Die Rebellen werden verjagt
Das Gutachten, das Luqman Arnold, operativer Chef der UBS, bei einer Londoner Rechtsanwaltskanzlei in Auftrag gegeben hatte, hatte es in sich: Auf mehr als dreissig Seiten listete es detailliert die angeblichen Kompetenzüberschreitungen von UBS-Präsident Marcel Ospel auf. Arnold war nach dem Swissair-Grounding umgehend von New York nach Zürich zurückgeflogen, und obwohl hier mehrere tausend Kunden ihre Konten kündigten und Arnold sich selbst an die Spitze eines Krisenmanagement-Teams gesetzt hatte, war sein Kopf voller Rachegelüste. Er war fest dazu entschlossen, die Sache auf die Spitze zu treiben. Er wollte den Fall dem Verwaltungsrat als oberstem Gremium der Bank vorlegen.
Den besten Draht unter den zwölf Männern hatte er zu Peter Davies, dem Chef des britischen Warenhauskonzerns Sainsbury, dem einzigen Engländer.
Auch glaubte er Lawrence Weinbach, den einzigen Amerikaner in dem Kontrollgremium, auf seiner Seite. Doch selbst wenn diese beiden Männer sich für ihn einsetzen würden, so war das nicht genug. Sie waren beide erst seit einem halben Jahr dabei und hatten wenig Einfluss. Er brauchte Unterstützung aus dem Schweizer Lager.
Also wandte er sich an zwei Schweizer, von denen er glaubte, sie auf seine Seite ziehen zu können: den Vizepräsidenten Markus Kündig, der vonseiten der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) in den Verwaltungsrat gekommen war und deshalb keine sehr enge Beziehung zu Ospel zu haben schien, und den Basler Rechtsprofessor Peter Böckli. Besonders von diesem Experten in Fragen der Unternehmensführung erhoffte sich Arnold Beistand. Etwa eine Woche nach seiner Rückkehr aus New York sprach er Kündig und Böckli an und berichtete ihnen von der gravierenden Kompetenzüberschreitung, die Ospel aus seiner Sicht begangen habe, der Vergabe von 700 Millionen Franken ohne Zustimmung der operativen Leitung.
Doch die beiden Herren hatten eine genaue Auffassung davon, wie ihre Kompetenzen aussahen, und die besagte ganz klar: Sie mussten den Präsidenten des Verwaltungsrats über diese Beschwerde informieren. Denn er war der oberste Vertreter der Bank, und hier ging es um eine Angelegenheit, die von zentraler Bedeutung war. So erfuhr Marcel Ospel offiziell erstmals zehn Tage nach dem Grounding von den schweren Vorwürfen, die der Präsident der Konzernleitung gegen ihn erhob. Und das in einer Zeit, als er öffentlich unter Beschuss stand wie nie zuvor.
Zwar hatte Ospel am Freitag nach seiner Rückkehr in die Schweiz in der Politsendung «Arena» des Schweizer Fernsehens überzeugend argumentiert und sich zu Beginn gleich für seine Absenz entschuldigt. Das hatte gewirkt. Am Tag darauf war er dann vor die Mitarbeiter im bankeigenen Konferenzsaal Grünenhof in der Zürcher Innenstadt getreten und hatte noch einmal überzeugend seine Sicht der Dinge dargelegt: Die UBS habe sich verantwortungsvoll verhalten, die Hauptschuld für das Grounding liege beim letzten Swissair-Chef, Mario Corti. Am Ende standen die Mitarbeiter auf und applaudierten. Wenn es um konkrete Sachverhalte ging, war er in öffentlichen Auftritten stark, auch wenn sie ihm nie behagen sollten. Der schlimmste Schaden war damit zwar abgewendet. Doch natürlich schwelte das Unbehagen in der Öffentlichkeit noch weiter.
