Man schrieb das Jahr 1999. Die Popularität von Hip-Hop hatte neue Höhen erklommen. B. G. – kurz für Baby Gangsta – rappte: «Medallion iced up, Rolex bezelled up / And my pinky ring is platinum plus / Earrings be trillion cut / And my grill be slugged up / My heart filled with anger ’cause nigga I don’t give a fuck / Bling.» Bling-Bling – ein Begriff war geboren. Bling waren die Diamanten auf der Rolex, bling war der fette Ring – erst recht, wenn er als Achtkaräter an der linken Hand von Cardi B glänzte. Die Wortschöpfung wurde zum Synonym für Hip-Hop-Schmuck. Schmuck, der an Exzentrik kaum zu übertreffen ist.

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Der Grund für seine Extravaganz ist ein simpler, indes voller Symbolkraft für die Crew: In der Welt des Hip-Hops steht Schmuck für die persön-lichen Errungenschaften und das Versprechen einer besseren Zukunft. Er erzählt die Geschichte der Herkunft und des Aufstiegs. Mit ihm werden die Meilensteine der Karriere markiert, die eigene Identität kommuniziert. Schliesslich lebt die Szene mit ihren Rap-Battles, bei denen Teilnehmer ihr lyrisches Können mit demjenigen ihrer Gegner messen, in einem ständigen Wettkampf. Was man zum Battle trägt, bildet den eigenen Status, den Reichtum und die allgemeine Coolness ab – gegenüber dem Publikum und den anderen Rappern. Der Schmuck spricht dabei am lautesten. «Ich erzähle mit meiner Kleidung und meinem Schmuck mindestens schon so lange Geschichten, wie ich sie mit Beats und Reimen erzähle», sagt Richard «Slick Rick» Walters, einer der einflussreichsten Rapper des frühen New Yorker Hip-Hops im Buch «Ice Cold, A Hip-Hop Jewelry History» von Vikki Tobak. An diesem Spiel hat sich bis heute nichts geändert. Die Einsätze sind nur grösser und die Ketten auffälliger geworden.

Die Liebesaffäre der Musikszene mit plakativem Schmuck ist eine langjährige. Sie begann in den 1970er-Jahren in New York. Die schweren Ketten, Medaillons, Jesusköpfe, die diamantbesetzten Ringe, Armbänder und Grillz – all der Schmuck, mit dem sich Rapper, Sänger, DJs und Breakdancer auf und neben der Bühne schmückten – ahmten den Stil der Drogendealer, Kleinkriminellen und Zuhälter in Harlem und der Bronx nach. Die Strassen waren der Runway, die Musikklubs das Zuhause. Doch nachdem im Sommer 1973 der amerikanisch-jamaikanische Musiker Kool DJ Herc im Partyraum eines Mietshauses in der Bronx zwei Platten zu einem Breakbeat mischte – der Moment, der heute weithin als die Geburtsstunde des Hip-Hops bezeichnet wird – war die Musikwelt eine andere. Die Hip-Hop-Bewegung brauchte ihre eigenen Stil-Codes. Und diese basierten auf der Ästhetik der Street-Culture von New Yorks Armenvierteln. Wollte man gesehen werden und sich bedeutend fühlen, legte man ein Schmuckstück an. Schliesslich ist Stil ein visueller Dialog – einer, den der Hip-Hop über die letzten fünfzig Jahre meisterlich anzuwenden lernte.

Dabei waren die Anfänge bescheiden. Wenn die Strasse der Runway ist, trägt man die Welt am Körper, so die Devise: den Namen am Hals baumelnd oder in einen Vier-Finger-Ring graviert, genauso der Name des Wohnviertels, des Sternzeichens oder der Crew-Zugehörigkeit. Das kultigste Schmuckstück des Hip-Hops war dabei von Beginn weg die fette Goldkette. Es ist schwer, sich als Rapper zu bezeichnen, wenn man nicht eine solche in seiner Schmuckschatulle hat. Diejenige von Musiker und Produzent Jay-Z etwa wiegt fünf Kilo und wurde von Rafaello & Co speziell für ihn angefertigt.

Mit grösseren Budgets und mutigeren Reimen kamen auch beeindruckendere Auftritte. Schmuck wurde zur grossen Geste. Auf dem Kar-rierehöhepunkt von Run-D. M. C. schenkte Adidas dem Hip-Hop-Trio massive Goldanhänger in Turnschuhform, die als Trophäen um ihre Hälse baumelten. Und wer erinnert sich nicht an die gigantischen Logo-Anhänger von Luxus-Automarken wie Mercedes-Benz oder Rolls-Royce, getragen von Szenestars wie dem Eastcoast-Hip-Hop-Duo Eric B. & Rakim. Mit den Jahren waren solche Anhänger nicht mehr nur Schmuckstücke, sondern wurden zu Werbeträgern für den eigenen Namen oder die Plattenlabels der damaligen Zeit. Sie repräsentierten Loyalität und Treue zur Wahlfamilie und zum Business. Labels begannen, ihre Künstler, Produzenten und den gesamten «inneren Kreis» mit diesen Blingtrophäen zu schmücken. Man konnte sie nicht kaufen. Sie wurden feierlich übergeben – als Symbol eines gemeinsamen Narrativs.

