Eigentlich sind wir gekommen, um mit Bénédict Hentsch über die Trends im Banking zu sprechen. Ein klassisches Interview eben, über seine neue, vor vier Jahren gegründete Privatbank und über das traditionelle Geschäft des Banquier privé, welches die Familie Hentsch in Genf seit sieben Generationen verkörpert.

Doch die vorbereiteten Fragen scheinen ihn zu langweilen. Als wir ihn vor einer weissen Wand fotografieren wollen, platzt ihm der Kragen: Man könne ein Porträt von ihm doch nicht losgelöst von seinen Aktivitäten machen, das ergebe keinen Sinn, meint er verärgert. Was seine Aktivitäten sind, zeigt er dann mit einer ausschweifenden Handbewegung – all das hier vor uns.

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Wir befinden uns im ehemaligen Hauptquartier des Nähmaschinenherstellers Elna, einem architektonischen Juwel aus den fünfziger Jahren, in dem er den Sitz seiner neuen Bank untergebracht hat. Vor uns liegt das ehemalige Produktionsgebäude des Industrieunternehmens, das von Hentsch derzeit in ein Konferenzzentrum umgebaut wird. Seitlich davon befindet sich eine riesige Baugrube, wo derzeit die letzten Reste der Tribüne des ehemaligen Fussballstadions Charmilles, jahrzehntelang Sportstätte des FC Servette, abgebrochen werden. Alles zusammen ergibt das derzeit grösste Bauprojekt in der Rhonestadt: den Parc Gustave et Léonard Hentsch.

Im vergangenen Dezember gab der Genfer Grosse Rat, der Grand Conseil, endlich grünes Licht für die benötigte Zonenänderung. Damit kann das ehemalige Industriegelände auch anderweitig genutzt werden. Das Projekt bekommt nun – mehrere Jahre nach seiner Lancierung – richtig Schub. Auf insgesamt 50  000 Quadratmetern will Bénédict Hentsch einen Park bauen, der nebst dem Verwaltungsgebäude und dem Konferenzzentrum auch 130 Wohnungen und umfangreiche Grünanlagen umfasst – eine Oase und ein Begegnungszentrum inmitten des dicht besiedelten Genfer Arbeiterquartiers Charmilles. Bis 2010 soll es fertig sein.

Hentsch lädt ein zu einer Tour über das Gelände. Begeisterung leuchtet in seinen Augen auf, schnellen Schrittes schleppt er uns durch die Stationen jenes Projekts, dem offensichtlich sein Herzblut gehört. Das Konferenzzentrum riecht nach frischer Farbe. Hier in den klassischen Produktionshallen, in denen das Industrieunternehmen Tavaro einst die Elna-Nähmaschinen herstellte, sollen später grosse Versammlungen mit bis zu 1500 Personen stattfinden. Die Lage für ein Konferenzzentrum sei ideal, sagt Hentsch, es liege in der Mitte zwischen dem Flughafen und dem Zentrum. Vom Dach des Gebäudes kann man die Bahnlinie vom Flughafen Cointrin zum Bahnhof Cornavin sehen, die genau am Gelände vorbeiführt. Hentsch lässt derzeit abklären, ob die SBB hier eine neue Haltestelle bauen könnten. Er hat dafür eigens eine Studie bei der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) bestellt, welche die technische Machbarkeit abklärt. Eine Haltestelle nicht nur für sein Gelände, sondern auch für die 40  000 Bewohner des Quartiers müsse die SBB doch überzeugen, sagt er. Hentsch, so scheint es, will mit der grossen Kelle anrichten – dieser Mann hat städtebaulich Blut geleckt.

Das Projekt ist eng mit der Historie der Banquiersfamilie Hentsch verbunden (siehe «Bauprojekt mit langer Geschichte» auf Seite 50). Gustave Hentsch, der Grossvater von Bénédict, war Kapitän und Torwart beim FC Servette. 1920 kaufte er fünf Hektaren Land, um ein Fussballstadion für seinen Club zu bauen. Der Verkauf eines Teils der Parzelle an Tavaro ergab das nötige Geld für den Bau. 1930 wurde das Stadion Charmilles mit seinen 30  000 Plätzen eingeweiht. Mit dem Bau des neuen Stade de Genève vor einigen Jahren wurde das alte Fussballstadion überflüssig. Die Charmilles, mit einem Mal nun ein ungenutztes, verfallendes Fussballstadion, blieb im Besitz der Banquiersfamilie.

2003 kam es zu einem Glücksfall für Hentsch. Die Besitzerbanken UBS und CS stellten das Gelände des in Konkurs gegangenen Industrieunternehmens Tavaro zum Verkauf. Hentsch schlug zu und sicherte sich das Gelände für 15 Millionen Franken. Mit dem Kauf der neben seinem Stadion gelegenen Parzelle war der Moment für den Quantensprung gekommen, denn mit dem im Ganzen nun sehr grossen Gelände liess sich städtebaulich in ganz anderen Dimensionen denken, was schliesslich zum Projekt in seiner heutigen Form führte.