Den internen Aufstand konnte Ospel da nicht brauchen. Dass es für ihn gefährlich werden könnte, war ihm schnell bewusst. Im Verwaltungsrat konnte er sich zwar auf die meisten seiner Leute verlassen, doch er wusste auch, dass Rechtsexperten wie Böckli ihre eigene Systematik hatten, und Arnold hatte ja bislang einen guten Ruf und war vom gesamten Verwaltungsrat in sein Amt gehoben worden. Entscheidend würde sein, wie sich die Konzernleitung verhielt.
Wenn sich hier eine Mehrheit hinter Arnold stellen würde, könnte es für ihn knapp werden. Markus Granziol und Joe Grano zählte Ospel sofort zum Arnold-Lager, Peter Wuffli hatte sich bislang neutral zurückgehalten, und Stephan Haeringer glaubte er genauso auf seiner Seite wie den loyalen obersten Privatbankier Georges Gagnebin. Haeringer hatte zwar immer gegen die hohen Gehälter der Investment Banker geschimpft, und Ospel fand den Mann ohne Auslanderfahrung etwas bieder. Doch sie verstanden sich gut, er hatte ihn ja als einziges Konzernleitungsmitglied am Tag des Groundings in seinem Privatjet nach New York mitgenommen. Jetzt brauchte er ihn. Da kam ihm zu Hilfe, dass Arnold sich auch mit Haeringer schon mal angelegt hatte.
Der Verwaltungsrat bestellte Arnold Ende Oktober, etwa drei Wochen nach dem Grounding, zu einem Hearing ein. Der Brite stellte eloquent seine Sicht der Dinge vor. Die operative Verantwortung liege bei der Konzernleitung, das halte das Reglement eindeutig fest, und eine Kreditvergabe von mehr als 700 Millionen Franken sei eindeutig ein operativer Entscheid. Die neun Mitglieder des obersten Gremiums der Bank hörten sich die Ausführungen aufmerksam an, vermieden zunächst jedoch irgendwelche Stellungnahmen. Der Konzernleitung wurde signalisiert, dass alles in Ordnung sei und kein Grund zur Beunruhigung bestehe.
Das war natürlich nicht so. Mit seinem Gang vor den Verwaltungsrat hatte Arnold offen die Machtfrage zwischen den beiden gleichaltrigen Männern gestellt, und da konnte es nur einen Sieger geben. Selbst PaineWebber-Chef Joe Grano, auf dessen Wort Arnold viel gab, hatte ihn dafür kritisiert: «Du hättest niemals vor den Verwaltungsrat gehen sollen. Das liess keinem von euch eine Rückzugsmöglichkeit.» Denn Arnold selbst hatte ja in einem Interview kurz vor seinem Amtsantritt noch eingeräumt: «Da Marcel Ospel mich feuern könnte, hat er mehr Macht als ich. Die Einzigen, die ihn als VR-Präsidenten absetzen könnten, sind die Aktionäre.»
Der Verwaltungsrat beriet sich weiter und stützte sich dabei auf ein Gegengutachten, welches Vizepräsident Alberto Togni erarbeitet hatte und welches das richtige Vorgehen Ospels belegte. Auch der Aktienrechtler Böckli bescheinigte Ospel, korrekt gehandelt zu haben. Es sei eine Ausnahmesituation von nationalem Interesse gewesen. Und je mehr die Zeit fortschritt, umso mehr dämmerte den Verwaltungsräten die Dimension der Angelegenheit. Zwar galt Luqman Arnold als respektierter und kompetenter Banker. Doch wenn sie ihm recht gaben und Ospel entmachteten, würde die Bank de facto von den Angelsachsen übernommen.
Arnold hatte sogar schon eine neue Konzernleitung skizziert, in der Peter Wuffli der letzte Schweizer war. Granziol sollte durch seinen pflegeleichteren Stellvertreter John Costas ersetzt werden, und das hatte Ospel ihm Anfang September sogar schon im Auftrag Arnolds mitgeteilt, denn auch er suchte nach einer Gelegenheit, sich von dem zu selbstbewussten Investment-Banking-Chef zu trennen.
