Als der Abgasskandal im vergangenen Herbst über Volkswagen hinwegrollte, machte Wolfgang Porsche - Oberhaupt des Klans, der den Autokonzern kontrolliert - das, was er jeden Herbst macht. Er begab sich auf die Jagd in der Nähe des österreichischen Bauernhofs, auf dem er seine Kindheit verbrachte. Porsche wanderte oberhalb des blauen Wassers des Zeller Sees und speiste im Luxushotel Schloss Prielau.

Von der Abgabe eines klaren Standpunkts sah er allerdings ab, als der Autohersteller, bei dessen Gründung sein Grossvater mitgeholfen hatte, in der Krise versank.

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Grösste Verlust der Geschichte

Im September gab Volkswagen den Einbau einer Software in 11 Millionen Diesel-Fahrzeugen zu, mit der Abgastester hinters Licht geführt werden sollten. Die Offenbarung kostete den Vorstandschef seinen Job, während sie beim Top-Management für Durcheinander sorgte.

Die Krise hat den Aktienkurs von Volkswagen um mehr als 20 Prozent in den Keller geschickt und das Vermögen der Familie um 2 Milliarden Dollar (rund 1,9 Milliarden Franken) einbrechen lassen. Vergangenen Freitag wies das Unternehmen den grössten Verlust seiner Geschichte aus. Zudem wurden die Rückstellungen für die Abdeckung der Kosten aus dem Abgasskandal auf 16,2 Milliarden Euro (17,8 Milliarden Franken) mehr als verdoppelt.

Machtvakuum ist die Folge

Trotz einem der besten Namen in der Autobranche war die Familie, die 52 Prozent der VW-Stimmrechte über die Automobil Holding SE kontrolliert, für eine Herausforderung wie den Abgasskandal nicht vorbereitet.

Gebunden an eine Tradition von Konsens und Diskretion, sind die Familienmitglieder in der Abgaskrise nahezu stumm geblieben. Das hat zu einem Machtvakuum geführt - obwohl VW möglicherweise vor Kosten von mehr als 30 Milliarden Dollar steht und die Rufschädigung jahrelang auf Absatz und Gewinne drücken könnten.

«Niemand verfällt hier in Krisenpanik»

Porsche, 72, hatte sich monatelang fast gar nicht öffentlich zu dem Fall geäussert, bis Gewerkschaften ein Signal zum Bekenntnis an das Unternehmen verlangten. Am 2. Dezember reiste das Mitglied des VW-Aufsichtsrats nach Wolfsburg, wo er zu 20'000 Mitarbeitern sprach. Er sicherte zu, Arbeitsplätze erhalten zu wollen, und stärkte dem Management den Rücken. Zum Abgasskandal direkt äusserte er sich aber kaum.

«Niemand verfällt hier in Krisenpanik», sagte Porsche gegenüber den Mitarbeitern. «Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Volkswagen die Lage meistern wird und sogar noch kraftvoller aus der Krise herauskommen kann.»

Familienklan aus 80 Personen

Zwar hat die Familie die Stimmrechte, um Veränderungen bei VW durchzudrücken, doch bisher hat sie diese nicht genutzt. Der Klan umfasst etwa 80 Personen mit diversen Interessen und Karrieren, von Medizin über Film bis E-Commerce. Die führenden Patriarchen des Klans, inzwischen über 70 Jahre alt, sind nur langsam dabei, die Macht an ihre Kinder abzugeben - zumal nur wenige aus der Nachwuchsriege ein Interesse am Autogeschäft gezeigt haben.

«Wir sind nicht zufrieden damit, wie der Skandal gehandhabt wird», sagte Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment. Der Firma gehören fast ein Prozent der VW-Aktien. «Der Aufsichtsrat leistet keine gute Arbeit.»

Offensiver Betriebsrat

Angesichts der indirekten Abwesenheit der Familie wurde die Lücke im Konzern durch die ohnehin schon mächtigen Gewerkschaften gefüllt. Seit dem Beginn der Krise ist Betriebsratschef Bernd Osterloh in die Offensive gegangen - mit einer Botschaft für das Management: Dies ist eure Unordnung, und die Mitarbeiter werden dafür nicht zahlen.

Als er nach einem Familien-Oberhaupt der nächsten Generation gefragt wurde, nannte Wolfgang Porsche seinen 38 Jahre alten Neffen Mark Philipp Porsche. Er sitzt in den Aufsichtsräten von MAN und Seat. Einen Kommentar wollte er nicht abgeben.

