Auf Bildern blickt Dylan Field stets etwas schüchtern drein. Und er sieht jünger aus als seine 31 Jahre. Doch der US-Boy aus der San Francisco Bay Area gilt in der Tech-Szene als nächstes Wunderkind. 

Zu diesem Ruhm hat ihm Adobe verholfen. Der US-Softwarekonzern will Fields IT-Bude Figma kaufen – für 20 Milliarden Dollar. Den Deal gab Field persönlich auf der Website seines Softwaredesignunternehmens bekannt. Darin lobte er das «legendäre Team» von Adobe und deren «jahrzehntelanges Know-how». 

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Noch ist die Übernahme nicht unter Dach und Fach. Figma ist ein Tool für kollaboratives Interface-Design von Webanwendungen – und damit ein direkter Konkurrent von Adobe. Darum blockieren verschiedene Regulierungsbehörden den Deal. Das US-Justizdepartement bereitet laut Bloomberg eine Kartellrechtsklage gegen die Fusion vor. Und gemäss Reuters planen Regulatoren der EU, den Kauf von Figma durch Adobe zu untersuchen.

Figma-Gründer Dylan Field und Evan Wallace: bald ein reiches Gespann?

Field und sein Geschäftspartner und Figma-Mitgründer Evan Wallace halten laut Forbes je rund 10 Prozent an ihrem Unternehmen. Sollten die Behörden den 20-Milliarden-Deal durchwinken, streicht Field rund 2 Milliarden Dollar ein. Wer ist also dieser als Tech-Genie gefeierte Mann aus Kalifornien, der bald Multimilliardär sein könnte?

Dylan Field ist der Sprössling eines jüdischen Haushalts aus dem oberen Bereich der US-Mittelschicht. Er entstammt einem gebildeten Elternhaus. Vater Andy Field arbeitet als Pneumologe im Spital in Santa Rosa. Mutter Beth Field ist Lehrerin für Kinder mit Lernschwächen oder Verhaltensauffälligkeiten an der lokalen Grundschule. 

Aufgewachsen ist Field in Penngrove, einem Vorort von Santa Rosa in der nordkalifornischen Weinanbauregion Wine Country im Norden von San Francisco. Die Ortschaft strahlt die Idylle eines US-Dörfchen aus, das jedes Jahr sein Bestehen mit einer Parade feiert. Für US-Verhältnisse gleich um die Ecke von Penngrove befindet sich das etwas südlich gelegene Silicon Valley, das pulsierende Herz der US-Tech-Welt. Field ist jedoch seiner Heimat stets treu geblieben. Laut seinem Linkedin-Profil wohnt er immer noch in Penngrove. Und seine Firma Figma hat den Hauptsitz nicht etwa in Palo Alto, sondern in San Francisco. 

Dylan Field war ein «eigenartiges» Kind mit Mathe-Faible

Field erfüllte in seiner Kindheit zahlreiche Klischees des absonderlichen Wunderkinds. Das Einzelkind, das nach dem Poeten Dylan Thomas benannt ist, soll bereits im Alter von sechs Jahren Algebraprobleme gelöst haben. Und in der Mittelschule fühlte er sich so unterfordert und war so gelangweilt, dass er am liebsten mit dem Schulabwart abhing, der ebenfalls als Mathegenie galt. Vater Andy bezeichnete seinen Sohn einst gegenüber der lokalen Tageszeitung «Press Democrat» als «a little weird» – als «ein bisschen eigenartig».

Gleichzeitig fand der junge Field seine Passion im Schauspiel. Er trat in einem lokalen Theaterstück auf und schnappte sich gar einige kommerzielle Auftritte. So war er in TV-Werbungen für Windows XP und für den früheren Online-Spielzeughändler E-Toys zu sehen. Diese Erfahrungen seien ihm später als CEO von Figma von Nutzen gewesen, verriet Field einst. «Diese Energie des Spiels und der Improvisation will man den Menschen, die in einem kollaborativen Raum zusammenarbeiten, wirklich ermöglichen.»

Das Spielerische hat Field seither nie verloren. An seiner Highschool mit Fokus auf Technologie schindete er bei Freunden und Freundinnen Eindruck, indem er für sie Roboter und Webseiten entwarf. Auf seinem Twitter-Account lanciert der Figma-CEO gerne Umfragen zu Themen, die die US-Gesellschaft gerade umtreiben – etwa zu UFO-Sichtungen. Und Field fand Interesse an NFT – einer Art Mischung aus Spekulationsobjekt und Kunstspielzeug. 2021 verkaufte er laut Forbes ein Cryptopunks-NFT für 7,5 Millionen Dollar.

Die ersten 100’000 Dollar kamen von Peter Thiel

Von jeher strahlt das Programmieren eine grosse Faszination auf Field aus. Die eigentlich sehr technische Angelegenheit bezeichnete er mal als «das, was der Zauberei am nächsten kommt». An der Brown University engagierte er sich in einer Computerwissenschaftsgruppe, in der er seinen künftigen Geschäftspartner Wallace kennenlernte. 2011 organisierte der ambitionierte Jugendliche einen Hackathon – also eine kollaborative Soft- und Hardwareentwicklungsveranstaltung – an der Uni mit.

