Da können sich Angestellte und Chef im kunterbunten Firmenprospekt noch so ausgelassen mit Farbpulver bewerfen – dem Unternehmer Lionel Schlessinger ist das Lachen definitiv vergangen. «Die Entwicklung in diesem Land geht in die falsche Richtung», sagt der 51-Jährige und schreitet durch die Hallen seiner Monopol Colors in Fislisbach AG.

«Anstatt Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns KMU Produktivität und Innovation ermöglichen, erlässt der Staat laufend neue Gesetze und Verordnungen, die genau dies verhindern.» Mit dieser Meinung steht Schlessinger nicht alleine da. Der «Niedergang des Industriestandorts Schweiz» wird von KMUlern gebetsmühlenartig wiederholt.

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Die Angst vor der Retourkutsche

Dafür verantwortlich gemacht werden einerseits die Frankenstärke, anderseits Politik, Behörde und Verwaltung. Während der Kurs der Nationalbank schnell gebrandmarkt ist, halten sich Unternehmer indes lieber zurück, wenn es darum geht, öffentlich Kritik an jenen zu üben, die Gesetze erlassen, diese vollziehen und die Einhaltung letztlich kontrollieren. Zu gross ist die Angst, bei nächstbester Gelegenheit die Retourkutsche einzufahren.

Anders Lionel Schlessinger. Die Änderung des Mindestmasses für einen Handlauf hat bei ihm das Fass zum Überlaufen gebracht. Jetzt sucht er die Öffentlichkeit. Und hofft, dass es ihm viele KMU gleichtun. Um dem «Behördenwahnsinn», wie er es nennt, ein Ende zu setzen. «Die Beschäftigungszahlen in der Industrie liegen heute unter dem Stand von 1991. Gleichzeitig ist die Zahl der Angestellten in den Verwaltungen um über 40 Prozent angestiegen. Das ist eine fatale Entwicklung.»

Widersprüchliche Anforderungen

Schlessinger hält am Fusse einer kleinen Treppe inne und greift nach dem Handlauf – dem Handlauf! «2002 wurde dieser Mitarbeiterzugang vom Fabrikinspektor abgenommen. Kürzlich verlangte dessen Nachfolger, dass der Handlauf von 90 auf 110 Zentimeter erhöht werden muss. Mit der Begründung, dass die Menschen inzwischen eben gewachsen seien.» Der Aargauer atmet tief durch und meint, den Ton in tiefsten Sarkasmus getunkt: «Ein Plus von 20 Zentimetern Körperlänge in 14 Jahren – Respekt!»

Ein paar Schritte weiter bremst Schlessinger erneut abrupt ab, diesmal vor einem Notausgang. «Wir erhielten letztes Jahr nicht nur vom Fabrikinspektor Besuch, sondern auch von der Suva. Beide Behörden haben uns total unterschiedliche Sollabstände angegeben, in denen die Fluchtwege angebracht sein müssen. Keiner redet mit dem anderen, und die Zeche zahlt am Schluss der Unternehmer.»

Viel Zuspruch

In seinem Büro schmeisst der Firmenboss, der gleichzeitig Präsident des Verbandes der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie ist und zudem Einsitz in der Schweizerischen Gewerbekammer nimmt, den Videoplayer an.

Mitte März hat er in einem Beitrag der Nachrichtensendung «10vor10» seinem Unmut über die Bedingungen am Werkplatz Schweiz, über die lahme Politik und über die seiner Ansicht nach zu vielen Vorschriften Luft gemacht. «Tags darauf hat das Telefon Sturm geklingelt: Kollegen, Fremde, Unternehmer, sogar eine Bäuerin. Und alle haben sie mir gesagt: Genau so ist es – und noch viel schlimmer!»

Farbe für den Roche-Turm

Schlessinger hat Monopol 1991 von seinem Vater übernommen. Der wiederum hatte die Firma in den Nachkriegsjahren aufgebaut, im Verlaufe der 1950er-Jahre wurde aus dem Handelsunternehmen ein Produktionsbetrieb. Heute mischt Monopol Colors überall mit, wo hochwertige Farben und Lacke gefragt sind. Und das weltweit.