Völlig renoviert sind bereits das ehemalige Verwaltungsgebäude von Elna und die 1934 erstellte Fabrik Tavaro. Der Entscheid, seine neue Banque Bénédict Hentsch hier unterzubringen, hat in Genfer Banquierskreisen für Aufsehen gesorgt. In der Regel lassen sich die altehrwürdigen Finanzhäuser im Stadtzentrum oder an den edlen Seepromenaden nieder und nicht im Arbeiterquartier. Für Hentsch ist sein Schritt indes auch ein Zeichen des neuen Windes, der in der Genfer Bankenszene weht. Man sei moderner und unverkrampfter geworden, ohne die traditionellen Stärken des Geschäfts zu vernachlässigen.

Die Gründung einer eigenen Bank erfolgte im Nachgang zum Rücktritt von Hentsch als Partner der Privatbankengruppe Darier Hentsch im Herbst 2001. Wegen des Swissair-Debakels bildete Hentsch, dessen Familie die Bank seit 1796 geprägt hat, eine Gefahr für die Reputation. Denn als langjähriges Verwaltungsratsmitglied und späterer Vizepräsident der Swissair stand er im Mittelpunkt der Kritik.

Als Bruch mit dem Establishment will er weder seinen damaligen Austritt bei Darier Hentsch noch die heutige Platzierung im Arbeiterquartier verstanden haben. Er sei nach wie vor mit Herz und Seele Banquier. Mit dem Auszug bei Darier Hentsch habe er nur seine Verantwortung wahrgenommen: Die Priorität sei bei der Reputation der Bank gelegen.

In Genfer Banquierskreisen wirft man ihm vor, er wolle mit dem Park sich selber ein Denkmal setzen. Er widerspricht: «Das Gelände wird schliesslich nicht nach mir, sondern nach meinem Grossvater Gustave benannt, der das mythische Stade des Charmilles für seinen Fussballclub FC Servette erbauen liess.» Erneut fällt das Stichwort Verantwortung: Sei es als Banquier im Dienst seiner Kunden, als Bauherr für die Entwicklung eines Stadtteils oder als ehemaliger Verwaltungsrat der Swissair – er stelle sich der Verantwortung. Darum sei er auch bis am Schluss im Verwaltungsrat der Swissair geblieben: um beim Aufräumen mitzuhelfen. Wie beurteilt er diese Zeit? «Die Vergangenheit belastet mich nicht», so Hentsch. Persönliche Schuld am Debakel verspürt er nicht: «Ich habe immer ein reines Gewissen gehabt.»

Sorgen machen ihm vielmehr die derzeitige Finanzkrise und die Lage der Schweizer Grossbanken. Er sieht das Grundübel in der vermehrten Ausrichtung auf das Investment Banking und der enormen Geldgier, die dort am Werk ist. Wie schnell die heutige Finanzindustrie in Verluste geraten kann, hat er auch als Verwaltungsrat des Rückversicherers Swiss Re erfahren, dem er seit 1993 angehört. Das Unternehmen musste letzten Herbst überraschend einen Abschreiber von 1,2 Milliarden Franken bekanntgeben.

Nicht nur die immer komplizierter werdenden Produkte seien das Problem, sondern auch, dass man sich von den traditionellen Tugenden zu weit entfernt habe: «Wir Schweizer sind die besten Hüter von Geld», so Hentsch, «doch Investment Banking ist nicht Teil unserer Kultur.» Die Schweizer seien ein Volk, welches das Risiko ausschalten und nicht ausreizen wolle. Das Partnermodell der Genfer Privatbanken hält er für die ideale Organisationsform: «Man ist gleichzeitig Eigentümer, Manager und Kundenberater – das garantiert eine vorsichtige Haltung, weil man mit eigenem Kapital umgeht.»

Mit ihren Milliardenverlusten gefährde die UBS das Image und strapaziere das allgemeine Vertrauen des hiesigen Bankenplatzes ganz generell, glaubt Hentsch: «Keiner freut sich über die Missgeschicke in der Branche.» Um das angeschlagene Vertrauen der UBS wieder herzustellen, würde er eine völlige Trennung der Vermögensverwaltung vom Investment Banking befürworten. Noch wichtiger: Man solle das Trading auf eigenes Konto aufgeben und nur im Dienste des Kunden handeln. Das sollte den enormen Interessenkonflikt etwas mildern.

Wenn er so spricht, ist er mit einem Mal wieder der Banquier. Verzettelt er sich nicht in seinen beiden so unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern?

«Ich arbeite 16 Stunden am Tag, 8 Stunden für die Bank und 8 Stunden für den Park – ich gebe 100 Prozent für beide Sachen», sagt Hentsch. Ein Nachteil des Banquierberufs sei eben, dass man die Ergebnisse seiner Arbeit nach aussen meist nicht sehe: «Banking ist virtuell.» Bei einem Bauprojekt sei das ganz anders, und das mache ihm zugegebenermassen Spass. Fast täglich sehe man die Resultate der Anstrengungen, und es lasse sich verfolgen, was man mit einem Team realisieren könne. «Das Bauprojekt gibt mir, was mir der Banquierberuf nicht bietet: die optische Entfaltung der Früchte der eigenen Arbeit.»

Erik Nolmans
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