Die Ochsentour an der Uni St. Gallen, der renommierten HSG, beginnt für alle gleich: mit der Startwoche für die Neueinsteiger. Hier werden die Erstsemestrigen auf ihr Studium vorbereitet, knüpfen Kontakte mit den künftigen Mitstudierenden und lösen ihre erste Fallstudie. Die Woche ist bei den Studierenden beliebt – doch für Benjamin Opel, heute BWL-Student im sechsten Semester, kam es damals, als er anfing, knüppeldick.

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Die Startwoche stand unter dem Thema «Interkulturelle Chancen». Doch schon am dritten Tag bekam Opel von einem Schweizer Mitstudenten abends beim gemeinsamen Bier eine kleine Nettigkeit geflüstert: «Du musst wissen, dass ihr Deutschen hier an der HSG nicht wirklich beliebt seid.» – «Das werde ich nie vergessen. Ich war damals extrem irritiert», erinnert sich Opel.

Eintrittsticket erkämpfen

Er sei naiv und offen in die Schweiz gekommen und hätte nie gedacht, dass die Präsenz der Deutschen an der HSG so ein Problem sei. Sein Fazit heute: «Die Schweizer haben von uns Deutschen ein klares Bild, gegen das man aktiv ankämpfen muss, wenn man sich integrieren will. Wir gelten als laut, überdurchschnittlich intelligent und wohlhabend.»

Nina Schneider, die an der HSG kurz vor Abschluss ihres Mastertitels in Strategie und Internationalem Management steht, bestätigt Opels Wahrnehmung: «Die Deutschen sind forsch, übernehmen gerne den Lead, etwa bei Präsentationen. Und sie haben ein hohes akademisches Niveau», weiss die Schweizerin. In ihrer kleinen Masterklasse sei das Nebeneinander der zwei Nationen zwar gut gegangen. Doch der Wettbewerb mit den Kollegen aus dem Norden, der sei schon irgendwie latent ein Thema, erzählt sie. 20 Prozent der Studierenden an der HSG kommen aus Deutschland.

Das Eintrittsticket für die Kaderschmiede in St. Gallen müssen sie sich mit einer harten Zulassungsprüfung erkämpfen. Von den rund 1200 ausländischen Bewerbern bestehen jeweils gerade mal 20 Prozent den Test. Entsprechend motiviert stürzen sich die Betroffenen danach ins Studium – und setzen damit ihre Schweizer Kommilitonen, die mit der Matura ein Anrecht auf den Studienplatz haben, gehörig unter Druck. «Die Studierenden aus Deutschland haben ein völlig anderes Bewusstsein für Noten, da in ihrer Heimat der Numerus clausus für Fächer mit guten Verdienstaussichten selbstverständlich ist», sagt Ulrike Landfester, Prorektorin an der HSG und selbst Deutsche.

Markante Unterschiede

Das zeigt sich im ersten Studienjahr: «Dass mehr Schweizer als Deutsche durch die Prüfungen des Assessmentjahrs fallen, hat nichts mit ihrer Intelligenz zu tun, sondern damit, dass Deutsche durch ihr Schulsystem ganz anders auf Noten dressiert und dann auch durch die Zulassungsprüfungen für Ausländer vorselektiert werden. Für Schweizer Studierende ist das Assessmentjahr demgegenüber oft ein herber erster Realitätskontakt», so Landfester.

Die Hochschule profitiert vom Leistungsdruck, den die Deutschen auf den St. Galler Rosenberg bringen: Das Niveau bewegt sich nach oben. Das sieht auch Stella Schieffer so: «Die Deutschen und andere Ausländer an den Unis bringen mehr Zielstrebigkeit und Ehrgeiz mit, weil sie für ihr Studium die Komfortzone der Heimat verlassen müssen», sagt die Deutsche und angehende Bauingenieurin, die derzeit in der Schlussphase ihres Masters an der ETH Zürich steckt.

Deutsche gegen Schweizer – fernab von Zuwanderungsdebatten und Polemiken, wie sie SVP-Nationalrätin Natalie Rickli («Wir haben zu viele Deutsche im Land») losgetreten hat, spielt sich an den Schweizer Hochschulen ein Wettbewerb der Nationen ab, der sich im Zuge von Globalisierung, Bildungshunger und zunehmender Mobilität verdichtet. Dass die Deutschen trotz gemeinsamer Sprache in vielen Dingen anders ticken als die Schweizer, zeigen auch die jüngsten Umfragen von Universum.

Hohes Gehalt wichtiger

Die internationale Organisation befragt jedes Jahr Tausende von Studierenden in diversen Ländern zu deren Ansprüchen und Wunschvorstellungen über den künftigen Arbeitsort und lässt über die beliebtesten Arbeitgeber abstimmen (siehe Beilage «Universum Top 100»). Vergleicht man die Antworten aus der Schweiz mit jenen aus Deutschland, so lassen sich teilweise markante Unterschiede feststellen.

