Beinahe so alt wie die Menschheit selbst ist ihr Bemühen um Höchstleistungen. Diese Erkenntnis gilt für fast alle Bereiche des täglichen Lebens und folglich auch für Uhren. Dort gibt es eine ganze Reihe bemerkenswerter Innovationen, Weltpremieren oder Superlative aus Schweizer Küche. Mit manchen verknüpft sich freilich auch der Makel des Vergänglichen, denn das durch harten Wettbewerb hervorgebrachte Bessere ist bekanntlich des Guten unerbittlicher Feind. In diesem Sinne repräsentieren die hier zusammengetragenen Superlative nur einen Ausschnitt aus der langen Geschichte mechanischer Zeitmessung mit Schweizer Vergangenheit.

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le coultre
Quelle: ZVG
Weniger als 0,4 Gramm geht nicht

1929 Anlässlich ihrer Krönung am 2. Juni 1953 trug Queen Elizabeth II. einen nicht mehr unterbotenen Superlativ am Handgelenk. Das zweigeschossige Handaufzugskaliber 101 in den Dimensionen von 14 mal 4,8 mal 3,4 Millimeter hatte LeCoultre bereits 1929 vorgestellt. 74 Komponenten beanspruchen 228,48 Kubikmillimeter Volumen. Samt Zifferblatt und Zeiger bringt der baguetteförmige Winzling weniger als 1 Gramm auf die Waage. 1990 gelang Jaeger-Le-Coultre übrigens auch dessen Skelettierung. Am Ende handwerklicher Bemühungen wiegt er nur noch 0,4 Gramm. Weniger geht definitiv nicht.

rolex deep sea
Quelle: ZVG
Ganz hinunter in die Tiefe des Meeres

1960 Vor 62 Jahren erfolgte der spektakulärste Abstieg von Mensch und Uhr in die Welt des Schweigens. Nach vier Stunden und 43 Minuten erreichten Jacques Piccard und der amerikanische Marineoffizier Don Walsh mit ihrem Bathyskaphen «Trieste» den Marianengraben und damit eine Tiefe von 10 916 Metern. Bis zum absoluten Tiefpunkt der Weltmeere fehlten nur noch 8 Meter. Der opulenten, an der Aussenhaut des Unterwassergefährtes befestigten Deep Sea Special von Rolex machten 1150 Bar Wasserdruck nicht das Geringste aus. 20 Minuten lang hielt der Zeitmesser klaglos diesen Druck aus. Und nach dem Auftauchen tickte er so, als wäre nichts geschehen.

girard-perregaux_sea hawk II
Quelle: ZVG
Und gleich nochmals ein Tauchrekord

2005 Tiefer kann kein Tourbillon: Das Titangehäuse der Sea Hawk II Pro von Girard-Perregaux widersteht dem Druck des nassen Elements bis zu 300 Bar, was 3000 Metern unter dem Meeresspiegel entspricht. Gleich zwei Heliumventile sorgen beim Auftauchen für zuverlässige Dekompression. Das allein wäre freilich nicht der Rede wert. Die robuste Hartschale birgt ein Manufakturhandaufzugswerk mit 110 Stunden Gangautonomie und fliegendem Tourbillon. Wie es sich für eine professionelle Taucheruhr gehört, gibt es unübersehbare Leuchtziffern und -zeiger sowie eine einseitig rastende Tauchzeit-Drehlünette.

mathias naeschke pendeluhr Gangautonomie zehn Jahre
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Zehn Jahre Ticktack ohne Aufziehen

2011 Von den beiden Uhrmachern Matthias und Sebastian Naeschke, die sich in der Schweiz ihr berufliches Rüstzeug holten, heute aber in Deutschland arbeiten, stammt die mechanische Pendeluhr mit der längsten Gangautonomie. Ein amerikanischer Sammler wollte, dass sein mannshoher Zeitmesser zehn Jahre lang am Stück läuft. Die Naeschkes konstruierten ein Skelettwerk mit vier Gewichtszügen. Die Wellen von 11 Zahnrädern laufen in 22 Präzisionskugellagern und auf sechs Rubinsteinen. Für eine volle Umdrehung benötigt jedes der 4 Antriebsräder exakt 2083,3 Stunden. Somit sinken die Antriebsgewichte täglich lediglich um 0,36 Millimeter nach unten. Der Kleine Sekundenzeiger benötigt für eine Umdrehung 4 Minuten. Als Gangregler fungiert ein Sekundenpendel.