Den Posten von Stephan Haeringer wollte Arnold an die Amerikaner Joe Grano und David Solo vergeben. Es wäre die Totalübernahme der Angelsachsen gewesen. Ospel bot als Gegenvorschlag kurzzeitig sogar an, selbst wieder Konzernchef zu werden und seinen Freund Hans de Gier zum Präsidenten zu machen. Doch das war gar nicht mehr nötig. Besonders die fünf Schweizer in dem Gremium – neben Togni, Kündig und Böckli waren es noch der frühere Ciba-Chef Rolf Meyer und Hans-Peter Ming von der Sika Finanz – bekamen Angst vor den Engländern und Amerikanern, die sie da an Bord geholt hatten. Sie scharten sich hinter ihren Präsidenten Ospel. Das Urteil des renommierten Aktienrechtlers Böckli war Begründung genug. Die Reihen hatten sich geschlossen.
Das Finale begann Mitte November. Als Arnold seine E-Mails nicht mehr beantwortete, wussten seine Kollegen in der Konzernleitung, dass der Entscheid kurz bevorstehen würde. Sie fühlten sich wie unter einer Nebeldecke. Es gab keinerlei Informationen, alles war möglich. Wie angespannt die Situation war, zeigte sich an einem Strategie-Workshop der Konzernleitung im Zürcher Nobelhotel Dolder, den Arnold schon lange Zeit zuvor einberufen hatte. Marcel Ospel kam auch, obwohl er der operativen Führung gar nicht angehörte, und sagte während des gesamten Treffens kein Wort. Die Konzernleitung war auf alles gefasst, auch auf einen möglichen Abgang Ospels.
Am Montag, dem 17. Dezember, eine Woche vor Weihnachten also, ging Marcel Ospel dann von seinem Büro aus ein paar Räume weiter zu Peter Wuffli. Der war schon im Sommer nach zwei Jahren in Chicago nach Zürich zurückgekehrt und hatte wieder ein Büro an der Bahnhofstrasse 45 bezogen. Denn sein ältester Sohn hätte jetzt in den USA zur Highschool gehen müssen, und das wollte die Familie nicht. So kam er ein Jahr früher zurück als ursprünglich geplant. Seine Zukunft war mehr als ungewiss: Das Asset Management war ein Randbereich, und unter Arnold hätte er kaum Aufstiegschancen gehabt. Doch jetzt kam der Moment, auf den er vorbereitet war, wie er dem Verwaltungsrat ja vor seinem Umzug nach Chicago angekündigt hatte.
Der Verwaltungsrat habe einstimmig entschieden, sich von Luqman Arnold zu trennen und ihm die Nachfolge anzubieten, teilte Ospel ihm mit. «Kann ich da eine Nacht drüber schlafen?», fragte Wuffli. «Ja, aber ändern kannst du es nicht», lautete die Antwort. Dafür nannte Wuffli seine Bedingungen. Er müsse seine Leute platzieren können. Granziol und Grano müssten gehen, Haeringer könne bleiben, aber nicht auf diesem Posten, dort wolle er den bisherigen obersten Risikoverantwortlichen, Marcel Rohner, haben. Ospel akzeptierte sofort. Die Entmachtung von Granziol hatte er selbst längst beschlossen, Grano hielt er für einen lästigen Kritiker, der sich auch gegen ihn gestellt hatte.
Am Dientag, dem 18. Dezember, gab die Bank eines der seltsamsten Pressecommuniqués ihrer Geschichte heraus. Luqman Arnold verlasse die Bank, doch die Ursache dafür liege «weder im Finanzbereich noch in der operativen Führung und auch nicht in der Unternehmenskontrolle», hiess es dort.
Das war Ospel besonders wichtig: Der Verwaltungsrat hatte schliesslich einstimmig entschieden, dass er seine Kompetenzen nicht überschritten hatte in dieser Sondersituation, und deshalb wurde in der Pressemitteilung explizit festgeschrieben, dass es in der Unternehmenskontrolle keine Probleme gegeben habe. Diese Formulierung belegte seinen Sieg in dem Machtkampf, denn natürlich sah Arnold das vollkommen anders. Auch der Amerikaner Lawrence Weinbach und der Brite Peter Davies hatten am Ende im Verwaltungsrat für Ospel gestimmt. Er hatte sich auf der ganzen Linie durchgesetzt.
