Mit Ihrem Schnäppchenportal DeinDeal waren Sie in der Schweiz jahrelang erfolgreich im E-Commerce tätig, ehe Sie es 2015 an Ringier verkauft haben. Mit Ihrem neuen Berliner Unternehmen Merantix liegt Ihr Schwerpunkt nun auf Künstlicher Intelligenz (KI), ein Bereich, in dem Sie zuvor keinerlei Erfahrungen hatten. Ist das nicht sehr riskant?
Als Unternehmer geht man jeden Tag Risiken ein. Zudem liegen Risiken immer im Auge des Betrachters und die waren für mich zu dem Zeitpunkt überschaubar. Ausserdem stehen den Risiken ja immer auch Chancen gegenüber und diese sind aus meiner Sicht im Bereich KI sehr gross.

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Überschaubare Risiken? Sie haben ein neues Unternehmen gegründet in einem Markt, von dem Sie vorher keine Ahnung hatten, dazu noch in einem fremden Land. In meinen Augen ist das Risiko enorm.
Für Aussenstehende mag das so wirken. Ich konnte die Risiken einschätzen, denn ich baue seit mittlerweile 18 Jahren Softwareunternehmen auf. Die erste Softwarefirma habe ich im zweiten Semester meines Studiums gegründet, seither sind sieben Unternehmen dazu gekommen – manche waren erfolgreich, manche nicht. Im Kern habe ich mich also schon immer im Bereich Software bewegt. 

Wie kamen Sie auf die Idee?
KI hat mich sehr stark interessiert. Nach dem Verkauf von DeinDeal 2015 habe ich eine Zeit lang im Silicon Valley gelebt und mich nach neuen Themen umgeschaut. Dabei bin ich auf KI und Machine Learning gestossen und habe gemerkt, dass das eigentlich alle die Punkte trifft, die mir wichtig sind. Es ist eine Technologie, die die Welt verändern wird, mich sehr fasziniert und ich gleichzeitig sowohl sehr viel Neues Lernen kann, jedoch mit meinem Hintergrund und meinen Erfahrungen auch viel einbringen kann.

Welche Punkte waren Ihnen wichtig?
Mir war es ein grosses Anliegen, meine Zeit in ein Thema zu investieren, welches aus meiner Sicht für die Menschheit ganz zentral ist.

Das klingt aber sehr pathetisch.
Ist aber tatsächlich so gemeint. Als Vater von zwei Kindern möchte ich die Zeit welche ich nicht mit ihnen verbringe, für etwas aufwenden, was uns weiterbringt.

Und das trifft auf KI zu?
Ja, es ist eine Technologie, die komplette Branchen und Märkte verändern wird, ähnlich wie das Internet vor 20 Jahren. Und man kann Sie – wenn man es richtig macht – sehr sinnvoll einsetzen und für etwas Gutes nutzen. Das war für mich der Haupttreiber.

Serial Entrepreneur

«Ich habe schon als Kind gerne Dinge zusammengebaut. Zuerst aus Holz, dann aus Elektronikteilen. Und schliesslich habe ich Software entwickelt», erzählt Adrian Locher. Seit seinem 14. Lebensjahr gründet der 37-Jährige Unternehmen. Den Durchbruch schaffte der HSG-Absolvent mit dem Schnäppchenportal DeinDeal, das er 2015 an Ringier verkaufte. «Den Erfolg zu sehen, war sehr befriedigend. Doch es reizte mich, etwas zu machen, was einen grösseren Einfluss auf die Menschheit hat.» Also schuf er 2016 Merantix, mit dem er Start-ups aufbaut, deren Geschäftsmodell auf künstlicher Intelligenz basiert.

Geben Sie mir ein Beispiel: Wie wollen Sie bei Merantix mit Hilfe von KI Gutes schaffen?
Merantix baut Unternehmen auf, welche KI als Kerntechnologie einsetzen. Dafür vereinen wir ein internationales Team von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Unternehmern. Aktuell bauen wir drei Unternehmen in den Bereichen Medizin, Automotive und Industrie auf. Bei unserem Medtech-Unternehmen geht es beispielsweise um die Befundung von Brustkrebs. Die Technologie unterstützt den Arzt bei der Untersuchung, indem es die einfachen Fälle automatisch befundet und aussortiert und damit dem Arzt ermöglicht, mehr Zeit auf die Befundung von komplexen Fällen einzusetzen. Dafür wird das System mit einem riesigen Datensatz von Patientendaten trainiert, aktuell etwas über eine Million. So lernt der Algorithmus wie er gesundes und krankes Gewebe voneinander unterscheidet und erkennt Gewebeveränderungen deutlich besser und schneller als ein Arzt. Das System gleicht Biopsien immer wieder mit Bildern und Befunden ab und lernt dabei, Tag und Nacht, an sieben Tagen pro Woche.

