Die Fotografie ist nicht fürs Familienalbum. Und dennoch: Adrian und Andreas Schmid sind ein so ungleiches Paar, dass sie sich eigentlich nur näher kennen können, weil sie miteinander verwandt sind. Adrian, Jahrgang 56, posiert für die BILANZ etwas krumm und trägt seinen schwarzen Veston salopp, passend zum kragenlosen Hemd. Ganz anders Andreas, Jahrgang 57, dem Krawatte und der dunkelblaue Blazer noch zu wenig sind, weshalb ein passendes Pochettli den Eindruck eines Mannes abrundet, der den Auftritt in den «besseren Kreisen» beherrscht.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Schmid & Schmid – ein Duo, das die Öffentlichkeit bisher nicht miteinander in Verbindung brachte. Jeder für sich ist schweizweit bekannt. Andreas Schmid als Manager, FDP-Mitglied und mehrfacher Verwaltungsratspräsident, der besonders beim Flughafen Zürich im Rampenlicht steht. Adrian Schmid als Leiter der Verkehrspolitik des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS), ehemaliger Vizepräsident der Grünen Schweiz und führender Kopf der Armeeabschaffungsinitiative von 1989. Was bisher kaum einer wusste: Sie sind Cousins, die fast zur gleichen Zeit und mit ähnlichen Voraussetzungen ins Leben gestartet sind.

Heute stehen sie bei allen Themen, wo die Fronten unüberwindlich erscheinen, an gegensätzlichen Polen. Den Flugverkehr will Adrian plafonieren «bei 280 000 Flugbewegungen jährlich». Ein Unsinn in den Augen des Marktwirtschaftlers Andreas: «Die Nachfrage muss entscheiden.» Der Ältere der Cousins sagt: «Mobilität muss vor allem und so bald wie möglich nachhaltig werden, und damit ist der Fluglärm mitgemeint.» Der jüngere Schmid fragt: «Wie generiert man Wirtschaftswachstum? Die Schweiz ist auf gute internationale Anschlüsse angewiesen.»

Die Liste der sachlichen Differenzen ist beliebig verlängerbar – auf der einen Seite steht der grüne Vollblutpolitiker, auf der anderen der freisinnige Vollblutmanager. Während Adrian und der VCS mit dem Migros-Manager Armin Meier monatelang Auseinandersetzungen um das Verbandsbeschwerderecht austragen, installiert Cousin Andreas den gleichen Meier als seinen neuen CEO und Vertrauensmann bei Kuoni. Kein Problem für Schmid & Schmid: Sie reden nicht nur miteinander, sondern mögen sich auch.

Ihre gemeinsamen Anfänge erlebten die ungleichen Vettern an der Zürichstrasse in Luzern, in der Bäckerei und Konditorei der Grosseltern. Ostern, Samichlaus, Weihnachten: Grossvater und Grossmutter Schmid versammelten ihre vier Kinder und zwölf Kindeskinder, um ausgelassene Familienfeste zu feiern. Die Erwachsenen im Esszimmer, mit den Grosseltern in der Mitte, die Kinder am liebsten in der Backstube, wo es immer etwas zu naschen gab und sie ungestört neuen Streichen nachgehen konnten. Der Zusammenhalt der Familie war eng, die Stimmung im Rückblick von Adrian und Andreas fröhlich – beide erzählen unabhängig voneinander etwas wehmütig von dieser Vergangenheit, als noch keine Mobilitätsstudien und Lärmklagen ihre Laune störten, sondern sie eine Fahrt im Deuxchevaux des ältesten Cousins in Aufregung versetzte.

Doch die Unterschiede waren schon vorhanden. In der Familie fiel anfänglich eher Andreas auf, dessen Vater die Innerschweizer Heimat in Richtung Zürich verlassen hatte, um Architektur zu studieren. Er wuchs in Geroldswil auf, damals noch ungestörte Agglomerationsidylle, kam dann zurück in die Innerschweiz, nach Altdorf, ins Internat. Das Kollegium Karl Borromaeus galt als Hort benediktinischer Disziplin und Autorität. «Andreas war der Aktivere, Übermütigere, bei dem immer etwas laufen musste», erzählt Cousine Helen Emmenegger. Schon damals sei er so etwas wie ein Anführer gewesen, der die Familie nicht nur mit Emil-Imitationen unterhielt, sondern im Schultheater auch die Hauptrollen spielte.

