Ist Google dafür gerüstet, Schweizer Bankdaten in der Cloud zu sichern?
Urs Hölzle: Ja. Das heisst, Google wird es Anfang 2019 sein, wenn die Cloud-Region in der Schweiz startet.

Der Start einer Schweizer Cloud-Region bedeutet, dass Schweizer Firmen ihre Daten künftig in einem Rechenzentrum in Zürich speichern können, wenn sie die Dienste von Google Cloud buchen. Welche Banken haben Sie bereits als Kunden gewonnen?
Namen werden wir zu gegebener Zeit kommunizieren. Aber die Schweizer Banken waren ein zentraler Grund, die Cloud-Region in der Schweiz zu starten.

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Abgesehen davon, dass der Finanzplatz in der Schweiz eine grosse Rolle spielt, warum sind Banken als Kunden so wichtig?
Das Bankgeschäft zählt zu den am stärksten regulierten Bereichen. Wenn Banken ihre Daten in die Cloud verlagern, hat das Signalwirkung für Unternehmen aus anderen Bereichen. Ein Grund, warum wir auch öffentlich unsere Projekte mit der britischen Grossbank HSBC benennen. Firmen aus anderen Bereichen können sehen: ’Wow, wenn das für Banken funktioniert, ist es wahrscheinlich auch für mich wert, das anzuschauen.’

Sie brauchen also Pionierfirmen, die sich in die Cloud trauen.
Wir haben auch originäre Tech-Firmen in der Cloud, Snapchat zum Beispiel, auch Apple hat öffentlich gemacht, dass sie Daten in in der Google Cloud speichern. Aber Firmen aus dieser Kategorie wissen bereits um die Möglichkeiten der Technologie. Uns geht es um die potenziellen Kunden, die keine Digital Natives sind und überzeugt werden wollen.

Ist es denn ein Vorteil für die hiesige Cloud-Region, dass die Schweiz nicht an die Datenschutzgrundverordnung der EU gebunden ist, die ja auch Google vor viele Herausforderungen stellt?
In der Praxis erwarte ich hier wenige Unterschiede. Im Exportland Schweiz sind die Firmen darauf angewiesen, die EU-Bestimmungen zu erfüllen. Das Problem mit der Datenschutzgrundverordnung liegt darin, dass die Anwendung in gewissen Bereichen nicht definiert ist. Der Unterschied zwischen einem konzeptionell klaren Grundsatz und der Anwendung in der Praxis ist gross. Es wird Jahre dauern, bis sich die genauen Linien abzeichnen. Wenn das einmal geklärt ist, wird das auch für Google ein Vorteil sein.

Googles Mitarbeiter Nr.7

Urs Hölzle ist nach den Gründern Larry Page und Sergey Brin der dienstälteste Mitarbeiter im Google-Konzern. Als Mitarbeiter Nummer sieben begann der Liestaler seine Karriere als Technologiechef. Zuvor studierte Hölzle Informatik an der ETH. Mit einem Fulbright-Stipendium des US State Departments konnte er für die Doktorarbeit zur Stanford University in Kalifornien wechseln. In seinen Vorlesungen sassen auch Larry Page und Sergey Brin. Später wechselte Hölzle als Professor an die Universität Santa Barbara. Just als er vom Lehrbetrieb genug hatte, machte ihn ein Student auf Page und Brin aufmerksam, die gerade dabei waren, Google zu gründen. Kurz darauf hatte er das Jobangebot. Heute, knapp 20 Jahre später, ist er als Senior Vice President Herr über die gesamte technische Infrastruktur des Konzerns mit 20 Rechenzentren, Zigtausenden Servern, unzähligen Patenten und sieben Anwendungen, die jeweils mehr als eine Milliarde Nutzer zählen.

Urs Hölzle
Quelle: Jos Schmid für BILANZ

Der Google-Standort in Zürich ist stark gewachsen. Wie viele der neuen Jobs enfallen auf die Cloud?
Gute Frage. Das Team für das Rechenzentrum selbst wird klein sein – zwei, drei Mitarbeiter.

Wird denn ein eigenes Rechenzentrum von Google in Zürich aufgebaut?
Wir haben an den meisten unserer Cloud-Standorte eigene Rechenzentren. In Europa ist das zum Beispiel in den Niederlanden, Belgien und Finnland der Fall. Manchmal greifen wir aber auf Drittanbieter zurück, wenn die Region zu klein ist. Das wird auch in der Schweiz so sein.

