Die US-Präsidentschaftswahlen haben einem Reizthema zu neuer Aktualität verholfen: Preisexzesse bei Medikamenten eigenen sich hervorragend zur Profilierung. Den Kampf gegen den «Wucher» im Arzneimittelsektor schrieb sich die demokratische Kandidatin Hillary Clinton bereits vor mehr als einem Jahr auf die Fahnen. Auch ihr republikanischer Gegenspieler Donald Trump griff das Thema auf.

Die Branche muss nun umdenken und sucht bei der Preisgestaltung neue Ansätze. «Der alte Weg, die Preise unserer Medikamente auf Basis von Ampullen oder Milligramm festzulegen, ist im aktuellen Umfeld wirklich nicht mehr passend. Wir brauchen flexiblere Lösungen», sagt etwa Jens Grüger, Head of Global Pricing & Market Access beim Pharmariesen Roche.

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Preise in den USA kaum Grenzen gesetzt

Bislang sind den Pharmakonzernen bei dem, was sie für ihre Medikamente verlangen, in den USA kaum Grenzen gesetzt. Das führte zum Teil zu astronomisch hohen Preisen und regelrechten Eklats - etwa als bekannt wurde, mit welchem Aufschlag das Medikament EpiPen zur Behandlung allergischer Schocks von Mylan verkauft wurde, oder das Mittel Daraprim gegen Toxoplasmose von Turing Pharmaceuticals.

Schuldengeplagte Regierungen, Krankenkassen und Patienten hinterfragen die Preispraxis Pharmakonzerne schon länger. Die Gesundheitssysteme stossen an ihre Grenzen, auch weil die Therapien immer komplexer werden. Vor allem in der ohnehin schon teuren Krebsbehandlung kommen oft zwei oder mehr Medikamente gleichzeitig zum Einsatz.

30 Prozent oder mehr bleibt vom Umsatz übrig

Egal wer als Präsident ins Weisse Haus einzieht - der Pharmabranche wird bei der Preisgestaltung künftig mehr auf die Finger geschaut werden. Schärfere Regeln dürften die Erlöse der Branche aber weniger üppig sprudeln lassen.

Die USA ist der mit Abstand wichtigste Markt für die eine Billionen Dollar schwere Industrie - sie erzielt dort 40 Prozent ihrer Umsätze. Und die Konzerne verdienen gut, im operativen Geschäft bleiben schnell einmal 30 Prozent oder mehr vom Umsatz übrig. Das verträgt sich nur schwer mit dem Argument, hohe Preise seien nötig, um die teure Forschung zu finanzieren und Reserven für Fehlschläge vorzuhalten.

Auf die Wirkung kommt es an

Die Pharmabranche muss sich also umstellen, neue Konzepte zur Preisfindung und -rechtfertigung entwickeln. «Innovation betrifft nicht nur das Produkt. Innovation ist auch, wie wir unser Geschäftsmodell konzipieren, insbesondere die Preisgestaltung», erläutert Roche-Manager Grüger. Als einen Weg beschreibt er die Idee der wertbasierten Preisfestlegung: «Grundsätzlich bedeutet das: Wenn sie keinen zusätzlichen Vorteil für den Patienten nachweisen können, sollten sie keinen Aufpreis für das Medikament verlangen.»

Novartis-Chef Joseph Jimenez sieht darin auch Chancen: «Ich glaube, dass die Preisgestaltung in den USA schwieriger wird», sagte er jüngst. «Ich glaube aber auch, dass die USA ein Ort sind, an dem Innovation belohnt wird.» Anbieter erstklassiger Arzneien würden gut zurechtkommen. Allen anderen drohe, dass sie in den kommenden drei bis fünf Jahren abgestraft würden wie nie zuvor. Jimenez erwartet daher, dass es in der Branche zu einem Umdenken kommt und die Forschung stärker darauf ausrichtet wird, Therapiedurchbrüche zu erzielen statt Medikamente schrittweise zu verbessern.

Handfeste Belege über Wirkung erforderlich

Gefragt sind also Arzneien, die das Leben der Patienten merklich verlängern, ihnen eine bessere Lebensqualität, ein normales Leben oder eine schnellere Rückkehr in den Alltag versprechen. Das führt rasch zur Frage des Wirkungsnachweises.

Gute klinische Daten alleine werden in Zukunft wohl kein Garant mehr dafür sein, dass für Medikamente viel Geld verlangt werden kann. Viel mehr werden handfeste Belege dafür erforderlich sein, was die Mittel den Patienten im Alltag wirklich bringen. Abhängig davon, werden sie dann mehr oder weniger kosten.

Erfolgsbasierte Preismodelle

Beispiele für erfolgsbasierte Preismodelle gibt es bereits. In Italien etwa zahlen die Kassen für das Roche-Mittel Avastin unterschiedlich, abhängig davon, gegen welche Krebsart das Präparat eingesetzt wird und wie gut es wirkt.

Novartis hat mit mehreren Krankenversicherungen in den USA eine Vereinbarung für sein neues Herzmedikament Entresto abgeschlossen, die die Höhe der Zahlung daran knüpft, wie viele Patienten wegen Herzversagen ins Spital müssen. «Die Latte für diesen Nachweis ist in den letzten Jahren höher gelegt worden», sagte Roche-Experte Grüger.

Fehlende Daten

Derzeit stossen diese Ansätze aber noch rasch an Grenzen. Oft sind die für eine Bewertung nötigen Daten nicht verfügbar oder nur schwer zugänglich. Doch die Firmen rüsten in dieser Hinsicht auf.

Roche ist Anfang dieses Jahres bei Flatiron Health eingestiegen, einer in New York ansässigen Firma, die auf die elektronische Dokumentation von Krebsdaten in den USA spezialisiert ist. «Big Data kann Einblick bringen, wenn das effektiv genützt wird», sagt Hilary Thomas, Chief Medical Advisor beim Beratungsunternehmen KPMG. «Die Branche muss diese Daten erfassen, um die Wirkung ihrer Medikamente in der echten Welt zu belegen.»

Die Pharmariesen vertrauen allerdings nicht alleine auf gute Wirkung und innovative Preismodelle, um ihre gewinnbringenden Medikamente zu schützen. In den letzten zehn Jahren gab die Branche 2,3 Milliarden Dollar für Lobbyarbeit im US-Kongress aus.

(reuters/ccr)