In der Öffentlichkeit und bei den Mitarbeitern herrschte Konfusion. Luqman Arnold, der einen so guten Ruf hatte, musste gehen, und die Bank lieferte als Begründung lediglich, dass es eine «Summe von Meinungsverschiedenheiten» gegeben habe. «Muss man daraus schliessen, dass es Streit gab, weil Herr Arnold Milchschokolade und Herr Ospel dunkle Schokolade mag?», kommentierte das «Wall Street Journal» die «alberne Sprache» der Pressemitteilung.
Die Entmachtungen von Granziol und Grano wurden geschickt kaschiert. Granziol behalte weiterhin den wichtigen – in Wahrheit bedeutungslosen – Posten des Chairman der Investmentbank, so die offizielle Lesart, und Grano wurde zum Chef eines neuen Wealth-Management-Boards berufen, was sogar wie eine Beförderung klang.
Der Abgang von Arnold brachte schon genug Unruhe unter den Mitarbeitern. Granziol und Grano, die beide sehr angesehen waren, zusammen mit Arnold einfach so vor die Tür zu setzen, wäre da schlicht ein zu grosser Schock gewesen. In den USA etwa waren Tausende von Brokern auf ihren Frontmann Grano eingeschworen. Zudem hatte der ja seine jährlichen Mindestzahlungen von zwanzig Millionen Dollar drei Jahre lang garantiert. So wurde wenige Wochen später der Amerikaner Mark Sutton als Chief Operating Officer von PaineWebber installiert und Grano damit scheibchenweise entmachtet.
Arnold veranstaltete noch am 18. Dezember ein Abschiedsessen für seine zehn wichtigsten Mitarbeiter im Hotel Widder in der Zürcher Innenstadt. Noch am selben Abend verliess er die Bank für immer. Granziol ging im April, Grano offiziell Ende 2003. Keiner von ihnen hat jemals wieder mit Ospel geredet.
Er hatte die Rebellen verjagt.
Das grosse Dankeschön
Vielleicht hatte Marcel Ospel ja nur diesen rauen Übergang gebraucht, um wirklich in seinem neuen Leben als Präsident der Grossbank anzukommen. Jetzt wurde alles gut.
Peter Wuffli erwies sich als Glücksgriff. Das wahre Machtinstrument waren eigene Gefolgsleute, dies hatte ja gerade der Aufstieg Ospels bewiesen. Der gescheiterte Putsch hatte die bisherigen Machthaber in der Konzernleitung weggefegt oder an den Rand geschoben: Luqman Arnold, Markus Granziol, Joseph Grano. Nur er, Peter Wuffli, war noch da – und war plötzlich General. Er wusste: Er musste schnell seine Gefolgsleute platzieren. Da war einmal der Schweiz-Chef Stephan Haeringer, unter Ospel eine sehr einflussreiche Figur. Doch der Zürcher galt nicht gerade als Held der Innovation, und vor allem hätte er sich operativ kaum von dem jüngeren Wuffli dreinreden lassen. Doch natürlich konnte der ihn nicht vor die Tür stellen, denn Haeringer war ja der wichtigste Spartenchef, der während des Putsches zu Ospel gehalten hatte. Für ihn brauchte es einen dieser Jobs, von denen es in einer Bankführung so einige gibt: hohes Prestige, üppige Bezahlung, wenig Arbeit.