Adrian sei ruhiger, introvertierter gewesen, erinnert sich Emmenegger. Als Jugendlicher habe er sich schon früh dem Widerstand gegen die Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft verschrieben. Er tauchte an den Familienfesten weniger häufig auf, war gut beschäftigt mit der Kritik an alten Wertvorstellungen und dem Aufbruch zu neuen. Vielleicht, wie sein Cousin Andreas argwöhnt, auch als Reaktion auf das eigene bürgerliche Leben im Haus der Grosseltern.

Adrians Vater hatte die grossväterliche Bäckerei übernommen, das musste er als ältester Sohn gewissermassen. So wuchs Adrian an einem Ort auf, der sich zusehends in die Hauptverkehrsachse Luzerns schlechthin verwandelte, wo die Schweizer weg- und die Ausländer hinzogen. Eines seiner Schlüsselerlebnisse als Kind war, als er sah, wie ein Kamerad vor seiner Haustüre von einem Auto angefahren und schwer verletzt wurde.

Später prägte ihn die Rockmusik der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre, Beatles oder Pink Floyd, Ereignisse wie der Putsch in Chile gegen Allende, der Vietnamkrieg. Für den Grossteil der Jugend war die Revolution vorbei, für Adrian begann sie. Er wurde zum Rebell der Familie, mit einem ersten Höhepunkt, als er 1977 den Militärdienst verweigerte.

Adrian ging für vier Monate ins Gefängnis, und von da an gleicht seine Karriere der typischen Gegen-Biografie in der Schweiz der vergangenen 25 Jahre: Schule für Sozialarbeit, Arbeit in der Kultur- und Genossenschaftsbeiz Widder, WoZ-Geschäftsleitung, Initiative für eine Schweiz ohne Armee, Mieterverband Luzern, Verkehrsclub der Schweiz, Einsätze für Initiativ- and Referendumsdemokratie auf der ganzen Welt – und neben all dem noch das politische Engagement im Luzerner Parlament. Zuerst als Parteiloser auf der Liste der Poch, dann fürs Grüne Bündnis. «Ich hatte immer drei Interessensgebiete: Umwelt, Sozialpolitik sowie die Weiterentwicklung der direkten Demokratie», sagt er heute und zählt sein Engagement für eine Schweiz ohne Armee zum Letztgenannten. «In dieser Frage prallten grundsätzlich verschiedene Weltbilder aufeinander, Auffassungen darüber, wie sich unsere durch den Kalten Krieg geprägte Gesellschaft innen- und aussenpolitisch öffnen sollte.»

Vetter Andreas war einer, der zu einer ganz andern Weltsicht gelangte. Wie? Das weiss er selber auch nicht genau. «Ich war immer neugierig, interessierte mich für Neues. Doch ich habe eine Disziplin in mir, die mich jeweils auf den richtigen Pfad zurückführt.»

Im Internat, so sagt er, sei er auf sich selbst gestellt gewesen, habe Verantwortung tragen müssen. Das Resultat: eine geradlinige Karriere, die wegen ihrer Geschwindigkeit aussergewöhnlich ist. Andreas studierte Jura und hängte ein berufsbegleitendes Wirtschaftsstudium an. Er ging ins Militär und brachte es bis zum Bataillonskommandanten und Oberstleutnant im Generalstab. Er arbeitete in der Kreditabteilung der UBS und wechselte dann als Assistent zum Unternehmer Anton Schrafl. Für Schrafl ging er mit 32 nach Südafrika und übernahm die Führung von Kopp Plastics, einer Firma für Kunststoffverpackungen. Eine Bewährungsprobe im fremden, krisengeschüttelten Land, womit er sich später anderen Mentoren weiterempfahl.

Auf Schrafl folgte nach einem Abstecher zu Mövenpick der Industrielle Klaus Jacobs, der ihn zum CEO und später zum Verwaltungsratspräsidenten von Barry Callebaut machte. Schliesslich lancierte ihn der Grand Old Man der Schweizer Wirtschaft, Ulrich Bremi. Schmid wurde Bremis Nachfolger als Verwaltungsratspräsident von Unique, als es darum ging, den Zürcher Flughafen in eine private Eigentümerschaft überzuführen. «Andreas Schmid wusste immer, was er wollte. Er ist ein Macher, mit beiden Füssen am Boden, der sich unglaublich in seine Aufgaben reinhängt», sagt Ulrico Hess, Ex-Korpskommandant und sein militärischer Förderer.