Die Maschine kennt demnach deutlich mehr Patientenfälle, als ein Arzt in seinem ganzen Berufsleben je zu sehen bekommt.
Richtig.

Heisst das, irgendwann brauchen wir gar keinen Arzt mehr?
In bestimmten Bereichen wie der Diagnostik, die auf bildgebenden Verfahren basiert, wird die Maschine den Arzt ersetzen. Überall, wo bildgebende Diagnostik eingesetzt wird, gibt es Potenzial für solche Lösungen.

Wir stehen gerade erst am Anfang was die Entwicklung und den Einsatz von KI-Technologien angeht. Müssen wir uns also Sorgen machen, dass KI uns in Zukunft alle arbeitslos machen wird?
Die Jobs werden sich mit KI verändern, aber KI wird uns als Arbeitskraft nicht überflüssig machen. Vergleichbare Ängste gab es in jeder Umbruchsphase, so auch schon in der Zeit der industriellen Revolution. Auch damals schon wurden Szenarien von Massenarbeitslosigkeit und Armut von grossen Bevölkerungsteilen vorausgesagt. All diese Szenarien sind jedoch nie eingetreten, im Gegenteil, der Wohlstand einer ganz breiten Bevölkerungsschicht ist deutlich gestiegen und die Arbeitswoche von heute hat im Vergleich 40 und nicht mehr 80 Stunden. Und so wird es mit KI auch sein.

Bloss: Mit ihrem Nutzen bringt KI auch die Herausforderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit sich.
Absolut. Man muss sich auch mit der moralisch-ethischen Dimension dieser disruptiven Technologie auseinandersetzen. Was kann, was soll, was darf KI? Diese Fragen polarisieren die Gesellschaft. Die einen fühlen sich von KI bedroht, die anderen sehen KI als Heilsbringer. Feststeht: Der Mensch trägt die Verantwortung und nicht der Roboter oder das Softwaresystem. Unternehmen müssen bei der Entwicklung von KI-Anwendungen Verantwortung übernehmen.

Trotzdem fühlen sich einige Menschen von einer maschinellen Superintelligenz bedroht.
Das eingängige Bild einer Technologie, die uns entgleitet, halte ich für stark überzogen. Wir schaffen eine neue Technologie und erhöhen damit gleichzeitig auch unsere Fähigkeiten damit umzugehen. Ich sehe aktuell keinen logischen Grund, warum KI das erste Mal in der Geschichte sein sollte, wo das anders ist. Die erste Superintelligenz werden wir Menschen sein, augmentiert durch maschinelle Intelligenz.

«Vergleichbare Ängste gab es in jeder Umbruchsphase. All diese Szenarien sind jedoch nie eingetreten, im Gegenteil.»

Zurück zu Merantix: Wie profitabel ist eigentlich Ihr Unternehmen?
Unser Umsatz ist siebenstellig, doch noch machen wir Verluste. Denn alle unsere Unternehmen sind noch in der Aufbauphase, entsprechend brauchen wir für das Wachstum mehr Geld als wir einnehmen.

Woher nehmen Sie das Geld?
Wir haben letztes Jahr 10 Millionen Dollar von privaten Investoren aus der Schweiz, Deutschland, USA und China eingesammelt.

Ihr Geld aus dem DeinDeal-Verkauf wollten Sie nicht einschiessen? Sie sollen ja ganz gut verdient haben...
Ich habe die ersten zwei Jahre von Merantix finanziert. Für die nächste Wachstumsstufe hätten meine eigenen finanziellen Mittel nicht ausgereicht, um das Unternehmen optimal aufzubauen.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Wir wollen innerhalb von zehn Jahren zehn Unternehmen aufbauen. Wir liegen also auf Kurs.

DeinDeal wuchs damals in kürzester Zeit vom Start-up zur Millionenfirma. Es war eines der am schnellsten wachsenden Start-up der Schweizer Geschichte. Es muss auch eine sehr stressige Zeit gewesen sein, mit viel Arbeit und wenig Schlaf. Ist das bei Merantix nun anders?
Im Vergleich zu DeinDeal wächst Merantix deutlich langsamer. Aber beide Unternehmen sind auch grundverschieden und lassen sich diesbezüglich nur schwer miteinander vergleichen. DeinDeal war im Verbrauchermarkt tätig, wo es darum geht, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Kunden zu gewinnen. Jeder Tag war ein neuer Geschäftstag, an dem wir andauernd Angebote und Webseite optimiert haben, um möglichst viel Absatz und Umsatz zu generieren. Es war ein sehr operatives Geschäft. Merantix hingegen ist im B-to-B-Bereich tätig und viel forschungsintensiver. Um KI aus der Spitzenforschung in den Markt zu bringen, müssen wir erstmal viel Zeit in die Forschung und Entwicklung sowie in den Product Market Fit investieren, um komplexe Probleme lösen zu können.