Der Hip-Hop entwickelte sich zum Big Business. Rapper wurden kulturelle Influencer, die die Musikindustrie dominierten, die Massen bewegten, die Bankkonten füllten. Und die begannen, Nullen an die Preise ihres Schmucks zu hängen. Mit der Kommerzialisierung des Genres wurde der Bling mehr und mehr zum Marketinginstrument. Klotzen statt kleckern war angesagt. Die Designs wurden nicht nur immer teurer, sondern auch immer extravaganter. Gold wurde durch Platin ersetzt, und es gab praktisch kein Stück mehr ohne «ice», wie Diamanten in der Szene bezeichnet werden. Denn wie könnte man den eigenen Reichtum besser demonstrieren, als ihn deutlich als solchen erkennbar und für jedermann sichtbar um den Hals zu hängen? Die mit mehr-farbenen Diamanten besetzte Gucci-Gliederkette mit dem grossen, runden Anhänger, auf dem die drei Mitglieder des Hip-Hop-Trios N.E.R.D abgebildet sind, kostete deren Frontman Pharrell Williams die Kleinigkeit von einer Million US-Dollar.

Die MC wurden zu glitzernden Lichtfiguren der Popkultur, die Geld regnen liessen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Hip-Hop und die grossen Luxushäuser zueinanderfanden. Ende der 2000er-Jahre wurden sie zu Partnern. Musiker und Luxusmarken schufen eine künstlerische Dynamik, die der Schlüssel zum schwindelerregenden Umsatzwachstum wurde und Schmuck in der Gesellschaft zu einem immer grösseren Aus-gabenposten werden liess. Das Debüt von Pharrell Williams als Creative Director Menswear bei Louis Vuitton im Sommer 2023 katapultierte diese Strategie auf ein neues Level. Die Hip-Hop-Ästhetik ist zum Motor moderner Kultur geworden, wegweisend im Design, in der Kunst und im Lifestyle. Traditionelle Häu-ser wie Tiffany & Co. integrieren Stil-Elemente, die schon längst im Hip-Hop vorkommen, und ernennen die Stars des Genres zu Markenbotschaftern, um ihr bisweilen sprödes Image aufzupolieren: A$AP Ferg wurde 2018 der erste der amerikanischen Schmuckmarke, lange bevor das Musikerehepaar Jay-Z und Beyon-cé 2021 gemeinsam in einer Werbekampagne zu sehen war. Und auch bei Audemars Piguet gehen Old-Money-Power-Player mit Rappern auf Tuchfühlung: 2005 stellte die Uhrenmarke aus Le Brassus die Royal Oak Offshore Jay-Z 10th Anniversary Limited Edition vor – eine auf hundert Uhren limitierte Sonderedition, die gemeinsam mit dem amerikanischen Rapper entworfen worden war, um sein erfolgreiches erstes Jahrzehnt in der Musikindustrie zu feiern. Auf dem Gehäuseboden war Jay-Zs Unterschrift eingraviert, und in der Schachtel befand sich ein mit all seinen Alben vorgeladener iPod. Die Uhr war innerhalb von sechs Wochen ausverkauft.

Hundertfach besungen und in Rap-Songs verewigt wurde auch Rolex. Es scheint, dass praktisch jeder prominente Rap- beziehungsweise Hip-Hop-Star mindestens eine Uhr der Schweizer Manufaktur besitzt, bevorzugt die Day-Date President oder die Datejust. Und wenn es nicht ein Zeitmesser von Rolex ist, dann die Nautilus von Patek Philippe. Cool ist, was Hip-Hop ist, sagen sich die Uhrenfirmen und polieren mit den Rap-Songs, die den Status der Marke bezeugen, stolz ihr Image auf. Die Hip-Hopper wiederum personalisieren, was die Edelsteine hergeben: Besonders beliebt sind «iced-out»-Stücke, so die Bezeichnung für Uhren und Schmuck-stücke, die im Nachhinein über und über mit Diamanten besetzt werden.

Auch die Juweliere des Hip-Hops  begannen, ihr Können zu ver-feinern, um ihrem Mantra «The Sky Is the Limit» gerecht zu werden. Viele von ihnen bedienten ihre Kundschaft im New Yorker Diamond District, wo sie als Einwanderer ihren eigenen American Dream lebten. So wie Jacob Arabo mit seinem Uhren- und Schmuckunternehmen Jacob & Co, den die «New York Times» als «Harry Winston der Hip-Hop-Welt» betitelte. Oder der Privatjuwelier Rafaello & Co, der Superstars wie Jay-Z, Swizz Beatz oder Lil Yachty bedient. 2013 fertigte er den Verlobungsring für Nicki Minaj, für Beyoncé stellte er diverse dekorative Zahnabdeckungen – Grillz – her, die zur Szene gehören wie der Gangsta zum Rap. Der Begriff Grillz bezieht sich übrigens auf die verzierten Kühlergrills von Luxuswagen. Aber auch an der Westküste wird designt, so wie in Los Angeles von Ben Baller für seinen Custome-made-Juwelierbrand IF & Co.: Bevor er Gold und Steine sampelte, arbeitete Baller als Musikproduzent. Wen wunderts, liest sich seine Kundenliste wie das Who is who der Rapszene: Drake, The Weeknd, Snoop Dogg oder A$AP Ferg.

Heute hat Hip-Hop ein immenses kulturelles Gewicht, es geht nicht nur um Selbstausdruck, er bietet auch eine Perspektive – mit Schmuck als seinem Emblem. «Wenn du aus dem Nichts kommst und die Möglichkeit hast, dir etwas Unglaubliches zu kaufen, wirst du dies tun», sagt Kevin «Coach K» Lee, Mitgründer von Quality Control Music. Wem es gelingt, über den Hip-Hop von «rags» zu «riches» zu kommen, dem reicht es nicht, Geld nur zu haben. Es will zur Schau gestellt werden. Bling-Bling.