zenith_pilot aeronef type 20
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In der Luft muss alles schnell ablesbar sein

2012 Fliegerlook par excellence bietet die Pilot Aéronef Type 20 von Zenith. Mit einem Durchmesser von 57,5 Millimeter ist dieser Zeitmesser der grösste, welcher jemals mit einem offiziell zertifizierten Handaufzugswerk ans Handgelenk fand. Durch den Sichtboden des tickende Titan-Manifests zeigt sich das historische Manufakturkaliber 5011K aus dem Jahr 1960. Selbiges hat 50 Millimeter Durchmesser. Seine opulente Unruh vollzieht stündlich nur 18 000 Halbschwingungen, was die amtliche Chronometerprüfung der Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres (COSC) nicht eben erleichterte. Bedingt durch die limitierten Restbestände endete die Produktion bei Zenith nach 250 Exemplaren.

tag heuer_mikrogrider
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Tempo, Tempo – und das dazu extrem präzise

2012 Tempoweltmeister bei mechanischen Armbanduhren ist TAG Heuer. Bei der Konstruktion des Rekords blickten findige Ingenieure zurück auf Jean Baptiste le Rond, genannt D’Alambert. Sein Gedankengut führte zur Nutzung einer gestreckten Unruhspirale. Innerhalb von nur 59 Tagen entstand in den technischen Büros in La Chaux-de-Fonds nachgerade Revolutionäres für Kurzzeitmessungen auf 1/2000-stel Sekunde genau. Der Mikrogirder verkörperte eine bislang nicht mehr übertroffene Höchstleistung in Sachen Geschwindigkeit: Mit 1000 Hertz oszilliert seine Gangreglerklinge, was 7,2 Millionen Halbschwingungen pro Stunde entspricht.

hublot mp-05
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Typisch Hublot: Elf Federhäuser und ein E-Motor

2013 Mehr Federhäuser besitzt keine mechanische Armbanduhr: Gleich elf in Serie geschaltete Exemplare sorgen für bemerkenswerte fünfzig Tage Gangautonomie: Dieser Superlativ trifft zu auf das tickende Manifest namens MP-05 von Hublot. Kundige Uhrmacher fügen besagten Mikrokosmos mit digitaler Zeitanzeige und stehend angeordnetem Minutentourbillon aus nicht weniger als 637 Komponenten zusammen. Auf übliche Weise per Kronendrehungen lässt sich «La Ferrari» nicht manuell aufziehen. Zum Spannen der Energiespeicher liefert Hublot einen kleinen Elektromotor mit.

vacheron constantin 57260
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Zur Uhr gehört ein privater Uhrmacher

2015 Komplizierter geht es in der mechanischen Uhrmacherei bislang vermutlich nicht: 8 Jahre Entwicklungszeit, 10 Patente, 57 Funktionen, 98 Millimeter Durchmesser, 50,55 Millimeter Bauhöhe, 2826 Komponenten, 1 Kilogramm Gewicht. Der stattliche Preis von schätzungsweise mehr als 5 Millionen Franken resultiert nicht zuletzt aus der Tatsache, dass es sich bei der 2015 fertiggestellten Taschenuhr 57260 von Vacheron Constantin um ein Unikat für einen steinreichen amerikanischen Sammler handelt. Zur Pflege seiner Kollektion beschäftigt dieser einen eigenen, selbstverständlich hoch qualifizierten Uhrmacher.

lange & söhne triple split
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Stundenlange Vergleichsmessungen möglich

2018 Schleppzeiger sind die sehr hohe Schule der Chronographenkunst. Allerdings erfassen überlieferte Konstruktionen Ereignisse bis maximal 60 Sekunden. Anders der Triple Split von A. Lange & Söhne aus dem deutschen Glashütte. Hierbei handelt es sich nämlich um den ersten und bislang einzigen Chronographen mit Dreifachschlepp-zeiger. Somit gestattet die einzigartige Entwicklung stundenlange Vergleichsmessungen beispielsweise im Rahmen von Marathonläufen oder Triathlonwettbewerben. Möglich macht es das aus 567 Komponenten assemblierte Manufakturkaliber L132.1.

bulgari serpenti seduttori tourbillon
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Tourbillon so winzig wie die Zwanzigrappenmünze

