262 Millionen Franken gaben Pharmaunternehmen 2024 in der Schweiz für das Sponsoring von Ärzten, Kliniken und Universitäten sowie Gesundheitsorganisationen und Kongressen aus – rund 7 Prozent mehr als im Vorjahr. Das zeigt die neuste Auswertung «Pharmagelder» von Handelszeitung, «Beobachter» und «Blick». Dokumente von sechzig Pharmaunternehmen, die sich im Rahmen eines Branchenkodex von Science-Industries zu Transparenz verpflichtet haben, wurden ausgewertet.
Mehr als 13’000 Schweizer Organisationen und Einzelpersonen wurden von der Pharmaindustrie 2024 mit Spesenentschädigungen, Honoraren oder Forschungskooperationen finanziell unterstützt. Auf www.pharmagelder.ch können diese Daten im Detail durchsucht werden.
Astrazeneca verdoppelt die Sponsoringausgaben
Dabei fällt auf Seite der Industrie ein Name auf: Erstmals steht die britisch-schwedische Astazeneca an der Spitze der grössten Geldgeber – noch vor den Schweizer Platzhirschen Novartis und Roche (siehe Grafik unten). Gut 30 Millionen Franken hat das Pharmaunternehmen im vergangenen Jahr ins Gesundheitswesen fliessen lassen, wie aus den Dokumenten seiner Schweizer Tochterfirma hervorgeht. Das ist mehr als eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.
Gut 13 Millionen flossen von Astrazeneca an grosse Organisationen wie die European Society for Medical Oncology (ESMO; 2,7 Millionen Franken), die jährlich einen grossen Krebskongress veranstaltet, an nationale Organisationen wie die Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie (301’000 Franken) oder Kliniken wie die Waadtländer Universitätskliniken (138'000 Franken). Mit insgesamt 580'000 Franken unterstützte das Pharmaunternehmen einzelne Ärztinnen und Ärzte. Und knapp 14 Millionen Franken flossen im vergangenen Jahr in Forschungspartnerschaften mit Kliniken und Universitäten, die nicht namentlich offengelegt werden.
Die Verdoppelung der Ausgaben begründet das Pharmaunternehmen unter anderem mit seinem allgemeinen Umsatzwachstum von zuletzt 18 Prozent, aber auch dem laufenden Ausbau im Bereich der Krebsmedikamente. «Wir erwarten bis 2027 die Zulassung von über dreissig neuen onkologischen Therapien in der Schweiz», sagt Sprecherin Barbara Hess.
Beim Sponsoring von Ärzten, Organisationen oder Kongressen gehe es darum, Patientinnen und Patienten «Zugang zu besserer Diagnostik, modernen Therapien und qualitativ hochwertiger Versorgung zu ermöglichen». Oder anders gesagt: Das Pharmaunternehmen investiert in den Vertrieb und die Schulung des Medizinalpersonals – natürlich auch mit Blick auf seine neuen Produkte.
Grosse Zahlungen an einzelne Ärzte
Und so ist es vielleicht mehr als ein Zufall, dass auch der Arzt mit den höchsten ausgewiesenen Bezügen massgeblich von Astazeneca gesponsert wurde: Thomas Rosemann, Leiter des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Zürich, wurde 2024 im Umfang von insgesamt 101'051 Franken durch die Pharmaindustrie unterstützt, wie die Auswertung zeigt. Davon stammte rund 59 Prozent von Astrazeneca. Das Geld erhielt Rosemann als direkte Honorare oder über Sponsoringvereinbarungen.
Gerade dieses direkte Ärztesponsoring sorgt immer wieder für Kritik mit Blick auf die Unabhängigkeit der Forschung und Behandlung im Alltag. Anders als andere Ärzte äussert sich Rosemann zu diesen Fragen. Sein Institut sei lediglich in der Forschung, nicht aber in der Behandlung von Patienten tätig, sagt er. Dabei gehe es unter anderem darum, neue Methoden zu entwickeln, wie die Versorgung von Patienten, beispielsweise mit chronischen Leiden, überwacht und somit verbessert werden könnte.
In diesem Zusammenhang sei auch Astrazeneca an ihn herangetreten, sagt Rosemann. Für diese habe er einen Kidney-Score zur Beobachtung von chronisch Nierenkranken entwickelt. In einem weiteren Projekt habe er für die Novartis Richtlinien für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Patienten erstellt. Rosemann begründet die Zusammenarbeit mit der Industrie auch mit dem mangelnden Interesse seiner eigenen Zunft an seinem Forschungsbereich. «Als ich 2008 den Lehrstuhl in Zürich antrat, war Versorgungsforschung völlig unbekannt und wurde belächelt», sagt er. «Ich hätte mir sehr gewünscht, dass insbesondere in der eigenen ‹Zunft› die Anerkennung grösser wird.»
Wertvolle Unterstützung oder gezielte Beeinflussung?
