Bei Volkswagen herrscht eine trügerische Ruhe: Betriebsratschef Bernd Osterloh und VW-Markenchef Herbert Diess haben zwar ihren Streit über den Umbau der schwächelnden Marke öffentlich beigelegt. Doch Kenner bezweifeln, dass der Frieden von Wolfsburg von Dauer ist. «Es wird weitere Reibungspunkte geben», prophezeit ein hochrangiger Manager.

Bei dem Plan, mit Kostensenkungen die Rendite der Kernmarke zu steigern, fordert Diess ein hohes Tempo und rüttelt dabei am Machtanspruch der IG Metall und des Betriebsrats. Ob er sich damit durchsetzen kann, steht allerdings in den Sternen. Er hat zwar die Rückendeckung der Eignerfamilien Porsche und Piech und des Konzernvorstands. Die Mehrheit der Stimmen im Aufsichtsrat haben jedoch die Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Land Niedersachsen.

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Arbeitnehmerrechte haben starke Stellung

Diess rührt an einen empfindlichen Nerv des Wolfsburger Konzerns, wenn er den Einfluss des Betriebsrat zurückdrängen will. Denn bei Volkswagen haben die Arbeitnehmerrechte historisch eine besonders starke Stellung. Schon früher hatten sich Manager die Zähne daran ausgebissen. Ein prominentes Opfer war einst Diess' Vorvorgänger Wolfgang Bernhard. Der musste vor zehn Jahren seinen Hut nehmen, weil er mit Produktionsverlagerungen drohte.

Um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, schloss Diess Frieden mit Osterloh. Er sagte zu, beim Abbau der Leiharbeiter nicht so schnell vorzugehen, wie er anfangs geplant hatte - und beugte sich damit den Forderungen der Arbeitnehmervertretung. «Mir ist klar, dass auch ich mit meinen Äusserungen zu IG Metall und Betriebsrat manche Irritationen ausgelöst habe. Das bedauere ich.» Die Mitbestimmung bei Volkswagen sei ein «Grundpfeiler des Unternehmens», sagte der Manager in einem Doppelinterview mit Osterloh der VW-Mitarbeiterzeitung. Der Betriebsratschef erklärte im Gegenzug die Unstimmigkeiten für beendet: «Wir hatten eher ein Gewitter als einen Platzregen.» Beides führe bekanntlich zu einer Verbesserung des Klimas. Osterloh wollte damit auch klar machen, wer in Wolfsburg das Sagen hat.

Zentrale Führung wurde abgeschafft

Investoren monieren schon länger die Dominanz des VW-Betriebsrats. «Niedersachsen und die Gewerkschaften müssen anerkennen, dass ein erfolgreiches Automobilunternehmen auf Dauer nicht mit Renditen von zwei Prozent überleben kann», sagte Ben Walker, Partner des Hedgefonds TCI, vor einem Jahr. Das Land ist mit 20 Prozent der Stimmrechte zweitgrösster Aktionär nach der Familienholding Porsche SE und kann aufgrund seiner Sonderstellung wichtige Entscheidungen blockieren. Zusammen stellen Arbeitnehmer und Niedersachsen zwölf der 20 Mitglieder im Aufsichtsrat.

VW-Kritiker wie TCI und der Investmentberater Evercore ISI werfen dem früheren Management um Konzernchef Martin Winterkorn vor, es sei zu sehr den Wünschen der Gewerkschaft gefolgt und habe sich damit zulasten der Anleger Ruhe im Unternehmen erkauft. Seit dem Dieselskandal ist in Wolfsburg jedoch nichts mehr wie früher. Konzernchef Matthias Müller hat die zentrale Führung des Konzerns abgeschafft und gibt den einzelnen Marken und Regionen mehr Entscheidungsspielraum.

Die Säulen der Macht

Betriebsrat und IG Metall können sich auch nicht mehr darauf verlassen, dass die Familien Porsche und Piech in jedem Fall hinter ihnen stehen, weil sich Volkswagen stärker den Forderungen des Kapitalmarkts öffnet. VW-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche machte dies jüngst am Rande des Genfer Autosalons deutlich, als er Diess demonstrativ den Rücken stärkte. Dieser mache eine exzellente Arbeit. «Ich bin sicher, dass Herr Diess mehr Gespür bekommt, wie die Dinge mit den Arbeitnehmern umzusetzen sind», formulierte er. Zugleich machte Porsche klar, dass der Vorstand das Unternehmen führen müsse und nicht der Betriebsrat. «Es muss ein bisschen mehr Gleichgewicht sein.»

Das wäre ein Novum. Denn unter dem Firmenpatriarchen Ferdinand Piech, der den Konzern geprägt hat wie kein anderer, ruhte die Herrschaft auf ihm als Aufsichsratschef, seinem Ziehsohn Winterkorn und dem Betriebsrat. Von diesen drei Säulen existiert heute nur noch eine. Weiter ändern dürften sich die Verhältnisse, wenn Piech wie angekündigt seine Anteile an der Familienholding Porsche SE verkauft, die die Mehrheit an Volkswagen hält. Dann wären alle Bande zum «Alten» gekappt.

Weniger Stellen, mehr Ertragskraft

Müller, der das Unternehmen seit Winterkorns Ausscheiden Ende September 2015 führt, versucht zwischen den Fronten zu vermitteln. Er soll wesentlich dazu beigetragen haben, dass der «Zukunftspakt» zwischen Betriebsrat und Vorstand im November überhaupt zustande kam. Mit diesem Plan sollen in den nächsten Jahren Tausende Stellen abgebaut, die Ertragskraft gesteigert und die Marke VW für die Elektromobilität und die Digitalisierung fitgemacht werden. Als der Streit zwischen Diess und Osterloh unlängst erneut aufflammte, kritisierte Müller in einem Brief an die Mitarbeiter scharf, dass interne Konflikte öffentlich über die Medien ausgetragen wurden.

Die Macht des Betriebsrats, der in grossen Teilen aus Mitgliedern der IG Metall besteht, kommt nicht von ungefähr: Mehr als 90 Prozent der Beschäftigten in den deutschen VW-Werken gehören der Gewerkschaft an. Für den Betriebsrat hat der Konflikt mit Diess daher auch eine grundsätzliche Bedeutung. «Wenn er gewonnen hätte, wären die Leiharbeiter jetzt weg. Dann wäre das Unternehmen faktisch ein anderes.»

(reuters/ccr)

Sehen Sie in der Bildergalerie, welche neuen Ideen VW am Autosalon in Genf präsentiert hat: