommt, ist, dass uns Privatpersonen mit der Einschätzung ihrer Steine betrauen – etwa, wenn sie diese weiterverkaufen, an ein Auktionshaus übergeben oder zu etwas Neuem verarbeiten wollen. 

Wie funktioniert denn diese Bestimmung beziehungsweise Einschätzung eines Farbedelsteines?

DN Wir bestimmen diejenigen Parameter eines Farbedelsteins, die von Auge nicht zwingend sichtbar sind. Heute ist die Herstellung synthetischer Steine so fortgeschritten, dass selbst ein Experte ohne die richtigen Tools nicht mehr zwingend erkennt, ob ein Exemplar echt, sprich vor Millionen von Jahren tief in der Erde gewachsen ist. Unsere Hauptaufgabe liegt aber klar in der Bestimmung der Herkunft: Aus welchem Land ein Stein stammt, hat einen sehr grossen Einfluss auf seinen Wert.

Daniel Nyfeler

Daniel Nyfeler studierte an der Universität Bern und hat 1997 mit einem Doktortitel in Geologie und Erdwissenschaften abgeschlossen. Seit 2003 ist er Managing Director des gemmologischen Labors von Gübelin in Luzern. Unter seiner Leitung wurde das eigenständige Tochterunternehmen des Hauses erweitert und eröffnete in den Jahren 2010 und 2017 permanente Laboreinrichtungen in Hongkong und New York. 

Und wie lässt sich die Herkunft denn bestimmen?

DN Es gibt Attribute im Inneren des Steines, die uns Aufschluss darüber geben, in welchem geologischen Milieu er gewachsen ist. Ergänzt wird dies durch spektroskopische Verfahren, die mittels elektro-magnetischer Strahlung den Aufbau und die Struktur eines Edelsteins identifizieren, sowie Spuren-elementanalytik. Die Haupt- und Nebenelemente einer Steinart sind immer dieselben. Die Spuren-elemente unterscheiden sich aber. So haben bestimmte geografische Regionen spezifische Merkmale, die wir anhand unserer Analysen erkennen können.

Anfang dieses Jahres stellten Sie Gemtelligence vor, ein von Gübelin in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Technologie-Innovationszentrum CSEM entwickelter Algorithmus, der die Herkunft und Behandlung von Steinen mit künstlicher Intelligenz ermittelt. Ein Meilenstein zum hundertsten Geburtstag!

DN Das Projekt ist seit Ende 2019 in Entwicklung. Die Technologie von Machine Learning und Deep Learning ist inzwischen so weit, dass sich mit einer einzigen Software in einem Schritt verschiedene Datenarten auswerten lassen.

Und inwiefern ist dieser Ansatz besser als der bisherige, bei dem ein Gemmologe diese Daten herausarbeitet?

DN Erstens kann die Konsistenz der Auswertung verbessert werden, weil der menschliche Einfluss als Fehlerquelle stark reduziert wird. Zudem erkennt die Software in den ihr zur Verfügung stehenden Analysearten zusätzliche Indizien, die der Mensch nicht als relevant wahrgenommen hat. Gemtelligence erkennt also neue, bessere Muster.

Welchen Aufgaben widmen sich Ihre Gemmologen stattdessen?

DN Unsere Gemmologen plausibilisieren die Ergebnisse und sehen jeden Edelstein weiterhin selbst an. Zudem können sie jetzt vermehrt im Bereich der angewandten Wissenschaft arbeiten, also zum Beispiel neue Technologien in der Praxis anwenden.

Wie zum Beispiel  für Provenance Proof.

DN Provenance Proof ist eine Plattform, die durch Tracking die Transparenz auf dem Edelsteinmarkt ermöglicht und fördet. Wir haben sie 2017 ins Leben gerufen, weil die Industrie Transparenz, wie sie etwa in der Nahrungsmittelindustrie längst gang und gäbe ist, nicht liefern konnte – oder nicht liefern will. Das stört einerseits den Kunden, der wissen möchte, woher sein Produkt kommt, und andererseits die Marken, die ihre Supply-Chain-Risiken unter Kontrolle haben wollen. Inzwischen ist Provenance Proof ein eigenes Unternehmen innerhalb des Hauses.

Wie funktioniert dieses Tracking?

DN Eine Möglichkeit ist, dass noch in der Mine Nano-partikel in den Edelstein eingefügt werden, die während der ganzen Wertschöpfungskette im Stein verbleiben und die Mine des Steins angeben. Des Weiteren bietet uns die Blockchain die Möglichkeit eines digitalen Tagebuchs: Jeder, der einen Stein besitzt, kann dort eintragen, was er mit ihm macht. Bis heute hat Provenance Proof über neun Millionen Steine rückverfolgbar machen können, über siebenhundert Unternehmen weltweit nutzen diesen  Service.

Die schwierige Rückverfolgbarkeit ist auch ein wichtiges Argument für die Bewegung hin zu Laborsteinen. In der Diamantindustrie ist das Thema Lab-Grown hochaktuell, die synthetischen Steine seien nicht nur nachhaltiger, sondern auch ethischer. Ist bei Farbsteinen eine ähnliche Dynamik zu beobachten?

DN Das haben wir längst hinter uns. Schon vor über hunder Jahren hat man synthetische Rubine hergestellt, Saphire, Spinelle. Die Industrie bezeichnete es als Blasphemie. Synthetische Alternativen mögen schön sein, aber es sei die Seltenheit des natürlichen Vorkommens der Steine, die ihren Reiz ausmache. 

Das ist bei Diamanten aber nicht anders – und trotzdem steigt die Nachfrage nach Laborsteinen.

DN Die Diamantbranche ist um ein Vielfaches grös-ser als diejenige von Farbedelsteinen. Da sind das Bewusstsein, die Aufmerksamkeit und die Anreize anders. Synthetische Steine haben einen viel klei-neren intrinsischen Wert. Dadurch sind sie für viele Kunden, die Steine auch als Investitionsgut sehen, weniger interessant.

Neben Nachhaltigkeit und Ethik argumentieren die Befürworter der Laborsteinbewegung auch mit Knappheit: Je mehr wir abbauen, desto schneller ist nichts mehr übrig. Ist auch dies ein Diskussionspunkt, der bei Farbsteinen weniger oft angeführt wird?

DN Diese Knappheit ist es ja, die den Steinen überhaupt ihren Wert gibt.

Aus Sicht der Konsumenten. Aus Sicht der Edelsteinhändler und Juweliere ist die wachsende Knappheit nicht zwingend etwas Gutes. Es werde schwerer und schwerer, gute Steine zu finden.

DN Wenn man nicht findet, was man sucht, bleibt immer die Möglichkeit, auf einen anderen Stein auszuweichen. Im Bereich der Farbsteine haben wir viele Alternativen. 

Die Vielfalt an Steinen macht es für Kundinnen und Kunden schwierig, zu wissen, womit genau sie es zu tun haben. Unter anderem darum haben Sie 2021 das Gübelin Gemstone Rating eingeführt.

DN Anders als bei Diamanten verlangt die Ein-schätzung von Farbedelsteinen sehr viel Fachwissen. Als Raphael Gübelin mit der Idee kam, ein eigenes Rating einzuführen, waren wir vom Labor zunächst skeptisch. Mittlerweile bin ich der grösste Verfechter des Ratings.

Wie genau bewerten Sie?

DN Wir analysieren bis zu sechzehn Parameter – Typ, Farbe, Transparenz, Schliff, Behandlung, Seltenheit und so weiter –, dann verleihen wir dem Stein eine Punktzahl von bis zu hundert. Das Rating soll als Orientierungshilfe dienen. Die Qualität innerhalb einer Steinart kann extrem variieren, als Laie ist man schnell verloren. Gerade wenn man Steine als Investition sieht, ist das Rating einer neutralen Instanz entsprechend wichtig.

Erachten Sie Farbedelsteine als gutes Investmentobjekt? Wie wertbeständig sind sie denn?

DN Wir leben in unsicheren Zeiten, mehr und mehr Leute verlieren das Vertrauen in Banken, in ihre Regierungen. Das begünstigt die Investition in Objekte, die man zu Hause lagern und im Falle eines Falles problemlos einsammeln und mitnehmen kann. Eine Million Franken in Gold ist bereits schwierig zu transportieren, ein paar Millionen in Farbedelsteinen hingegen passen problemlos in die Hosentasche.

In welchen Stein sollte man Ihrer Meinung nach investieren, um die Chance auf Werter-halt oder gar Wertsteigerung zu maximieren?

DN Wenn Sie keinen Experten haben, der Sie kompetent berät, würde ich Ihnen Diamanten empfehlen. Für die Investition in Farbedelsteine sollten Sie sich zwingend fachkundige Hilfe zur Seite holen – dafür ist die Chance auf eine Wertsteigerung deutlich höher. Achten Sie auf Topqualität, das ist das Allerwichtigste! Lieber ein kleiner Stein als ein nicht perfekter grosser. Auch ein Stein von höchster Qualität kann natürlich einmal an Wert ver-lieren, aber der Markt mit Investment-Grade-Farbedelsteinen erholt sich auch nach Krisen verhältnismässig schnell. Das hat die Geschichte wiederholt bewiesen.