Der (angebliche) «Untergang der Neobanken» war das Fintech-Thema dieses Sommers. Noch mal zur Erinnerung: Monzo wurde vom eigenen Wirtschaftsprüfer angezählt. Bei Revolut explodierten die Kosten. Und N26 verlor binnen weniger Monate sechs Topmanager. Normale Rückschläge aufstrebener Startups? Oder Ausdruck tiefer struktureller Probleme?

Klar ist, dass die Pandemie und die einhergehenden Restriktionen dem «Lifestyle-Banking»-Geschäftsmodell massiv zusetzen. Und klar dürfte ebenfalls sein, dass die Konsolidierung des Neobanken-Sektors wegen Corona früher kommt als gedacht. In Grossbritannien zeigen sich die Aufseher bereits alarmiert. Und hellsichtige Branchenkenner wie Robert Le sagen für die «nahe bis mittlere Zukunft» die Übernahme einer prominenten Challenger-Bank durch eine arrivierte Grossbank voraus.

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Stimmt das mit dem Untergang also tatsächlich?

Um dieser Frage zu beantworten, haben wir einfach mal das meiste dessen, was es in den letzten Wochen zu lesen gab, auch tatsächlich gelesen und zusammengefasst. Was sind die wichtigsten Zahlen? Was sind die entscheidenden Entwicklungen? Und wie ist die Lage wirklich? — Versuch einer Einordnung:

1. Wie ist die Untergangsthese eigentlich entstanden?

Weil in Grossbritannien sehr viel strengere Reporting-Pflichten gelten als in Deutschland, mussten die grossen Londoner Neobanken im Sommer bereits ihre 2019er-Zahlen veröffentlichten. Dabei kam heraus, dass bei Revolut die Kosten von umgerechnet 120 Millionen auf 352 Millionen Dollar gestiegen sind (siehe «Forbes»: «The Sad Demise Of Europe’s Neobanks»). Derweil merkte bei Monzo der Wirtschaftsprüfer an, dass «die Fähigkeit der Gruppe, das Geschäft weiterzuführen, mit materiellen Unsicherheiten behaftet ist». (siehe «AltFi»: «Monzo’s results cast ‚material uncertainty‘ on bank’s future»).

Angereichert durch den allgemeinen Corona-Blues und die seit Monaten anhaltenden Unruhen bei N26 (Manager-Exodus + Kurzarbeit + Entlassungen + Betriebsrats-Chaos) wie Monzo (Abgang der Gründers) wie Revolut (Entlassungen + Gehaltsverzicht + gefühlt 1’000 andere Querelen) kam so die These von Untergang der Neobanken auf.

2. Haben die Neobanken nicht auch die letzten Jahre schon hohe Verluste erlitten?

Das ist richtig. Allerdings waren die Investoren in der Hoffnung auf rasches Wachstum da auch noch willens, die Löcher durch immer höhere Fundings zu stopfen. Bei N26 indes gerieten die beiden jüngsten Finanzierungsrunden geringer als als drittletzte. Und bei Monzo sank im Zuge des jüngsten Funding sogar die Bewertung von 2,6 Milliarden auf nur noch 1,6 Milliarden Dollar. «One issue is that funding is drying up for FinTech innovation», schreibt Chris Skinner im Fachblog «The Finanser».

Laut dem «Telegraph» wurden die britischen Challenger-Banken von ihren Investoren zuletzt reihum verpflichtet, ihre Wachstumspläne runterzudampfen.

3. Hat der Neobanken-Sektor ein strukturelles Problem?

Das sehen zumindest die Skeptiker so. Die wichtigsten Argumente:

  • Kritiker argwöhnen, die Verluste der Challenger-Banken seien nicht nur dem raschen Kundenwachstum, sondern auch einem angeblich schlechten Kostenmanagement geschuldet. Die Neobanken hätten zwar «Millionen von Kunden gewonnen, zugleich aber anscheinend ihre Kosten nicht im Griff», schreibt das angesehene britische Startup-Magazin «Sifted».

