Ein Spaziergang über die Baustelle in Genf, ein Rundgang durch den geplanten Supermarkt in Basel und eine Probefahrt mit dem neuen Schnellzug in Berlin

Bisher brauchten alle diese Aktivitäten ganz selbstverständlich die Fahrt an den jeweiligen Ort. In Zukunft soll dafür ein Ausflug nach Zürich-Altstetten reichen. Zürich-Altstetten? Ja, denn genau dort hat die grösste Spielhalle für virtuelle Realität Europas gerade ihre Tore geöffnet. Das Ziel: lustiges Entertainment für Familien und Kinder, aber auch Business-Anwendungen für Firmen und ihre Mitarbeiter. Virtual Reality soll künftig ins Fortbildungsprogramm von Schweizer Firmen gehören. Die Oculus-Rift-Brillen in Kombination mit einem turnhallengrossen Raum sollen natürliche Bewegungen in den virtuellen Arbeits- und Unternehmenswelten ermöglichen. 

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«Es gibt bis heute in ganz Europa keine so grosse Fläche für Virtual-Reality-Anwendungen. Fast 300 Quadratmeter sind nutzbar und können eins zu eins begangen werden. Für grössere Flächen wird die Teleportierfunktion genutzt», erklärt Gründer Ronny Tobler. 

«Triff selber eine Entscheidung»

Wie ein Ufo hat sich seine Halle ins oberste Stockwerk des Shoppingcenters Letzipark gesetzt, das bisher nicht gerade im Ruf stand, avantgardistische Unterhaltung zu bieten, sondern eher ein in die Jahre gekommener Einkaufstempel ist. Wenige Tage nach der Eröffnung sind die Mitarbeiter dabei, ihre Abläufe einzuüben und ihren Rhythmus zu finden. Selbstverständlich wird das Radio mithilfe des intelligenten Sprachdiensts Alexa gesteuert. Unisextoiletten und ein wenig autoritärer Umgangston («Triff selber eine Entscheidung» als Antwort auf die Frage eines Mitarbeiters) zeigen die frische Startup-Stimmung im obersten Letzipark-Stockwerk.

Das Zentrum der Anlage ist die 300-Quadratmeter-Halle, in der sich mehrere Anzüge für die Expeditionen in die virtuelle Realität in einer Reihe aufgereiht befinden. Wer mitmachen will, setzt die Brille auf und befestigt Sensoren an Füssen und Händen, damit man in der VR-Welt auch möglichst natürlich agieren kann und beispielsweise merkt, wenn man sich in einer simulierten Jacht an den zu niedrigen Decken stösst oder zwischen mehreren Supermarktregalen nicht genug Platz hat. 

Nicht ganz billig

Tobler ist gerade im Gespräch mit einem Schweizer Zughersteller, der Prototypen von Zügen visualisieren lassen könnte. «Am Ende geht es um Kosteneinsparungen und Effizienzgewinn», so Tobler. «Es können Fehler vermieden werden, bevor ein Bau beginnt.» 

Ganz billig ist der VR-Spass für Firmen aber nicht. Eine Stunde Nutzung des VR-Parks schlägt mit 1000 Franken zu Buche. Wenn eine eigene VR-Anwendung für Firmen programmiert werden soll – und das wird in den meisten Fällen wohl nötig sein, um den spezifischen Ansprüchen einer Firma gerecht zu werden –, ist bei kleineren Projekten mit etwa 30 000 bis 50 000 Franken zu rechnen. Bei aufwendigen Simulationen klettert der Preis auf mehrere hunderttausend Franken. Die Wette von Tobler und seinem Team: Ein Fehler, der vor dem Bau nicht bemerkt wird, ist teurer. 

Kommt das Konzept der Fusion Arena an, will er gemeinsam mit Coop Immobilien an weitere Standorte in der Schweiz expandieren. Entertainment-Angebote für Familien und Businessanwendungen für Firmen wechseln sich dabei ab. Der Vormittag soll für Firmen reserviert sein, der Abend für den spassigeren Teil.

Schulungen im Wandel

Die zweite Wette von Tobler und seinem Team, dass Firmen VR-Anwendungen besser für ihre internen Prozesse und Mitarbeiterprogramme nutzen können, steht in einem grösseren Kontext. Denn firmeninterne Schulungen sind schon länger dabei, sich zu verändern. Die Programme sollen schneller implementierbar, billiger umzusetzen und besser kontrollierbar werden. 

Der bekannteste Trend in diesem Bereich sind dabei wohl die sogenannten MOOC (Massive Open Online Courses), also die Online-Massenkurse für Mitarbeiter, die an mehreren Standorten und in mehreren Ländern verteilt sein können. Der Vorteil: Kostenersparnis, indem ein Fachmann gleich für mehrere tausend Mitarbeiter seine Informationen ausstreut. Der Nachteil: Ob Mitarbeiter wirklich aufmerksam zuhören oder die Videoschulung neben ihren Facebook- oder Arbeitsaktivitäten mitlaufen lassen, ist schwer feststellbar. Die Aktivität der Mitarbeiter etwas anstacheln sollen Massenabstimmungen zu gewissen Themen während der Fortbildung. Eine wirkliche Kontrolle, wie viel von den Inhalten wirklich bei den Mitarbeitern angekommen ist, bringt aber auch dieses Element nicht wirklich. 