Haben Sie etwas aus Ihrer DeinDeal-Zeit gelernt, was Sie nun auf Merantix anwenden konnten?
Sehr viel. Zum Beispiel, dass der wichtigste Erfolgsfaktor ein gutes Team ist, das harmoniert und perfekt zusammenarbeitet. Dadurch entsteht die richtige Kultur. Was auch wichtig ist, ist eine hohe Fehlertoleranz: Ich habe gelernt, Fehler zuzulassen, Entscheidungen einfach mal zu treffen, und Fehler in Kauf zu nehmen. Das ist generell eine Kultur, die in einem Startup extrem wichtig ist. Weil jeder noch so sauber vorbereitete Plan immer sehr viele Unsicherheitsfaktoren hat und man Gewissheit erst dann hat, wenn man es in die Praxis umsetzt.

Hat sich denn der Schritt bezahlt gemacht, Merantix in Berlin und nicht in Zürich zu gründen?
Absolut.

«Die 25- bis 30-Jährigen aus San Francisco oder europäischen Metropolen lassen sich viel leichter nach Berlin als nach Zürich locken.»

Warum?
Wir rekrutieren viel in den USA und quer durch Europa, und die 25- bis 30-Jährigen aus San Francisco oder europäischen Metropolen lassen sich viel leichter nach Berlin locken, sind für Berlin mehr zu begeistern, weil es einfach ein dynamischeres Umfeld bietet – und es ist günstiger als Zürich.

Dafür verdient man in Zürich auch besser, die Saläre sind höher – ebenso wie die Lebensqualität.
Das stimmt. Doch niedrige Lebenshaltungskosten sind gerade für Gründer zu Beginn entscheidend. Wenn man höhere Saläre zahlen muss, hat man eine kürzere Runrate, sprich das Geld was man einsammelt, reicht dann weniger lang, wenn man höhere Gehaltskosten hat. Davon abgesehen ist der administrative Akt in Zürich viel aufwendiger.

Inwiefern?
Damals bei DeinDeal hatten wir immer grosse Probleme, wenn wir Softwareentwickler einstellen wollten, die von ausserhalb der EU kamen. Das Problem waren die vom Bundesrat festgelegten Kontignente. Das haben wir hier in Berlin nicht. Hier bekommen wir Arbeitserlaubnisse innerhalb von wenigen Wochen.

Ist Zürich als Start-up-Hub denn konkurrenzfähig?
Ja, das glaube ich schon. Die Schweiz hat hervorragende universitäre Einrichtungen, die auf ihren Gebieten führend sind und Spitzenforschung betreiben. Davon profitieren gerade Unternehmen, die stark im Bereich Forschung und Entwicklung tätig sind und ihre Produkte und Services in den Weltmarkt exportieren. Für sie ist die Schweiz schon ein sehr attraktiver Standort.

Trotzdem entstehen hierzulande bislang keine Startups, die wie Facebook und Co. die Welt verändern.
Solche Unternehmen gibt es in der Schweiz durchaus, nur sind sie meist eher im B2B-Bereich tätig und somit der Öffentlichkeit nicht so bekannt, wie vielleicht ein Unternehmen aus dem B2C-Bereich. Wegen des kleinen Marktes haben Consumer-Unternehmen in der Schweiz zudem einen strategischen Nachteil gegenüber anderen Unternehmen. In einem 300-Millionen-Einwohner Markt wie den USA wächst ein Unternehmen deutlich schneller in absoluten Zahlen, entsprechend hat es bessere Möglichkeiten mehr Geld einzusammeln und seinen Vorsprung so weiter auszubauen.

Fehlt hierzulande auch etwas die Wagniskultur?
Nein, diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren viel getan.

Betrachtet man die Anzahl Ihrer Unternehmen, die Sie bereits gegründet haben, scheinen Sie nie risikoscheu gewesen zu sein. Arbeiten Sie bei Ihren Unternehmen eigentlich stets auf einen Exit hin?
Eigentlich nicht. Merantix haben wir beispielsweise nicht konzipiert, um es schnell wieder verkaufen zu können. Wir bauen damit Firmen auf, die langfristig eigenständig am Markt auftreten sollen.

Sie sagten mal, dass Sie den Aufbau von Unternehmen lieben, sobald aber alles läuft, es Ihnen schnell langweilig wird.
Ja, das stimmt. Deswegen habe ich mit Merantix jetzt auch das perfekte Setup gefunden: Ich kann immer wieder von vorne anfangen und neue Unternehmen aufbauen.