Also beförderte Wuffli ihn zum stellvertretenden Konzernchef, allerdings ohne operative Aufgaben. Diese übertrug er Marcel Rohner, einem jungen Aargauer, der sich im Risikomanagement grosse Meriten erworben hatte und der sich wie er selbst nicht in den Vordergrund drängte. Auch an die anderen Schaltstellen setzte er seine Getreuen: Sein Nachfolger an der Spitze des Asset Management wurde der Australier John Fraser, als Asien-Chef kam ein gewisser Clive Standish. Allesamt Männer, die den Aufstand nur aus der Ferne miterlebt hatten. Ihr Chef war Peter Wuffli, nicht Marcel Ospel.
Doch der grosse Schub kam von aussen. Die UBS ist wohl die einzige Bank der Welt, die vom Platzen der Internetblase profitieren konnte. Jetzt zahlte sich die fast schon krankhafte Vorsicht nach dem LTCM-Skandal aus. Geschickt nutzte die UBS die Krise an den Märkten. John Costas, neuer Chef des Investment Banking mit hochfliegenden Plänen, witterte vor allem in seinem Heimmarkt USA grosse Chancen. Alle Investmentbanken stellten während des dramatischen Börseneinbruchs in grossem Stil hoch qualifizierte Leute auf die Strasse. Costas stellte sie ein. Für Peter Wuffli begann eine Zeit der Genugtuung. Knapp zwei Jahre nach seinem Amtsantritt verlieh ihm der Verwaltungsrat den Titel CEO. Wuffli wurde zum exzellenten Umsetzer der Strategie. Wenn Marcel Ospel das stille Raubein für den Aufstieg gewesen war, so war Wuffli der effiziente Organisator auf dem Gipfel. Und das honorierten die Märkte: Der Börsenwert der Grossbank stieg von 80 Milliarden Franken Anfang 2003 auf mehr als 160 Milliarden drei Jahre später.
Für Marcel Ospel war es an der Zeit, Danke zu sagen. Zunächst einmal all denen, die während des Putschversuches zu ihm gehalten hatten. Etwa Peter Böckli, seinem Rechtsbeistand in diesen schwierigen Tagen, den Arnold unbedingt auf seine Seite ziehen wollte. Eigentlich gilt bei der UBS die Altersbegrenzung von 65 Jahren für den Verwaltungsrat. Doch in Ausnahmefällen sind 70 Jahre möglich. Davon machte Ospel jetzt Gebrauch. Den 66-jährigen Böckli kürte er 2002 für eine letzte Amtsperiode zum nebenamtlichen Vizepräsidenten, was dessen Bezüge auf mehr als eine Million Franken ansteigen liess.
Das erwies sich als cleverer Schachzug, denn Peter Böckli war der Bank auch in einer anderen wichtigen Rechtsfrage zu Diensten. Der Aktienrechtler war der einflussreichste Schweizer Jurist, wenn es um die Gesetzgebung bei den Managerlöhnen ging. Das Thema bekam eine Wucht, welche die Konzernchefs lange unterschätzt hatten.
Marcel Ospel hingegen spürte früh die Brisanz des Themas. Da waren ihm seine kleinbürgerlichen Wurzeln ein unabdingbarer Sensor. Für seine Fasnachtsclique, die «Revoluzzer», hatte er in Basel sogar ein eigenes Restaurant gekauft, den «Schnabel». Zwischen Februar und August kam er hier einmal monatlich zum Jassen vorbei, ab August sogar zweimal im Monat, um für seine Rolle als Troubadour bei dem dreitägigen Aufmarsch zu proben.
Hier hörte er, was das Volk bewegte – und die hohen Gehälter der Chefs waren ein Riesenthema. Da waren Ärzte, Apotheker oder der Besitzer eines Blumengeschäfts dabei, und er musste sich zuweilen einige deftige Sprüche anhören. Natürlich wollte auch er immer gut verdienen, und er sah schlicht nicht ein, warum er nicht wenigstens die Hälfte des Gehalts eines amerikanischen Bankchefs beziehen sollte, wenn sein Haus deutlich grösser und erfolgreich war.