Schmid sitzt heute im Epizentrum der Zürcher Wirtschaft. Der passionierte Reiter ist Mitglied des Rotary-Clubs Stadt Zürich und gemäss Einschätzung des «Magazins» der am drittbesten vernetzte Wirtschaftsführer Zürichs. An Eröffnungen, Symposien und anderen Pflichtapéros gehört er zu denen, die, in einer Hand das Glas, gelassen zuschauen können, wie sich die andern um sie scharen. Die operative Phase hat er mit 47 bereits hinter sich, heute führt er als Präsident die Verwaltungsräte der drei Unternehmen Barry Callebaut (Schokolade), Unique (Flughafen Zürich) und Kuoni Reisen, wo er bereits der zweite Schmid ist, der an den Fäden zieht. Kurt, ein Onkel, sass früher im Stiftungsrat der Kuoni-und-Hugentobler-Stiftung, der grössten Aktionärin von Kuoni.

Eine Familie, zwei diametral entgegengesetzte Karrieren. Bis heute. Andreas’ Büro ist funktional modern: Chrom, Milchglas, schwarze Stühle, weisse Wände. Adrian hingegen hat von seinem Pult aus eine Weltkarte im Auge, deren Mittelpunkt verschoben ist: Nicht Europa, sondern die Pazifikregion ist das Zentrum. In einer Früchteschale liegt ein einsamer Pfirsich, dahinter hängt das bekannte Jonas-Plakat von Max Frisch, der für eine Schweiz ohne Armee eintrat.

Es ist kein Wunder, haben die Schmids einander genau dann aus den Augen verloren, als der eine nach links und der andere nach rechts marschierte. Über zwanzig Jahre lang haben sie einander kaum gesehen, über die Eltern und die Medien erfuhren sie jeweils, was der andere so machte. Aus der Ferne, so sagt Andreas über Adrian, habe es ihm imponiert, wie sein anders denkender Cousin für etwas einstand und dies auch konsequent durchzog. «Geniert hätte ich mich, wenn er das eine gesagt und das andere getan hätte.» Adrian sagt, er habe oft gedacht, Andreas habe ja wirklich «ein paar heisse Mandate», Respekt, da habe er Parallelen zu seiner eigenen zuweilen exponierten Position gezogen. Doch woher nur der einst so lockere Cousin die nötige Härte habe, fragte er sich.

Es war für beide eine Überraschung, als sie sich vor zwei Jahren plötzlich wieder trafen. Nicht nur privat, sondern auch beruflich. Der Investor Tito Tettamanti berief die zwei konträren Verkehrsexperten von Unique und VCS in den Beirat des Vereins Zivilgesellschaft, der auf dem Wolfsberg jeweils prominent besetzte Tagungen veranstaltet. «Da sind wir uns erstmals wieder näher gekommen, haben gemerkt, dass uns ähnliche politische Fragen interessieren», sagt Andreas Schmid. Nicht viel später begegneten sie sich auch privat, an einem Treffen aller Cousins, die sich etwas aus den Augen verloren hatten.

Adrian kam direkt von einer Delegiertenversammlung, war, wie er erzählt, «etwas genervt», weil nicht alles ganz nach Wunsch gelaufen war, und kam mit seinem weniger basisdemokratisch gefärbten Vetter ins Gespräch – über die Mühen und Freuden ihrer öffentlichen Engagements, die Tagespolitik, schliesslich auch über Verkehrsfragen. «Wir diskutierten nicht miteinander, um den anderen zu überzeugen, sondern um die eigene Haltung verständlich zu machen und die andere Meinung zu verstehen», sagt Andreas. Sie staunten über die Gemeinsamkeiten, die sich trotz gegensätzlichen Lebensstilen entwickelt hatten. Etwa dass die gleichen Themen ihr Leben dominierten: der Verkehr, die Armee, das Leben unter öffentlichem Druck, sei es wegen des Neins zur Armee auf der einen oder eines Jas zum Grossflughafen Zürich auf der andern Seite.

