Die Revolution der künstlichen Intelligenz (KI) stellt Rechtswissenschaften und Gesetzgeber vor eine epochale Herausforderung, wie sie in jedem Jahrhundert nur wenige Male vorkommen. Warum? Weil der technische Fortschritt ein rechtliches Paradoxon mit sich bringt, in dessen Folge eine gewaltige Regelungslücke entsteht. Es geht um Milliarden Franken, Dollar oder Euro. Wer die Lücke zuerst zu seinen Gunsten ausfüllt, dem stehen grosse Einkünfte zu – die anderen gehen weitgehend leer aus.

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In aller Kürze ist das Paradoxon so beschrieben: Was generative künstliche Intelligenz hervorbringt, ist in den allermeisten Rechtsgebieten nicht urheberrechtlich geschützt. Was sie jedoch benötigt, um ihre Arbeit zu verrichten, das unterliegt in vielen Fällen strengem rechtlichen Schutz. Das Produkt ist nicht geschützt, seine Zutaten sind es aber sehr wohl – durch diesen Umstand ist Ärger programmiert. Der Begriff generative KI beschreibt Algorithmen, die Texte, Bilder, Töne oder Videos hervorbringen, also zum Beispiel Chat GPT, Midjourney, Bard oder Stability. Generativ ist gemeint im Sinne von «erzeugend».

Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident der Stiftung World.Minds sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt regelmässig über Technologie und Innovation – auch alle zwei Wochen in der «Handelszeitung».

Warum unterliegen die Arbeitsergebnisse von generativer KI keinem urheberrechtlichen Schutz? Weil die entsprechenden Gesetze der meisten Staaten nur einem Menschen aus Fleisch und Blut das Recht zugestehen, ein Werk zu erschaffen. Im Rechtsbegriff «Werk» ist die Urheberschaft durch einen Menschen schon enthalten. Dass es jemals möglich sein würde, dass eine Maschine ein «Werk» erzeugt, galt Anfang und Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als die meisten modernen Urheberrechtsgesetze entstanden, schlicht als undenkbar. Deshalb wurde für diesen Fall keine Vorsorge getroffen. Was beispielsweise Chat GPT auswirft, ist kein «Werk» im Sinne des Gesetzes, obwohl die Software von Menschen geschrieben wurde. Ein Mensch muss ein «Werk» eigenhändig und direkt geschöpft haben. Umwege über den Code eines Computers zählen nicht mit.

Zugleich aber kommt keine künstliche Intelligenz moderner Machart zu irgendeinem brauchbaren Ergebnis, ohne dass sie mit Fotos, Gemälden, Filmen, Songs, Artikeln oder Büchern trainiert worden ist. Nicht nur einzelne Werke benötigt der Algorithmus als Futter, sondern am besten gleich Millionen von ihnen. Dabei greifen die Betreiber kommerzieller Algorithmen bevorzugt auf die Werke echter Menschen zu, denn je echter der Input aussieht, desto echter wirkt das Ergebnis. Bei diesen zu Trainingszwecke eingelesenen Werken handelt es sich aber um die Arbeit realer Menschen, und deren Erzeugnisse unterliegen tatsächlich dem Urheberrecht, sofern sie eine bestimmte Schöpfungshöhe überschreiten, also nicht trivial sind.

Ob und wie die Betreiber von Algorithmen Geld mit ihren Diensten verdienen können, muss sich noch weisen. Aber die ersten Zahlen und Geschäftsmodelle lassen auf einen Milliardenmarkt schliessen. Grosskonzerne wie Microsoft erwarten derart hohe Umsätze, dass sie fast ihre gesamte Verkaufskommunikation auf das Thema künstliche Intelligenz umrüsten. Bislang bezahlen sie den Rohstoff für ihre Algorithmen aber meistens nicht mit Geld. Sie lesen Werke von Menschen einfach ein und behaupten, dies sei kostenlos möglich, da ja keine Kopie angefertigt werde. Dies ist jedoch hoch umstritten, weil Computer nicht lernen können, wenn sie nicht wenigstens flüchtige Kopien des Werks in ihren Arbeitsspeichern ablegen.

Zwar ist Chat GPT in seiner heutigen Form noch nicht einmal ein Jahr alt. Doch jetzt bahnt sich schon die nächste Revolution an. Alles deutet darauf hin, dass Bewegtbilder – also Filme, Serien und Videos – viel schneller kommen werden als erwartet. Ersten Firmen gelingt es, ganze Serien-Episoden aus dem Nichts zu schöpfen – trainiert natürlich wiederum durch Millionen Stunden alter Filme. Alles spricht dafür, dass die verbleibenden technischen Schwierigkeiten gelöst werden können. Dann kommt eine weitere Industrie – Film und Fernsehen – durch künstliche Intelligenz ins Wanken.

Urheberrecht wird damit zu einer zentralen Wissenschaft der Gegenwart. Was dieses Recht bestimmt, wird darüber entscheiden, wohin der finanzielle Segen dieser bahnbrechenden Innovationen fällt.