Doch er wollte für seine Bank ein System schaffen, das wirklich Leistung belohnt. So gab die UBS etwa als einziger Schweizer Grosskonzern nur Optionen an ihre Führungskräfte heraus, deren Ausübungspreis zehn Prozent über dem aktuellen Marktpreis der Aktie lag. Damit war sichergestellt, dass die Manager erst profitierten, wenn auch die Aktionäre profitiert hatten. An der Generalversammlung im April 2002 legte er als erster Lenker eines Schweizer Weltkonzerns sein Gehalt offen. Das Clevere daran war vor allem: Im Jahr 2001 liefen die Geschäfte nur mässig, und deshalb fiel das Salärpaket Ospels mit 12,5 Millionen Franken vergleichsweise tief aus. Im Jahr davor waren es noch 18 Millionen gewesen.
Wie später auch beim Swissair-Debakel hatte er hier das richtige Gefühl für den volksnahen Auftritt. Das war typisch für ihn. Wenn er etwa im Zürcher Nobelrestaurant Kronenhalle die Karten zückte, um einen Jass zu klopfen, mochten manche Kollegen die Nase rümpfen. Das scherte ihn nicht. Und wenn es die Kartenrunde damit sogar in die Zeitung schaffte, holte er einige Wochen später das Kartenspiel in seinem Lieblingsrestaurant wieder hervor.
Oder sein Hang zu extravaganten Autos: Publikumswirksam verschenkte er im Jahr 2002 eine Spezialanfertigung an das Schweizer Verkehrshaus in Luzern. Der Aston Martin V8 Vantage Shooting Brake war ein Unikat und mit 320 Kilometern pro Stunde der schnellste Kombi der Welt. Wo auch immer er mit dem Gefährt vorfuhr, versammelten sich Menschentrauben. Das Aufsehen war ihm zu gross. Bei der Abgabe an das Verkehrshaus liess er sich strahlend mit dessen Direktor fotografieren. Das war beste PR, die er nach dem Swissair-Debakel noch immer brauchen konnte.
Doch ausgestanden war der Kampf in der Lohnfrage mit dieser Flucht nach vorn nicht. Denn hinter den Kulissen ging der Kampf weiter. Als er noch Nationalrat war, hatte auch Christoph Blocher, Einpeitscher der rechtsbürgerlichen SVP und bekanntester Politiker des Landes, ein Gesetz gefordert, nach dem die Geschäftsleitungsmitglieder börsennotierter Firmen ihre Lohnpakete einzeln offenlegen sollten. Doch das wollte Marcel Ospel nicht, und die Männer in der Konzernleitung wollten es erst recht nicht.
Wenig überraschend wollte es dann auch Böckli nicht. Er entwarf das neue Gesetz im Auftrag Blochers, das 2007 in Kraft trat. Die Einzeloffenlegung war – bis auf den Topverdiener in der Konzernleitung – verhindert. Das gab Ospel in dem Führungsgremium weitere Pluspunkte. Er musste weiterhin als einziger UBS-Vertreter sein Lohnpaket offenlegen, doch indem er sich als Projektionsfläche für den Volkszorn zur Verfügung stellte, konnten die anderen Bankmanager, von denen einige sogar mehr verdienten als er, weiter im Dunkeln ihre Millionenpakete beziehen.
Das lohnte sich besonders für den anderen Mann, dem er jetzt ein grosses Dankeschön für die erfolgreichen gemeinsamen Jahre darbrachte. Durch die fehlende Transparenz war nicht offensichtlich, wie viel Hans de Gier für seine Dienste als vollamtlicher Vizepräsident von Ospel bezog. Für den Holländer waren all diese Transparenzvorschriften und Auflagen der reinste Horror, und sie bestärkten ihn nur in seiner Auffassung, nicht in die Verwaltungsräte grosser Firmen einzutreten. Ihm reichte es dann nach drei Jahren auch schon wieder, und er schied 2004 aus. Er witterte eine andere Chance für ein Riesengeschäft.