Die Corona-Krise stelle die Angreifer nun vor die Herausforderung, bei mutmasslich sinkendem Ertragswachstum die Nutzerbasis trotzdem weiter auszubauen – und gleichzeitig die Ausgaben zu reduzieren.

  • Nicht nur bei den Kosten sind die Neobanken den Kritikern zufolge in der Realität angekommen – auch beim Thema Regulatorik. So schreibt «Forbes»: «Neobanks across Europe are simply struggling to adapt to the regulatory and business pressure that comes with their size and ambition, only over in Germany staff feel they’re now the punch-bag pressure release for N26’s banking struggles.»
  • Die Gewinn- und Verlustrechnungen vieler Neobanken (und dazu zählt auch N26, wiewohl der Anteil im Geschäftsbericht nicht exakt aufgeschlüsselt wird) sind stark von Kartengebühren abhängig. Bei Revolut machte die Interchange im abgelaufenen Geschäftsjahr 63 Prozent der Erträge aus, bei Monzo waren es 55 Prozent. Gerade diese Einnahmequelle ist durch Corona indes besonders bedroht. Chris Skinner schreibt: «My boring old bank gets my boring old bills – utilities, loans, mortgages, etc – whilst my brand spanking new neobank gets my everyday spending – shopping, entertainment, food, drink, going out, etc. There’s the issue: I’m not going out. Their customers are not going out. Their customers have no lifestyle everyday spending, because they’re staying at home.»
  • Ein weiteres Argument führen die VC-Investoren Tilman Ehrbeck, Anuradha Ramachandran und Ameya Updadhyay ins Feld – nämlich dass speziell die europäischen Challenger-Banken unter den internationalen Reise-Restriktionen litten, weil die Interchange-Gebühren innerhalb Europas gedeckelt sind, ausserhalb aber eben nicht:

«In Latin America […] the debit interchange fee is high enough to make the economics work. This is not the case in Europe. With near-instant retail payment settlement among bank current accounts and under tighter regulatory caps, debit card interchange fees are much lower at 0.2% of transaction value.»

«Man hat das Gefühl, dass teilweise das Produkt hinter der Expansion zurücksteht. Diese mangelnde Innovationskraft wird jetzt zum Problem.»

  • Noch ein Punkt: Haben die Neobanken im Bemühen, ihre Angebote möglichst schnell in möglichst viele Märkte auszurollen, an Innovationskraft verloren (= ihr Produkt vernachlässigt)? So sieht das unter anderen der Fintech-Blogger André Bajorat. Er schreibt:

«Features wie Real Time Push oder Apple Pay können inzwischen auch viele Etablierte, und die über Konto und Karte hinaus gehenden Vorteile sind überschaubar geblieben. Man hat das Gefühl, dass teilweise das Produkt hinter der Expansion zurücksteht. Diese mangelnde Innovationskraft, welche die Challenger zu Beginn vor allem ausmachte und aus der eine Erwartung bei den Kunden entstand, wird jetzt zum Problem.»

  • Die Entwicklung der Depositen deutet darauf hin, dass viele Kunden die Neobanken auch weiterhin lediglich als Zweit- oder Drittbankverbindung begreifen. Bei den britischen Challenger-Banken beispielsweise sanken die Einlagen pro Kunde in der zweiten Jahreshälfte 2019 um ein Viertel von 350 Pfund auf 260 Pfund
  • … wobei es weiterhin so ist, dass die meisten Neobanken mit den anvertrauten Einlagen eher wenig anzufangen wissen. Bei N26 machten die Kundenkredite per Ende 2018 gerade mal 2,6 Prozent des gesamten Kreditbuchs aus, während Monzo zuletzt nicht einmal 10 Prozent seiner Einlagen in Kredite verwandelt hatte. Diese Positionierung muss in Zeiten allgemein steigender Kreditrisiken natürlich nicht zwingend ein Nachteil sein. Allerdings: Durch ihre einseitige Ausrichtung auf Provisionsgeschäft fehlt auf der Ertragsseite schlicht ein zweites Standbein.
4. Welche der vier grossen europäischen Neobanken tut/tun sich momentan besonders schwer?