Der auffälligste: Für deutsche Wirtschaftsstudenten sind ein hohes Gehalt und eine sichere Anstellung deutlich wichtiger als für die Schweizer (siehe Tabelle unter 'Downloads'). Bei den Schweizern dominieren in der den künftigen Job betreffenden Wunschpalette eher Selbstverwirklichungsthemen – Entwicklungsförderung, kreatives Umfeld, vielfältige Arbeitsaufgaben usw. Für Nelly Riggenbach, Verantwortliche von Universum Westeuropa, ist das ein simples Spiegelbild des Wohlstandes. «Die Schweiz befindet sich zuoberst in der Bedürfnispyramide. Der Lohn ist da lediglich ein Hygienefaktor.» So sieht es auch HSG-Prorektorin Landfester: «Die Deutschen haben ganz klar mehr Existenzängste als die Schweizer.» Vielleicht ist auch das ein Grund, warum sie weniger nach Teilzeitstellen verlangen als die Schweizer.

Wenn es dann um die konkreten Lohnvorstellungen geht, sind die Deutschen allerdings deutlich bescheidener als die Schweizer. Satte 20 000 Euro tiefer liegt ihr Brutto-Wunschlohn in den Befragungen in Deutschland. Ein Problem im Wettbewerb um Talente, wenn junge Deutsche in die Schweiz kommen, um hier zu arbeiten? Immer wieder wird die Vermutung laut, dass Schweizer Unternehmen auch gerne auf deutsche Fachkräfte zurückgreifen, weil sich diese mit weniger Lohn zufriedengeben. «Wenn die Deutschen mit weniger Gehalt zufrieden sind, kann das Schweizer Arbeitgeber dazu verführen, die Deutschen zu bevorzugen», sagt Stefan Lake, Manager bei Universum Deutschland (siehe Interview «Vielen Deutschen fehlt Sensibilität»).

Kampf um beste Jobs.

Sind die Deutschen einige Zeit hier in der Schweiz und merken, wie der Hase läuft und wie hoch die hiesigen Lebenskosten sind, passen sie ihre Bedürfnisse nach oben an. «Die deutschen Studierenden wollen wissen, was sie hier in der Schweiz verlangen können. Sie fragen dann ihre Schweizer Kollegen, welche Löhne hier für Praktika oder Nebenjobs üblich sind», weiss HSG-Studentin Nina Schneider. Auch Nelly Riggenbach glaubt, dass die Lohndifferenzen zwischen Schweizern und Deutschen nicht nachhaltig sind. «Nach dem Einstiegsjob gleicht sich das langsam aus.»

Trotzdem: Im Kampf um die besten Jobs im Schweizer Arbeitsmarkt sind die Deutschen eine harte Konkurrenz. Sie sind ehrgeizig, gut und träumen oft davon, in der Schweiz zu bleiben – weil Lebensqualität und Löhne hoch, die Arbeitslosigkeit tief und die Sozialwerke gut ausgebaut sind. Für Stella Schieffer etwa ist es klar, dass sie hier bleiben möchte. Sie hat die Logistikfirma PolyPort gegründet und will diese weiter aufbauen.

Anita Suter, Masterstudentin in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität Freiburg, fühlt sich zwar nicht gestresst durch ihre potenziellen Mitbewerber aus Deutschland. Doch sie ist sich bewusst, dass die Schweizer Gas geben müssen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. «Von ihrem selbstsicheren Auftreten kann man schon etwas lernen», so Suter. Die 26-jährige Schweizerin war überrascht, wie viele Deutsche an der Uni Freiburg sind, als sie 2005 zu studieren begann. «Es gab Momente, in denen ich das irgendwie schräg fand, dass man im Seminarraum mehr Hoch- als Schweizerdeutsch hörte.»

Wie viel haben wir gemeinsam

Fazit: Möglicherweise haben die Schweizer mit den Deutschen doch weniger gemeinsam, als man meinen könnte. Nelly Riggenbach glaubt, dass man die Diskussion entkrampfen könnte, indem man aufhörte, die Unterschiede kleinzureden, und sie akzeptierte.

Das hat auch Benjamin Opel versucht. Wissend, dass seine forsche Art nicht immer gut ankommt, hat er sich angewöhnt, den Schweizer Kommilitonen «mehr Raum zu geben im Gespräch». Und er verrät neuen Bekanntschaften auf dem Campus in der Regel gleich im dritten Satz, dass er sich sein Studium zu einem guten Teil selbst finanziere – um ja nicht den Stempel des verwöhnten Herrensöhnchens aufgedrückt zu bekommen.

Genau deshalb wehrt er sich auch gegen die geplante massive Erhöhung der Studiengebühren. Das würde verstärkt die reichen Deutschen anziehen, die sich separieren und im Ausländerclub der HSG dekadente Partys feiern. Opel gibt zu, dass er heute zu diesen Landsleuten ein kritisches Verhältnis hat. «Ich habe an der HSG auch gelernt, dass es Deutsche gibt, die wirklich diesem üblen Klischee entsprechen.»