Die Aufnahme an die Brown war für Field die Erfüllung eines Lebenstraums. Doch auch die renommierte Universität begann ihn im dritten Jahr seines Studiums der Computerwissenschaften zu langweilen. Da kam ihm gerade recht, dass er sich nach einem Praktikum bei der News-Aufbereitungs-Plattform Flipboard mit einer lebensverändernden Entscheidung konfrontiert sah. Er war 2012 einer von wenigen Auserwählten für ein Stipendium der Investorgrösse Peter Thiel, für das sich Field ein Jahr zuvor beworben hatte. Ihm winkte ein Fördergeld von 100’000 Dollar – einzige Voraussetzung: Er musste sein Studium sofort abbrechen. 

Peter Thiel, co-founder of PayPal and Palantir, offers a pair of hundred dollar bills to attendees during a keynote address at the Bitcoin Conference, April 7, 2022, in Miami Beach, Fla.

Paypal-Mitgründer Peter Thiel half mit, die Karriere von Dylan Field zu lancieren, indem er ihm Fördergeld über 100’000 Dollar zusprach.

Quelle: Keystone

Trotz Abraten seiner Eltern tat Field genau das – ein Jahr vor seinem Abschluss. Zuerst arbeitete er an einer neuen Software zur Modifizierung von Drohnen, um den Verkehr zu überwachen und rücksichtslose Fahrerinnen und Fahrer zu erwischen. Doch das Projekt funktionierte nicht.

Fortan widmete sich der Studienabbrecher zusammen mit seinem Freund Wallace seiner nächsten Businessidee: eine Plattform zu gründen, die die Kollaboration von IT-Designern und IT-Designerinnen ermöglicht. Dafür gründeten die beiden Brown-Kumpanen noch im selben Jahr Figma. 

Anfangsschwierigkeiten mit Figma trotz richtigem Riecher

Field hatte mit Figma den richtigen Riecher. Seine Software funktioniert ähnlich wie Google Doc, aber für App-Prototypen und Designprojekte von IT-Anwendungen statt für geschriebenen Text. Figma ist also ein Cloud-basiertes Tool, um Apps benutzerfreundlich und visuell ansprechend zu gestalten. Und genau diese Aspekte sind wichtige Treiber, weshalb gut designte Apps wie Instagram, Uber oder Slack bei den Nutzerinnen und Nutzern so beliebt sind. «In einem überfüllten Markt gewinnen die Apps, die am besten gestaltet sind», sagte Field gegenüber dem «Business Insider».

Dennoch hatte Figma steinige erste Jahre. Erst 2015, also drei Jahre nach der Gründung, kam eine Betaversion der Software heraus. Und es dauerte ein weiteres Jahr, bis Figma dann öffentlich erhältlich war – zuerst vollkommen gratis. 2017 folgte dann eine Bezahlversion.

Es waren für Field stressige Jahre. Er musste in dieser Zeit lernen, ein Team zu führen, während er selbst auch noch an der Softwareentwicklung mitwirkte. Einmal wäre ihm beinahe eine grosse Anzahl an unglücklichen Mitarbeitenden davongelaufen, verriet er dem «Business Insider». «Ich wusste nicht, wie man effektiv managt. Und ich kannte die Grundlagen nicht, um ein gutes Urteilsvermögen bei der Auswahl von Mitarbeitenden zu haben.»

Field lernte dazu. Und Figma begann während der Pandemie abzuheben. Gute Umsatzzahlen und die Akquisition von neuen Kunden wie Microsoft, Airbnb und Uber überzeugten Investoren. Selbst im Frühling 2020, als Corona die USA mit voller Wucht traf, schloss Figma eine Finanzierungsrunde über 50 Millionen Dollar ab.

Insgesamt hat Field mit seinem Unternehmen in bisher sieben Investitionsrunden 333 Millionen Dollar eingesammelt. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Fields Unternehmen 400 Millionen Dollar – eine 100-Prozent-Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Es sind solche Zahlen, die seine rund 750 Mitarbeitende starke Softwarebude für Adobe so attraktiv macht. Und andere Konkurrenten wie Serif, das etwa die Kreativsoftware Affinity anbietet, in Bedrängnis bringt. Deren CEO kritisierte gegenüber «The Verge» die Übernahme: «Alle Entwickler in dieser Community, die von Adobe übernommen werden, werden wahrscheinlich unterdrückt. Denn ihre Ziele werden auf das ausgerichtet, was für Adobe gut ist. Letztendlich kann das die Auswahl für Kreative nur verringern.»

Dennoch setzt Field lieber auf die Übernahme als etwa einen Börsengang. Laut Vereinbarung soll er seinen CEO-Posten behalten. Ob des sich anbahnenden Milliardensegens könnte er sich aber auch bereits mit 31 Jahren zur Ruhe setzen. Und sich um seine junge Familie kümmern. Er ist Vater einer zweijährigen Tochter. 

Michael Hotz
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