Oberstleutnant trifft Dienstverweigerer, Verkehrsgegner redet mit Flughafenlobbyisten, Topmanager empfängt Linkspolitiker: Normalerweise sind solche Begegnungen von wenig Dialog und viel Polemik geprägt. Weltbilder prallen aufeinander. Schmid & Schmid sind anders. Beide haben ein kritisches Verhältnis zum Staat. Adrian war immer schon ein libertärer Grüner, dem der staatsgläubige Marxismus einzelner Gewerkschaften fremd war. Freiheit bedeutet für ihn die Freiheit Andersdenker, aber auch grösstmögliche Herrschaftsfreiheit. Andreas, Mitglied der staatstragenden FDP, definiert sich ebenfalls als einer, der sehr «kritisch geworden ist gegenüber dem Staat». Er, der seinem Land jahrelang in Uniform diente, sieht sich heute wie sein Cousin als Libertärer, allerdings in freisinniger Färbung, die zuerst die Freiheit des Individuums vor staatlicher Bevormundung meint.

Ernst A. Brugger, Unternehmensberater mit Schwerpunkt Gesellschafts- und Umweltfragen, der beide Schmids beruflich kennt, wäre zwar nie auf den Gedanken gekommen, dass sie verwandt sein könnten. Doch jetzt, da er es weiss, findet er die Ähnlichkeiten gross. «Beide sind ehrgeizig, wollen ihre Ziele durchsetzen und haben sich bei der Suche nach selbstverantwortlichen Lösungen eine Unabhängigkeit von ihren eigenen Lagern bewahrt.» Die Unterschiede sieht er eher in der Persönlichkeit: Andreas, der Macher aus Wirtschaft und Militär, sei vor allem interessiert daran, möglichst effizient eine Lösung zu finden. Adrian, der Verbandsfunktionär, sei offener, mehr am Prozess orientiert.

In ihrem Umfeld gelten die Schmids als kontrollierende Gemüter, die sich auch in Details einmischen. Sie kalkulieren die Folgen ihres Handelns genau. So war Adrian zum Beispiel aus verbandspolitischen Gründen gegen das Weiterziehen des umstrittenen VCS-Rekurses im Fall des Zürcher Fussballstadions. «Wir konnten dabei nur verlieren.» Und bevor die beiden sich bereit erklärten, sich in der BILANZ als Cousins zu outen, sprachen sie sich ab, überlegten, was die Übung bringen könnte (Medienauftritte haben schliesslich immer auch ein gewisses Downside-Potenzial, wie das im Jargon heisst). Von der ersten Anfrage bis zum Termin mit Andreas Schmid vergingen über drei Monate.

Sie wollen, so sagen die Schmids, ein Signal geben, dass man unterschiedlicher Meinung sein und doch miteinander reden könne. Dass sich die Fronten aufweichen lassen, wenn es im Gespräch nicht darum geht, das Gegenüber grundsätzlich und persönlich in Frage zu stellen. «Wir haben den Vorteil, dass wir eine gemeinsame Vergangenheit haben, mit Erinnerungen, auf denen unser gegenseitiges Vertrauen basiert.» Sagt Adrian.

Andreas sagt, und das ist kein Satz, den man in der Teppichetage häufig hört: «Ich weiss, dass Adrian ehrlich zu mir ist, mich nie aufs Glatteis führen würde – egal, was er mir rät.» Ihre Botschaft: Es geht darum, überhaupt in den Dialog einzusteigen. «Weit gefasste persönliche Netze ermöglichen es, über Grenzen hinweg Bündnisse zu schliessen», doziert Adrian, der Politischere der beiden Schmids, und nennt auch Beispiele, wo es zwischen ihm und seinem Cousin zu inhaltlichen Berührungspunkten kommt: «Wir könnten uns in der Verkehrspolitik beim Verursacherprinzip treffen oder bei der Auffassung, dass zahlreiche Probleme nur transnational lösbar sind.» Was Andreas im Prinzip bestätigt und im Detail mit Wenns und Abers versieht. Verursacherprinzip ja, aber nur wenn die Abgaben auf Kerosin zum Beispiel nicht einfach in der Bundeskasse verschwinden, sondern zurückerstattet oder zweckgebunden eingesetzt würden.

Klingt gut, klingt so gut, wie es auch ein Mediator nicht besser sagen könnte, der zwei Streithähne zurück an einen Verhandlungstisch bringen möchte. Schade, ist man versucht zu sagen, dass die zwei Vettern sich bisher nie an einem solchen Tisch gegenübersassen. Das könnte etwas bringen: einen Kompromiss zum Beispiel oder vielleicht ein erstes Auftauen des verkehrspolitischen Packeises. Ihr Auftritt ist jedenfalls auch Werbung in eigener Sache. Schmid & Schmid – zwei Vettern im Kampf gegen die Eiszeit.