Die UBS verfügte mit dem Banco di Lugano im Tessin, Ehinger & Armand von Ernst in Zürich und Ferrier Lullin in Genf über drei kleine Privatbanken, von denen sie nicht so recht wusste, was sie mit ihnen anfangen sollte. Dazu hatte sie sich 1999 auch eine Anlagefirma namens GAM gekauft, und dort war Hans de Gier Verwaltungsratspräsident. Die Firma wurde geleitet von einem anderen Ospel-Intimus, der nach dem LTCM-Debakel und üppigen Millionenzahlungen in jungen Jahren erst mal genug hatte von der Hochfinanz und in Kalifornien das Leben genoss: David Solo. Er hatte 2001 kurzzeitig die Leitung der Beteiligungssparte UBS Capital übernommen und war seit 2004 Chef von GAM.
Das alte Gespann aus Londoner Zeiten war hier wieder vereint, und jetzt plante es den grossen Coup: Warum nicht diese Firmen zusammenlegen und sie teuer verkaufen? Ospel und Wuffli willigten ein, und das mit einem netten Nebenaspekt: De Gier und Solo konnten sich an der neuen Firma beteiligen, die sie als Reminiszenz an die guten alten Zeiten «SBC Wealth Management» tauften.
Hier trafen sich jetzt all die Ospel-Vertrauten: der treue Georges Gagnebin, der ihn als oberster Privatbankier auch während des Swissair-Putsches gestützt hatte und jetzt de Giers Stellvertreter wurde, oder auch ein gewisser Jean-Marie de Charrière, der schon Ende der achtziger Jahre in Ospels Abteilung beim Bankverein gearbeitet hatte und von de Gier zum Chef der Genfer Ferrier Lullin gemacht wurde. Präsident des Verwaltungsrats des Banco di Lugano war Alberto Togni, der das Gegengutachten zu Arnolds Attacke verfasst hatte. Diese Führungskräfte sicherten sich im April 2004 fünf Prozent der Anteile von SBC Wealth Management.
Operativ gesehen gestaltete sich diese Zeit für die Banken jedoch zu einem Trauerspiel. Zwischen 2002 und 2004 flossen mehr als drei Milliarden Franken ab. Kein Wunder: De Gier dachte vor allem an den nächsten Deal. Eigentlich sollte die Firma an die Börse gebracht werden, doch dann nutzte er im Sommer 2005 geradezu genial die Schwäche der Privatbank Julius Bär. Dort war die Familie zerstritten, die Führung schwach und das Verlangen nach einem Neuanfang gross. De Gier schlug der Bank Bär vor, sich von ihr übernehmen zu lassen, allerdings zu seinen Bedingungen: Er bekam den Chefposten der neuen Julius Bär, David Solo wurde Chef der institutionellen Vermögensverwaltung.
Die UBS bezog 3,8 Milliarden Franken für ihr SBC Wealth Management sowie eine 21,5-Prozent-Beteiligung, die noch mal 1,8 Milliarden wert war. Schon das war ein sehr guter Preis: Die Bank Bär zahlte für 120 Milliarden Franken an verwalteten Vermögen – mehr als die Hälfte davon bei GAM – einen Preis von fast fünf Prozent dieser Summe, branchenüblich waren drei Prozent.
Doch das Beste war: Die Führungskräfte konnten ihre Beteiligung von fünf Prozent an SBC Wealth Management gegen einen Anteil von einem Prozent an der neu drittgrössten Privatbank der Schweiz eintauschen. Einzige Auflage war, dass sie das Aktienpaket 18 Monate hielten. Sie können es frühestens im Juni 2007 verkaufen.
Der Wert liegt heute bei etwa 150 Millionen Franken. Wie genau die Aufteilung läuft, ist noch nicht bekannt, doch offensichtlich ist, dass de Gier und Solo den grössten Anteil halten. Für sie liegen mindestens 20 bis 30 Millionen Franken drin. Doch auch für die anderen Ospel-Getreuen bleibt noch ein kräftiger Millionenregen.