Wenn das Rechenzentrum wenige Google-Jobs schafft, wie hat der Standort Schweiz sonst von der Expansion der Cloud von Seiten Google in Europa profitiert? In Zürich sind in den vergangenen drei Jahren rund 1000 neue Mitarbeiter dazugekommen.
Zürich ist ein grosser Standort, was die sogenannte «Site Reliability» anbelangt. Ich weiss nicht, ob Ihnen das was sagt.

«Zürich und Warschau sind die wichtigsten Standorte für die interne Entwicklung der Cloud in Europa.»

Urs Hölzle

Erläutern Sie gerne.
Site Reliability Engineering (RSE) ist unser Ansatz, wie wir Systeme betreiben. Diese Mitarbeiter sind zuständig dafür, dass auch komplexe Software-Systeme mit grosser Zuverlässigkeit und geringen Ladezeiten laufen. Genau das also, was auch eine Cloud braucht. Mittlerweile konzentriert sich ein grosser Teil der RSE-Mitarbeiter auf die Cloud. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wie viele Mitarbeiter wir in Zürich für die Cloud angestellt haben, aber Zürich ist im Bereich RSE der grösste Standort ausserhalb der USA.

Also ist Zürich durch die Cloud-Expansion stark gewachsen?
Zürich und an zweiter Stelle Warschau, ja. Das sind die wichtigsten Standorte für die interne Entwicklung der Cloud in Europa.

Wird das Wachstum so weitergehen?
Wenn nicht, wäre das ein harsche Trendwende. Allerdings gibt es keinen Plan, Zürich in einem bestimmten Tempo auszubauen. Wir haben uns entschieden, den zweiten Standort an der Europallee dazuzunehmen und haben so potenziell Platz für 5000 Mitarbeiter.

Derzeit sind es 2500.
Aus 85 Ländern, genau. Es gibt aber keinen vordefinierten Plan für die nächsten drei bis fünf Jahre, welcher Bereich wie schnell wachsen soll. Solche Vorausplanungen funktionieren bei Google nicht, dafür ist die Entwicklung zu dynamisch.

Jetzt sagen Sie gerade, man muss mit Langzeit-Prognosen bei Google vorsichtig sein – Sie haben ja vor einigen Jahren selbst eine interessante Prognose aufgestellt. Sie haben 2015 gesagt, bis 2020 erzielt Google mehr Umsatz mit der Cloud als mit Werbung. Was ist Ihr Zwischenfazit im Jahr 2018?
Ich hoffe, dass es 2020 doppelt so viel sein wird (lacht).

Im vergangenen Quartal hat Google 23 Milliarden Dollar Umsatz mit Werbung erzielt. 4,4 Milliarden Dollar sind es in der Kategorie «Sonstiges», zu der auch das Cloud Business zählt.
Gut, bis 2020 den Werbeumsatz zu überholen, war vielleicht etwas optimistisch. Andererseits ist diese Sparte wahnsinnig gewachsen. Und was ich vor drei Jahren gesagt habe, trifft heute vom Grundsatz her noch genauso zu. Denn der potenzielle Markt im Cloud-Geschäft ist grösser als der Werbemarkt, man schätzt rund 1 Billion Dollar.

Was heisst das für Google?
Das heisst, wir müssen nicht 80 Prozent des Marktes erobern, um absolut mehr Umsatz mit Cloud-Diensten zu erzielen als mit Anzeigen. 10 Prozent von 1 Billion ergibt mehr Umsatz mit der Cloud wie mit Anzeigen heute. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sich Cloud-Dienste am Markt durchsetzen. Ich glaube aber, das ist nur eine Frage der Zeit.

Jetzt haben Sie gerade die Bedeutung des Cloud-Geschäftes beschrieben. Marktführer in der Sparte ist aber mit deutlichem Abstand Amazon mit Amazon Web Services (AWS). Wie gefällt Ihnen die Rolle von Google als Angreifer?
Och. (lacht). Es gibt ein bisschen mehr Freiheit. Klar, mit einem Nachahmer-Produkt können wir nicht auftreten. Ich bin aber optimistisch. Im Endeffekt funktioniert das genauso wie bei den Smartphones.

«2008 besassen 95 Prozent der Handynutzer noch kein Smartphone. In der gleichen Situation befinden wir uns heute mit der Cloud.»

Urs Hölzle

Inwiefern?
Als Google 2008 Android als Smartphone-Betriebssystem lanciert hat, bestand die Herausforderung nicht darin, iPhone-Nutzer in Android-Nutzer umzuwandeln. Sondern darin, Nokia-Nutzer in Android-Nutzer umzuwandeln. Zu der Zeit war Android Nummer drei am Markt, aber 95 Prozent der Handynutzer besassen auch noch kein Smartphone. In der gleichen Situation befinden wir uns heute mit der Cloud.