Zu den prestigeträchtigen Projekten gehören der Roche-Turm (Bau 1) in Basel, die Nespresso-Werke, der Flughafen Zürich, das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart, das neue Spital im spanischen Vigo, die Central Station Arnheim (NL) oder auch der City Airport von Panama City. Im weltweit einzigartigen Fislisbacher Color Lab, in dem Farben nach eigenem Gusto zusammengemischt werden können, geht die Crème de la Crème der internationalen Architekturszene ein und aus: Sir Norman Foster beispielsweise, Luis Vidal oder die Leute von Coop Himmelb(l)au.

Fokus auf die Zukunftsmärkte

Am Standort Fislisbach bei Baden sind 50 Personen beschäftigt. Noch einmal doppelt so viele Mitarbeiter sorgen in Indien und Kenia für Nachschub auf dem asiatischen und ostafrikanischen Markt sowie im Nahen und Mittleren Osten. «Wir importieren nichts. Im Gegenteil: Gewisse Produkte stellen wir exklusiv in der Schweiz her und exportieren sie dann in die Zukunftsmärkte», betont der Patron. Zukunftsmärkte. Die Schweiz und Europa zählten längst nicht mehr dazu.

In der Werkhalle rumpelts und zischts, rührts und mischts. Bei der Produktion gelangt modernstes Equipment zur Anwendung. 3500 Tonnen Farbe hat Monopol allein im letzten Jahr gemischt. Im System sind über 32'000 Farbtöne abgespeichert. Die Rohstoffe werden aus dem EU-Raum importiert und unterliegen ihrerseits der 2007 eingeführten Chemikalienregulierung (REACH) der EU.

Einfache Lösung

Eine unverständliche Doppelspurigkeit sei dies in Zeiten bilateraler Lösungen, meint Schlessinger und schüttelt den Kopf. Den Aufwand hätten wieder die KMU. «Mindestens zwei Mann-Monate müssen für Abklärungen aufgewendet werden, unseren Betrieb wird die Aktion 30'000 Franken kosten. Geld, das dann für Produktion und Innovation fehlt.»

Heiligen Zorn ergreift den Unternehmer mitunter, wenn er auf Gesetze und Regularien zu sprechen kommt. Seine Forderung: «Man muss den Beamten die Mittel entziehen. Je mehr Mitarbeiter eine Verwaltung hat, umso höher die Anzahl neuer Gesetze. Desto mehr Beamte braucht es wiederum, um diese zu kontrollieren.»

«Ich kann nicht den Minder machen»

Unweigerlich fühlt man sich bei Schlessinger an Thomas Minder erinnert, den Mundwasser-Produzenten und Vater der «Abzockerinitiative». Zuerst platzte Minder der Kragen, dann stieg er ein in die Politik, heute sitzt er für den Kanton Schaffhausen im Ständerat.

Und Schlessinger? Der winkt ab. «Ich kann nicht den Minder machen, ich habe ein Unternehmen mit drei Standorten zu führen. Würde ich in die Politik einsteigen, litte automatisch das Geschäft darunter. Das riskiere ich nicht.»

Ausforsten im Dickicht

Also macht er lieber die Faust im Sack, oder? Der studierte Betriebswirt zuckt mit der Schulter. «Eine konkrete Lösung habe ich tatsächlich nicht. Aber der Regulierungswahnsinn muss aufhören.» Was Schlessinger besonders sticht: «Neun von zehn Gesetzen und Verordnungen werden vom Bundesrat und von den Behörden erlassen, also nicht einmal vom Parlament, das wir wählen.»

Wolle man den Wirtschaftsstandort Schweiz wieder stärken, so sei von zentraler Bedeutung, dass bei Inkrafttreten eines neuen Gesetzes ein bestehendes gestrichen werde. «Oder noch besser gleich deren zwei!», fügt Lionel Schlessinger an und erwägt selber, bei ihm sinnlos erscheinenden Vorschriften den zivilen Ungehorsam walten zu lassen. «Aber eigentlich braucht es bloss eines, um aus diesem Strudel, der die Schweiz langsam, aber sicher runterzieht, herauszukommen.» Er tippt sich an die Stirn: «Gesunden Menschenverstand.»