Auf der ersten Automesse des Jahres in Europa holen sich Hersteller und Lieferanten üblicherweise den Schwung für das laufende Jahr. Den Aufbruch in die Elektromobilität haben sie sich für den Genfer Autosalon auf die Fahnen geschrieben - mit immer mehr fast serienreifen E-Auto-Modellen.

Doch die Show am noblen Genfer See, die nächste Woche startet, steht unter keinem guten Stern: Ein ganzes Knäuel an Problemen - der Brexit, der US-Handelsstreit mit China, Krisen-Ängste wegen der weltweiten Konjunkturschwäche und verschärfte Klimavorgaben - verdüstern die Aussichten der Branche.

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Während sich im Handelskonflikt Hoffnungen auf eine Einigung halten, malen Experten Schreckensszenarien über die Folgen des bevorstehen EU-Austritts Grossbritanniens: Kilometerlange Lkw-Staus an den Grenzen, der Verlust Tausender Arbeitsplätze und ein schwächeres Wirtschaftswachstum.

«Am realsten sind die Auswirkungen rund um den Brexit», sagt Autoprofessor Stefan Bratzel. Die dauernde Unsicherheit belaste die Unternehmen, weil niemand wisse, ob es einen harten oder weichen Austritt geben werde. «Je nachdem, welchen Weg Großbritannien wählt, können die Auswirkungen auf die Liefer- und Wertschöpfungsketten in diesem Jahr enorm sein.»

Sinkende Autoverkäufe

Der Autoabsatz auf der Insel dürfte weiter sinken. Auch eine Verschiebung des Austrittsdatums wäre keine Gewähr dafür, dass sich das britische Parlament am Ende doch noch auf das von Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen einigt.

Der deutsche Branchenverband VDA appelliert, alle Beteiligten sollten einen ungeregelten Brexit vermeiden. «Denn das wäre der Worst Case. Ein 'No-Deal-Szenario' wäre folgenschwer und für Unternehmen und Beschäftigte in der EU-27 mit erheblichen Risiken verbunden», sagte ein VDA-Sprecher. Die Chefs der britischen Autobauer Vauxhall und Aston Martin warnen, die Auswirkungen des Brexit seien vermutlich tiefgreifender und würden länger anhalten, als Politik und Öffentlichkeit dies vermuteten.

Fast alle Autobauer haben Notfallpläne aufgesetzt, um vorbereitet zu sein, sollte an den Grenzen zum Vereinigten Königreich wieder kontrolliert werden müssen. Denn die eng verflochtenen Lieferketten, bei denen Bauteile rechtzeitig zu den Produktionsbändern gebracht werden, vertragen keine Unterbrechungen.

Ein chaotischer Brexit träfe die Konzerne hart, die derzeit ohnehin viel in die Elektromobilität investieren, um die schärferen CO2-Grenzwerte einzuhalten. «E-Mobilität und selbstfahrende Autos kosten erstmal viel Geld, ohne zunächst gross etwas in die Kasse zu bringen», sagt Bratzel, der das Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach leitet.

Probe aufs Exempel

Miese Stimmung können die Autobauer da überhaupt nicht gebrauchen. Sie wollen auf der Autoshow schließlich - notgedrungen - in die Elektromobilität aufbrechen. Die Zeit, da vor allem Prototypen batteriegetriebener Wagen gezeigt wurden, ist vorbei. Ins Scheinwerferlicht rücken immer mehr seriennahe E-Autos. «Jetzt wird man sehen, ob die E-Mobilität tatsächlich auf die Straße kommt», ist Bratzel überzeugt.

Der Durchbruch des E-Autos sei immer wieder in Genf beschworen worden, meint der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. «Dieses Mal ist es aber glaubhaft.» Grund seien die verschärften CO2-Vorgaben der EU und die von den Herstellern selbstverschuldete Dieselkrise. «Ein Zurück zum Diesel gibt es nicht. Also bleibt allen nur, mit Volldampf ins Elektrozeitalter zu fahren.»

Der Brexit könnte die Gespräche an den Messenständen jedoch übertönen. Denn für die deutsche Autoindustrie ist Grossbritannien der wichtigste Exportmarkt. Viele Arbeitsplätze hängen davon ab, dass das Geschäft mit der Insel rund läuft. Am stärksten sind Unternehmen betroffen, die Produktionsanlagen mit hoher Kapazität in Grossbritannien haben. Unter den globalen Automobilkonzernen sind das nach Analysen von Autoexperten Nissan und der zum indischen Tata-Konzern gehörende Hersteller Jaguar Land Rover.

Honda, Ford und Opel

Honda hat die Schliessung seines Werks im südenglischen Swindon mit 3500 Beschäftigten angekündigt, betont aber, dies habe nichts mit dem Brexit zu tun. Nissan verlagert die Produktion der neuen Version des Geländewagens X-Trail zurück nach Japan. «Die Japaner ziehen sich Stück für Stück aus dem Produktionsstandort England zurück», glaubt Dudenhöffer.

Aber auch Ford und Opel bereite der Brexit Kopfzerbrechen, meint Dudenhöffer, der das CAR-Insitut an der Uni Duisburg-Essen leitet. Ford schreibt in Europa rote Zahlen und hat einen Sanierungsplan aufgelegt, bei dem Tausende Arbeitsplätze gestrichen und Werke geschlossen werden könnten. Bei der Opel-Schwester Vauxhall habe das Werk Ellesmere Port einen schweren Stand. «Es wird leerer in den Werkshallen der Autobauer und Zulieferer in England», sagt Dudenhöffer.

(reuters/mlo)