Das heisst?
Es gibt nur ganz wenige Marktteilnehmer, die den Sprung in die Cloud hinter sich haben – Firmen wie Spotify zum Beispiel oder Netflix. Das ist eine ganz kleine Minderheit. Alle reden über sie, kaum jemand ist wie sie. Studien bestätigen, dass bisher weniger als 10 Prozent der Arbeitsprozesse effektiv in die Cloud verlagert wurden. Es geht für uns also nicht darum, dass wir Amazon-Kunden abspenstig machen und sie überzeugen, in die Google Cloud umzuziehen. Unser Markt sind diejenigen, die noch auf keiner Cloud sind.

Das Cloud-Geschäft

Amazon dominiert das globale Cloud-Geschäft. Die Tochter Amazon Web Services ist sogar in Asien die Nummer eins, wo sonst kein Rennen gegen Alibaba zu gewinnen ist. Google stieg Jahre nach Amazon ins Cloud-Geschäft ein, investiert aber stark, seit 2015 33,8 Milliarden Dollar. An IBM vorbei hat sich Google auf Platz drei vorgearbeitet, Platz zwei hält Microsoft.

Die Amazon-Konkurrenten setzen auf offene Systeme im Wettbewerb gegen den Marktführer. Google bietet Open-Source-Lösungen an. IBM hat diese Woche einen Multi-cloud Manager präsentiert, der Unternehmen das Kombinieren von mehreren Clouds ermöglicht. Laut Gartner wird der Cloud-Markt bis 2021 auf 278 Milliarden Dollar Umsatz wachsen. Dies wäre ein Plus von 59 Prozent zu 2017.

Cloud-Dienste sind eine sehr technische Angelegenheit, wie will sich Google von Amazon unterscheiden?
Unser Ansatz ist viel freundlicher für den Benutzer, weil wir auf Open Source setzen. Wir setzen auf Tools wie Kubernetes und neu Istio, die dem Anwender die Freiheit geben, seine Daten solange auf seinen Servern zu verwalten, wie er möchte – wir helfen ihm sogar dabei. Und wenn er dann bereit ist für die Cloud, kann er diese immer noch frei wählen. Wir glauben, dass das mehr Erfolg verspricht als zu versuchen, den Nutzer in einer Cloud zu halten.

Birgt ein kooperativer Ansatz auch gewisse Risiken? Sie hatten jetzt gerade das Problem, dass bei Google Plus App-Entwickler auf Kundendaten zugreifen konnten. Haben Sie dazu auch Reaktionen von Cloud-Kunden?
Diese Probleme sind im Konsumentenbereich aufgetreten, also für private Nutzer von Google Plus. Wenn Sie Google Plus als Unternehmen verwendet haben, konnten Sie die Zugriffsrechte für App-Entwickler seit jeher bestimmen. Jetzt verschärfen wir die Regeln für den Konsumentenbereich, gleichen sie sozusagen dem Unternehmensbereich an.

Das heisst, die Sorge um die Sicherheit ist im Unternehmensbereich geringer?
Diese Sorge besteht immer. Aber der Bereich für private Nutzer kann nicht auf die gleiche Weise reglementiert werden, wie wenn Firmen Anwendungen wie Google Plus, die Büroprogramme der G Suite oder Clouddienste nutzen. Diese müssen Sie als Unternehmen stets verwalten können. Wir haben uns jetzt entschlossen, auch im Bereich für Privatnutzer gewisse Einschränkungen vorzunehmen, zum Beispiel den GMail-Zugriff für Entwickler zu blockieren.

Sie sagten zuvor, Google Cloud sei bereit für den Bankensektor. Gibt es denn auch Branchen, für die Sie Google weniger bereit sehen? In der Schweiz wäre ja neben den Banken auch die komplexe Pharmabranche interessant.
Dort verzeichnen wir erste Erfolge. Roche zum Beispiel verwendet die G Suite, zu der Gmail, Google Docs, Drive und der Kalender gehören. Schlussendlich ist der Markt dort, wo heute die grossen IT-Betreiber sind. In der Schweiz sind das die Bereiche Pharma, Chemie, Banken, Versicherungen, Firmen der öffentlichen Hand und vielleicht noch Industrie mit ABB, zum Beispiel. Die Banken bilden aber die grösste Herausforderung: hoch reguliert und der Regulator hat noch nicht genau festgelegt, wie das mit der Cloud laufen soll. In Grossbritannien sind wir hier schon weiter, mit HSBC haben wir bereits Applikationen in der Anwendung.