Revolut: Als grösstes Plus gelten die Umsätze, die für ein erst 2015 gegründetes Startup sowohl in absoluten Zahlen (2019 waren es 163 Millionen Pfund, ein Plus von 181 Prozent) als auch pro Kunde (24 Pfund) beachtlich sind. Der Fintech-Analyst Lex Sokolin sieht Anzeichen, dass es Revolut (zumindest bis Corona) gelungen ist, ein tatsächlich skalierendes Geschäftsmodell zu etablieren.

In eine ähnliche Richtung stösst der Fintech-Experte Jochen Siegert, wenn er Revoluts rasche internationale Expansion und die enormen Fundingmittel betont. Was indes eindeutig gegen Revolut spricht, das ist – siehe oben – der massive Cashburn.

N26: Vieles von dem, was für Revolut spricht, spricht auch für N26. Dabei gab es allerdings schon vor Corona Anzeichen, dass die Berliner ihr Wachstum nicht mehr ganz so brachial vorantreiben wie der Erzrivale aus London. Womöglich erweist sich dieser vermeintliche Malus im Kontext von Corona/Cashburn jetzt als Vorteil.

Gegen N26 spricht, dass sich das deutsche Vorzeige-Fintech in UK gegen die dortigen Neobanken nicht durchsetzen konnte. Ob es im zweiten Nicht-EU-Kernmarkt, nämlich in den USA, besser laufen wird, ist ungewiss. Vom dritten Nicht-EU-Kernmarkt, nämlich Brasilien, ganz zu schweigen.

Monzo: Auf keine der grossen europäischen Neobanken blicken Experten derzeit so skeptisch wie auf Monzo – was sich (siehe oben) auch in der Downround im Juni widerspiegelte. So produzierte Monzo im zurückliegenden Geschäftsjahr einen ähnlich Cashburn wie Revolut (plus 142 Prozent auf 114 Millionen Pfund), – kam aber nur einen Bruchteil der Erträge, nämlich 67 Millionen Pfund.

Analyst Sokolin drückt es so aus: «There is definitely a big performance difference that we’re seeing between Monzo and Revolut, with Revolut pulling away quite significantly, £100m in revenue difference on the same burn number. And I think that’s going to be tough for Monzo.»

Starling ist in gewisser Weise die etwas andere Challenger-Bank. Wächst beziehungsweise wuchs nicht ganz so aggressiv wie N26 und Revolut. Legte den Fokus nicht nur auf Retail-, sondern auch auf Geschäftskunden. Und versucht sich ernsthaft im Kreditgeschäft (und wurde von der britischen Regierung in die Corona-Hilfsprogramme eingebunden). Der unterschiedliche Ansatz zeigt sich auch in diversen Kenngrössen. So halten Kunden im Schnitt fast 1000 Pfund bei Starling – gut viermal so viel wie bei Revolut. Die Abhängigkeit von der Interchange (zuletzt 45 Prozent der Erträge) ist merklich geringer als etwa bei Revolut (63 Prozent). Und: Der Cashburn ist deutlich niedriger als bei den Rivalen (zuletzt 52 Millionen Pfund). Das alles trägt dazu bei, «dass Starling der Liebling vieler Fintech-Analysten ist», wie «Forbes» schreibt.

Gleichwohl: Mit offiziell «nur» 1,25 Millionen Kunden hat Starling diesbezüglich deutlich weniger Traktion als Revolut oder N26. Das ist der Preis für den etwas anderen Ansatz.

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