2020 Das Handaufzugskaliber BVL 150 in der Serpenti Seduttori von Bulgari misst 22 mal 18 Millimeter und baut dazu gerade einmal 3,65 Millimeter hoch. Durch seine Form nutzt es den Innenraum der 34 Millimeter breiten und bis 3 Bar wasserdichten Gehäuseschale aus Roséoder Weissgold optimal aus. Die Besonderheit besteht in einem Minutentourbillon. Perfekten Durchblick gestattet die Verwendung von Saphirglas zur Lagerung des filigranen Drehgangs, in dem die Unruh mit 3 Hertz oszilliert. Nach manuellem Vollaufzug läuft das gegenwärtig kleinste Tourbillonkaliber auf dem weltweiten Uhrenmarkt rund 40 Stunden ohne Pause.

piaget_altiplano ultimate concept
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Noch dünner als eine Schallplatte

2021 Eine flachere mechanische Armbanduhr als die kleinseriell gefertigte Altiplano Ultimate Concept von Piaget gibt es bislang nicht. Fürs Gehäuse verwendet die Genfer Manufaktur eine harte und hoch elastische Kobalt-Chrom-Legierung. Zieht man von den 2 Millimeter Gesamthöhe die 0,2 Millimeter für das Saphirglas ab, bleiben etwa 1,8 Millimeter für den als Platine dienenden Gehäuseboden mit lediglich 1,2 Millimeter Materialstärke und die darauf befestigten Teile. Das offene, völlig neu konzipierte Federhaus bei 6 Uhr dreht mithilfe eines Keramikkugellagers. Ein Handaufzug führt Kraft für 40 Stunden Gangautonomie zu.

bulgari BVL 100
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Schlank ist gefragt – nicht nur bei Mannequins

2022 In Sachen uhrmacherischem Minimalismus schreibt das bald auslaufende Jahr definitiv Geschichte. Zwei der Superlative, von denen einer schon nach relativ kurzer Zeit unterboten wurde, stammen von Bulgari. Zum einen präsentierten die Römer mit ambitionierter Schweizer Uhrenabteilung das kleinste runde Handaufzugskaliber. Aus 12,3 Millimeter Durchmesser und 2,5 Millimeter Bauhöhe errechnen sich beim BVL 100 exakt 297 Kubikmillimeter Volumen. Lediglich 1,3 Gramm wiegen die – summa summarum – 102 Komponenten. Die 170 Millimeter lange Zugfeder liefert Kraft für 30 Stunden Gangautonomie. Schon wieder Vergangenheit ist der Flachheits-Weltrekord in Gestalt des nur 1,5 Millimeter hohen, aus 170 Komponenten montierten Handaufzugskalibers BVL 180. Samt Gehäuse aus Titan und Wolframkarbid baut diese 40 Millimeter messende Armbanduhr 1,8 Millimeter hoch. Blickt man von vorne auf dieses OEuvre, zeigen sich Federhaus, Räderwerk, Gangregler und die notwendigerweise exzentrisch angeordneten Indikationen von Stunden, Minuten und Sekunden wie auf dem Tablett ausgebreitet. Bis zu 50 Stunden reicht die Gangautonomie.

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Über Geschmack darf man durchaus streiten

2022 Die Weltbestleistung in Sachen flacher Bauweise präsentiert sich – im Gegensatz zum BVL 180 – regelrecht verschlossen. Die Krone schnappt sich Richard Mille. Lediglich 1,75 Millimeter trägt das Titangehäuse am Handgelenk auf. Beim Design der zusammen mit Renaud & Papi, einer 100-prozentigen Audemars-Piguet-Tochter, entwickelten RM UP-01 Ferrari scheiden sich die geschmacklichen Geister. Ungeachtet dessen verlangte die Realisation des losgelöst vom Gehäuse nutzbaren Handaufzugswerks mit nur 1,18 Millimeter Bauhöhe nach konstruktiver Kreativität und höchster Präzision. Nur 2,82 Gramm beträgt sein Gewicht.

Vermutlich wird auch dieser Superlativ nicht ewig währen. Dem Vernehmen nach tüfteln Bulgari und Piaget an noch Flacherem. Irgendwo werden sie 5 Hundertstelmillimeter einsparen können. Folglich bleibt die Spannung erhalten.