Grössere VW-Rolle für Peter Daniell Porsche

Jemand, der sich um eine grössere Rolle bei VW bemüht, ist wohl Peter Daniell Porsche. Sein Vater Hans Peter Porsche, 76, will nach eigenen Angaben seinen Aufsichtsratssitz in der Familien-Holding bis 2020 an Peter Daniell abtreten.

Wenn er die Aktien seines Vaters erbt, wird Peter Daniell - ein Einzelkind - die grösste Einzelbeteiligung innerhalb der vierten Familiengenration besitzen. Er war früher Lehrer an einer Waldorf-Schule und veröffentlichte 2012 ein Buch mit dem Titel «Es gibt noch mehr im Leben als Autos bauen». Der 42-Jährige hatte sich zuletzt stärker eingebracht. In den vergangenen zwei Jahren ist er in den Aufsichtsrat von Skoda eingetreten, engagierte sich bei einer Stiftung der VW-Gewerkschaften und beriet Porsche Design.

Stärkste Stimme bei VW verloren

Er stehe hinter dem Unternehmen, absolut, sagte Peter Daniell in Salzburg, von wo aus er seine Investments verwaltet. Doch er werde seinen eigenen Stil verfolgen.

Die Familie hatte vor einem Jahr ihre stärkste Stimme bei VW verloren, als Wolfgang Porsches Cousin Ferdinand Piëch aus dem Aufsichtsrat austrat - nach mehr als zwei Jahrzehnten als führende Kraft bei Volkswagen, in denen er dazu beigetragen hat, VW zum weltgrössten Autohersteller zu machen. 1993 war er zunächst Konzernchef bei VW geworden, bevor er 2002 den Posten des Aufsichtsratschefs übernahm.

Frustrierter Ferdinand Piëch

Im April vergangenen Jahres hatte der 79-jährige Piëch einen Machtkampf mit den damaligen CEO Martin Winterkorn verloren, der fünf Monate später wegen des Abgasskandals selbst seinen Hut nehmen musste.

Piëch ist frustriert wegen des Umgangs der Familie mit der Diesel-Krise und bleibt den meisten Personen auf beiden Seiten des Klans gegenüber entfremdet, wie Leute, die ihn kennen, berichten. Er selbst wollte keine Stellungnahme abgeben.

Vier Sitze im Aufsichtsrat

Mit Piëch am Spielfeldrand steht Porsche jetzt alleine an der Spitze der Familie, wobei er in dieser Rolle wenig unternommen hat. Die Familie verfügt derzeit über vier Sitze im 20 Personen umfassenden Aufsichtsrat, zwei Vertreter sind aus der vierten Generation: Ferdinand Oliver Porsche, 55, und Louise Kiesling, 58, die Nichte von Ferdinand Piëch.

Die aktuelle Generation «hat so lange im Sattel gesessen, dass die junge Generation nicht wirklich auf Hochtouren kommen kann», meinte Marc-Michael Bergfeld, ein Professor, der sich an der Munich Business School auf Familienfirmen konzentriert. «Die Nachfolge hätte vor fünf bis zehn Jahren vorbereitet werden sollen.»

Anreize am Unternehmen festzuhalten

Um angesichts der wachsenden Anzahl an Familienmitgliedern eine gewisse Stabilität zu gewährleisten, haben die Patriarchen des Klans Strukturen geschaffen, die den Nachwuchs dazu ermutigen, am Unternehmen festzuhalten.

Im Jahr 2007 übertrug Ferdinand Piëch seinen Anteil von rund 13 Prozent an der Porsche Holding an zwei Stiftungen ausserhalb der unmittelbaren Reichweite seiner Kinder und führte eine Klausel ein, die verlangt, dass neun der zwölf einem Aktienverkauf zustimmen müssen. Auf der Porsche-Seite der Familie muss jeder, der veräussern möchte, die Anteile zunächst Verwandten mit einem Rabatt anbieten.

«Wenn einer oder zwei verkaufen, ist das kein Problem. Doch wenn vier oder fünf Mitglieder verkaufen wollen, wird die Familie nicht genug haben, um sie auszubezahlen - und sie müssten sich an externe Investoren wenden», sagt Tom Rüsen, Direktor am Wittener Institut für Familienunternehmen. «Sie betrachten sich vielleicht als einfache Investoren und sehen den Anteil weniger als ihr Schicksal, das sie an ihre Kinder weitergeben.»

(bloomberg/ccr)