Damit nicht genug: De Gier und Solo sind im Herzen Investment Banker, und so wollten sie auch bezahlt werden. Sie liessen die Löhne in der Geschäftsleitung in ihrem ersten Jahr um fast 140 Prozent erhöhen, die höchste Steigerung unter den hundert grössten Schweizer Firmen, und im zweiten Jahr 2006 noch einmal um 140 Prozent. De Giers Lohnpaket wird auf mindestens acht Millionen Franken geschätzt.
Es war eine Art Oscar für die Lebensleistung an seinen treuen Vertrauten und geschickten Berater. De Gier hatte sich scheiden lassen und sein Anwesen in Südafrika seiner langjährigen Frau überlassen. Jetzt war er neu liiert. Für einen solchen Deal kam der Mann, der eigentlich schon mit 53 Jahren in den Ruhestand gehen wollte, auch als 61-Jähriger gern von seinem englischen Landsitz zurück in die Schweizer Bankenmetropole. Immerhin konnte er sich jetzt regelmässig auch zum Mittagessen in der «Kronenhalle» mit seinem Freund Marcel treffen.
Auch de Giers neue Mitarbeiter bei der Bank Bär merkten schnell, dass ihr Chef grosse Stärken im Delegieren hatte. Arbeiten, das war schon immer seine Devise, müsse Spass machen und sich vor allem lohnen.
Mit dem Austritt de Giers aus dem Verwaltungsrat konnte Ospel zudem auch seinen anderen Helfer aus Putschzeiten bedienen: Stephan Haeringer. Dieser wurde jetzt vollamtlicher Vizepräsident des Verwaltungsrats, und der akribische Banker stellte für Ospel eine hervorragende Absicherung in allen Fragen der Vermögensverwaltung dar. Und für Risikofragen holte er als Nachfolger für Alberto Togni den Kreditspezialisten Marco Suter als zweiten vollamtlichen Vizepräsidenten. Der hatte sich bei der Swissair-Frage ebenfalls loyal zu ihm verhalten und sollte ihn jetzt vor allen Unbilden an den Finanzmärkten schützen. Das war fast eine Art Nebengeschäftsleitung. Sie hielt ihm den Rücken frei.
Der Schock nach dem Aufstand sass im Verwaltungsrat jedoch noch immer tief. Besonders die Angst vor der Übernahme durch die Angelsachsen war weiter vorhanden. Als Ospel das Präsidentenamt übernommen hatte, war die Internationalisierung eines seiner wichtigsten Ziele, denn noch immer war das aus den Vorgängerbanken zusammengestellte Team zu sehr mit Schweizern besetzt. Deswegen hatte Ospel ja den Engländer Peter Davies und den Amerikaner Lawrence Weinbach in das Gremium geholt.
Nach der Zerreissprobe im Herbst 2001 wurde kein einziger Vertreter aus England oder den USA mehr nominiert. Es kamen aus der Schweiz der Serono-Chef und Alinghi-Sieger Ernesto Bertarelli, der Finanzfachmann Peter Voser oder der SVP-Nationalrat und erfolgreiche Unternehmer Peter Spuhler, aus Deutschland Helmut Panke von BMW. Peter Davies schied im April 2007 aus und wurde durch den Fiat-Chef Sergio Marchionne ersetzt.
Selbst in der Konzernleitung verloren die selbstbewussten Amerikaner an Einfluss. Das zeigte sich besonders im Mai 2005: John Costas, der das Investment Banking erfolgreich geleitet hatte und besonders in den USA hohes Ansehen genoss, verliess seinen Posten. Als stellvertretenden Konzernchef ersetzte ihn der Schweizer Marcel Rohner, der zusätzlich noch die Leitung des kriselnden amerikanischen Privatkundengeschäfts der früheren PaineWebber übernahm. Ende 2006 ging dann auch der letzte hochrangige PaineWebber-Vertreter, der Amerikaner Mark Sutton, von Bord.
Marcel Ospel hatte die amerikanische Leistungskultur auf den maroden Bankverein übertragen, und das war der Schlüssel zu seinem Erfolg. Als er ganz oben war, brauchte er die Amerikaner nicht mehr.