Rund 58 Prozent beträgt momentan der Anteil der Wasserkraft an der inländischen Stromproduktion. Gemäss der Energiestrategie 2050 will der Bund die durchschnittliche Jahresproduktion von Elektrizität aus Wasserkraft bis 2050 auf 38 600 Gigawattstunden steigern – aktuell produzieren die Wasserkraftwerke nominal 37 260 Gigawattstunden. Doch ist das realistisch angesichts des Klimawandels?

Im Südtessin gab es schon im April dieses Jahres in einzelnen Gemeinden Wasserbeschränkungen, weil der Regen ausblieb. Die Bewohner dürfen ihre Autos nicht mehr waschen und die Pools nicht mehr auffüllen. Die Wasserversorger wollen eine App lancieren, um die Bevölkerung zum Wassersparen zu animieren.

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Das Tessin am stärksten betroffen

«Im Alpenraum wird sich nach heutigem Wissensstand die Jahresniederschlagsmenge nicht grossartig ändern», sagt Robert Boes, Professor für Wasserbau und Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie an der ETH Zürich. Generell ist unser Klima stark vom nahen Atlantik auf der Alpennordseite und dem Mittelmeer auf der Alpensüdseite geprägt. Das heisst: Es fliesst immer wieder feuchte Luft zur Schweiz und es regnet hier.

Doch etwas ändert sich: «Das ist die Verteilung nach Regionen und Jahreszeiten», sagt Robert Boes. Das Tessin sei von den Klimaregionen der Schweiz am stärksten beim Wasserangebot betroffen. Weil der Südkanton nur etwa 11 Prozent zur Schweizer Wasserkrafterzeugung beiträgt, ist das für die gesamtschweizerische Energieversorgung nicht entscheidend. «Aber es schafft in anderen Bereichen grosse Probleme, beispielsweise im Konfliktfeld Landwirtschaft versus Tourismus.» Künftig wird es gemäss den «Klimaszenarien CH2018» im Sommer trockener und im Winter regnet es mehr. Für die Stromwirtschaft ist das nicht unbedingt schlecht: Die Natur hilft, um im Winter, wenn die Nachfrage am grössten ist, mehr Strom zu erzeugen.

Das ist auch für Boes eine gute Nachricht: «Jüngere Studien haben festgestellt, dass die Jahreserzeugung für Laufwasserkraftwerke zum Teil zurückgeht. Aber im kritischeren Winterhalbjahr verzeichnen wir bis jetzt keinen Rückgang, und die Prognosen ergeben eine Zunahme im Winterhalbjahr bis Ende des Jahrhunderts.» Er räumt zwar weiteren Untersuchungsbedarf ein. «Trends sind erkennbar, doch bei den Prognosen gibt es immer gewisse Unsicherheiten.» Man erwarte Minderungen im Sommerabfluss bei den Laufwasserkraftwerken, hält der ETH-Professor fest, «doch wir sprechen da von Grössenordnungen von einigen wenigen Prozenten». Für den Wissenschafter ist klar: «In den vergletscherten Alpen, allen voran im Wallis, lebt die Wasserkraft derzeit noch von den verstärkten Eisschmelzen.» Diese hätten in den letzten Jahrzehnten zugenommen, würden zum Teil noch bis Mitte des Jahrhunderts ansteigen, um dann erst wieder zurückzugehen. Und da, wo einst 100 Meter dickes Eis lag, könnten künftig Stauseen Wasser speichern, sodass Turbinen damit Strom erzeugen können. Der Gletscherrückgang in den Alpen hinterlässt Flächen, die sich für Speicherkraftwerke bestens eignen, zumal sich dort teilweise schon Seen bilden.

Speicherwasserkraftwerke haben für die Energiewende eine weitere entscheidende Funktion. Sie dienen als Riesenbatterien. Weil wir die Kernkraftwerke abschalten und die fossile Energie reduzieren wollen, benötigen wir neben Strom aus Wasserkraft auch erneuerbare Energien aus Sonnen- und Windkraft. Doch die Sonne scheint nicht immer dann, wenn Strom benötigt wird, insbesondere im Winter. Deshalb muss diese Energie gespeichert werden.

Keine Probleme sieht Robert Boes für die Flusskraftwerke an Aare und Rhein: «Da ist künftig vermutlich über das Jahr gesehen nicht viel weniger Wasser vorhanden als bisher.» Entscheidend sei immer, was an Niederschlag falle. Man könnte nun argumentieren, dass bei steigenden Temperaturen die Verdunstungsrate leicht steige. «Doch im Hochgebirge macht das nicht so viel aus, weil es in der Höhe doch nicht so warm ist.» Ein Problem sieht er hingegen, wenn aus den Flüssen viel Wasser für die Landwirtschaft entnommen würde. «Das würde dann entweder verdunsten oder von den Pflanzen benötigt und stünde der Wasserkrafterzeugung nicht mehr zur Verfügung.»

Wasserkraft auch ohne Gletscher

Viele Kraftwerke wurden gemäss Boes in den 1950er bis 1970er Jahren in Betrieb genommen. «Das damals berechnete sogenannte Regeljahresarbeitsvermögen ist in vergletscherten Einzugsgebieten angestiegen und wird gegen Ende des Jahrhunderts wieder auf den Wert von damals zurückgehen.» Das heisst für ihn: «Auch ohne Gletscher wird man trotzdem Wasserkraft betreiben können.» Für Boes ist deshalb auch das in der Energiestrategie 2050 angenommene Szenario mit dem weiteren Ausbau der Wasserkraft «realistisch».

Noch stärker als die Schweiz setzt Norwegen auf die Wasserkraft. Dort beträgt der Anteil an der gesamten Stromerzeugung über 95 Prozent. Aber auch für das Land der Gletscher und Fjorde erwartet der ETH-Professor keine grossen Einflüsse des Klimawandels auf die Wasserkraft. «Natürlich schmelzen auch dort die Gletscher. Aber Norwegen hat sehr viele Niederschläge und es wird weiter viel regnen.» Das Land verfüge zudem über riesige Speicher, die das umlagern könnten. Robert Boes ist zuversichtlich: «Norwegen wird weiterhin zum Grossteil mit Wasserkraft leben können.»