Spielerische Fortbilung

Stefan Michel, Marketingprofessor an der Managerschule IMD in Lausanne, beobachtet diese Experimente mit neuen Weiterbildungsformaten schon seit einiger Zeit und hat auch selbst mit ihnen experimentiert: «Es gibt Innovation-Tournaments, das ist eine Kombination aus einem Live Event und einem virtuellen. Bei einem von uns moderierten Event in Stockholm waren 350 live und 5000 online zugeschaltet. Bei solchen virtuell-realen Events können alle die Präsentationen mitverfolgen, der Moderator kann Gruppenarbeiten virtuell und real durchführen.» Bereits heute unterrichtet Michel mehr online als live, und zwar mithilfe eines eigenen Videostudios an der Manager-Bildungsinstitution. 

Ein Trend, der in die Richtung der Virtual-Reality-Anwendungen geht, ist Fortbildung und Mitarbeiterschulung durch Spiele. Indem verschiedene Levels auf dem PC oder einer Konsole durchgespielt werden, sollen Verhaltensmuster genauso trainiert werden, wie Entscheidungsprozesse analysiert werden können. Sogar in der Rekrutierung haben sich in einigen Firmen Gaming-Ansätze verbreitet, bei denen aus dem Spielverhalten Rückschlüsse auf das künftige Verhalten als Mitarbeiter gezogen werden. Solche spielerischen Ansätze wären auch in der Halle in Altstetten möglich. 

Druck von Linkedin und Co.

«Es gibt schon seit langem Managementsimulationen, die früher noch hölzern waren. Die sind heute intuitiver», so Michel. Das Ziel der meisten neuen Ansätze in der Mitarbeiterfortbildung ist es, Wissen flexibler in die Organisation zu implementieren, während es früher mehr darum ging, einen Wissensvorrat über mehrere Jahre hinweg anzulegen, der für eine relativ gleichbleibende personelle Mannschaft gedacht ist. Zudem gilt es, den Effekt der Wissensdosis besser überprüfen zu können und ihre Implementierbarkeit in die tägliche Arbeit nachzuweisen. Virtuelle Realität, Gaming, Massensimulationen oder auch alles in Kombination soll diese Ziele besser erreichbar machen.

Ein starker Veränderungsdruck für den Fortbildungsbereich von Mitarbeitern kommt auch aus den sozialen Karrierenetzwerken, in denen sich die Mitarbeiter tummeln. Beispielsweise Linkedin: Nach der Übernahme des Weiterbildungsanbieters Lynda will das Unternehmen, das inzwischen zu Microsoft gehört, zum grossen Zampano auf dem Weiterbildungsmarkt werden. Leicht abrufbare Videoschulungen sollen firmeninterne Schulungen oder Kurse an externen Managerschulen ersetzen. Der umsatzstärkste Bereich des Karrierenetzwerks Linkedin ist die Talent-Solutions-Sparte. Hier verkauft das Karrierenetzwerk Recruiting-Lösungen für HR-Angestellte und könnte auch Weiterbildungsangebote integrieren. 

Analysten schätzen, dass dieser Bereich fast 60 Prozent des Marktwerts von Linkedin ausmacht und der wichtigste Treiber für den Milliardenpreis war, den Microsoft zu zahlen bereit war. Durch diverse Zukäufe, etwa jenen der Datenfirma Bright, die 2014 ins Portfolio geholt wurde, soll die Arbeit für Rekrutierer noch mehr erleichtert werden. Sollte Microsoft seine Office-Programme, mit denen fast alle Mitarbeiter weltweit irgendwann in ihrer Karriere etwas zu tun haben, für Kurse und Weiterbildungen durch Linkedins eigene Coaches öffnen, müssen sich externe Anbieter von Firmenweiterbildungen warm anziehen.

Hoffnung auf einen Grosskunden

Sicher ist: Mitarbeiterschulungen sind firmenextern und firmenintern begehrt und umkämpft. Wie sich in diesem wandelnden Umfeld das preislich selbstbewusste Angebot von Anbietern wie Tobler und seiner Fusion Arena positioniert, bleibt abzuwarten. Wenn grosse Firmen wie ABB oder Stadler Rail in die VR-Simulationsspiele einsteigen würden, wäre das der erste Schritt zum Durchbruch. Für weniger finanzkräftige Firmen wird es Branchenlösungen und -angebote brauchen, die nicht für jede Firma eigens programmiert werden müssen, sondern von mehreren Firmen gleichzeitig genutzt werden können. Bisher funktioniert das schon bei Wohnungsbesichtigungen in Kooperation mit Architekturbüros.

Auch dort geht es darum, dass mithilfe der VR-Technik böse und vor allem teure Überraschungen vermieden werden sollen.

Stefan Mair
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