Das Beispiel zeigt, in welchem Spannungsfeld sich die Ärzte bewegen. Mal übernehmen Pharmaunternehmen mit ihren Sponsoringengagements eine Finanzierung, die ansonsten nicht zustande käme. In anderen Fällen hingegen fliessen diese Gelder in Bereiche, die sehr nahe an der Anwendung und dem Vertrieb konkreter Produkte liegen – womit sie einen Marketing-nahen Charakter erhalten. Gerade Branchentagungen, an denen Forschungsergebnisse präsentiert und an die Ärztinnen und Ärzte teilweise eingeladen werden, provozieren immer wieder die Frage, ob die Pharmaindustrie die richtige Finanzierungsquelle sei. Ein grosser Teil der offengelegten Zahlungen fliesst in der Schweiz an internationale Organisationen, die solche Tagungen veranstalten. Unter den zehn grössten Empfängern ist bloss eine mit einem eher nationalen Charakter.
Die Offenlegung der Branchenzahlen, die seit rund zehn Jahren im Rahmen eines Kodex von rund sechzig teilnehmenden Unternehmen organisiert ist, ist eine der Antworten der Industrie auf die kritischen Stimmen. Die Pharmaunternehmen publizieren die detaillierten Listen jedes Jahr auf ihren Internetseiten. Allerdings teilweise gut versteckt oder in Formaten, die nur mit Mühe ausgelesen werden können.
Ein grosser Teil der Zahlungen wird nicht offengelegt
Noch immer fliesst ein grosser Teil der Fördergelder auch im Rahmen nicht öffentlich dokumentierter Forschungspartnerschaften. 2024 waren das 109 der 262 Millionen Franken. Diese Zahlungen deklarieren die einzelnen Pharmaunternehmen en bloc, ohne aber die Empfänger anzugeben. Es kann angenommen werden, dass es sich dabei vor allem um Kliniken und Universitäten handelt. Begründet wird dies damit, dass diese Gelder teilweise im Rahmen der späten Forschung neuer Medikamente erfolgten und somit ein legitimes Geschäftsgeheimnis bestehe.
Bestrebungen vonseiten des Branchenverbands Scienceindustries, auch in diesem Bereich für mehr Transparenz zu sorgen, wurden in der jüngeren Vergangenheit jedoch aufgegeben. Man sei in die europäischen Strukturen eingebunden, sagte Verbandsvertreter Jürg Grandwehr vor einem Jahr. Auch darüber, wie grosse institutionelle Empfänger die Gelder verwenden, ist in der Regel wenig zu erfahren.
Aufseiten der Empfänger gab es in den letzten Jahren ebenfalls Veränderungen. So scheinen Unterstützungsgelder zunehmend nicht mehr direkt an einzelne Ärzte, sondern an ihre Arbeitgeber bezahlt zu werden. Zudem nahmen die Zahlungen an die meisten Universitätskliniken 2024 deutlich ab. Beim Unispital Zürich von 3,4 auf 1,5 Millionen Franken, in Basel von 2,2 auf 0,8 Millionen und in Lausanne (CHUV) von 2,4 auf 1,7 Millionen Franken. Eine Ausnahme bilden diesbezüglich die Spitäler der Berner Inselspital-Gruppe, die gemäss Pharmagelder-Auswertung von 2,6 auf 3,3 Millionen Franken zunahmen.
Ein grosser Teil der Pharmagelder dürfte in die Krebsmedizin fliessen. Das zeigt eine Analyse der Handelszeitung aufgrund der Bezeichnungen der Organisationen sowie automatisierter Internetrecherchen. Mit rund 25 Prozent macht die Onkologie dabei den grössten Einzelanteil aus. Dahinter – und deutlich rückläufig – finden sich Spitäler aller Art mit rund 15 Prozent. Ebenfalls eine grosse Bedeutung haben Fachbereiche wie die Rheumatologie, die Dermatologie oder die Pneumologie. Rund ein Fünftel der Empfänger konnte keinem Muster zugeordnet werden.
Pharmagelder 2025
Jedes Jahr zahlen Pharmafirmen in der Schweiz deutlich über 100 Millionen Franken an Ärzte, Ärztinnen, Organisationen und Spitäler. Mit diesem Geld laden die Unternehmen Ärztinnen und Ärzte zu Kongressen ein, bezahlen Beraterhonorare, kommen für Reisen, Übernachtungen oder Essen auf. Manche Gelder fliessen als Spenden an Spitäler und Vereine oder als Sponsorings an Apotheken. Mit anderen werden Honorare für Vorträge bezahlt. Und alljährlich veröffentlichen die Firmen diese Zahlungen gemäss dem Pharma-Kooperations-Kodex (PKK) – jedes Unternehmen für sich, teilweise unübersichtlich und schlecht strukturiert.
Pharmagelder.ch ist ein Rechercheprojekt von Ringier Medien Schweiz (RMS). Journalistinnen und Journalisten von «Beobachter», «Blick», «Sonntagsblick» und Handelszeitung strukturieren die von den Pharmaunternehmen publizierten Daten und bereiten sie so auf, dass sie unter www.pharmagelder.ch für alle Interessierten einsehbar sind.