Bei der Raiffeisen beginnt eine neue Ära: Der scheidende CEO Pierin Vincenz wird vom umtriebigen Triathleten Patrik Gisel ersetzt. Der Neue setzt auf Wachstum. Die verwalteten Vermögen sollen sich verdoppeln, gleichzeitig plant er den Ausbau des Firmenkundengeschäfts. Dafür setzt er auf ein langjähriges Credit-Suisse-Pferd: Urs Gauch.

Derzeit hat die Raiffeisen zu einem Drittel der Schweizer Firmenkunden eine Beziehung, deckt aber erst rund zehn Prozent des Kreditvolumens ab. Wie Gauch in der Schweiz wachsen will, warum eine Expansion ins nahe Ausland «verbranntes Geld» wäre und weswegen er nach drei Jahrzehnten mit der CS brach – darüber spricht er im Interview mit Handelszeitung.ch.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Herr Gauch, 30 Jahre lang hielten Sie der Credit Suisse die Treue, nun wechseln Sie in die Geschäftsleitung von Raiffeisen. Sind Sie bei der CS in eine Karriere–Sackgasse geraten?
Urs Gauch*: Sackgasse ist das falsche Wort. Als der Leiter des Bereichs Corporate & Institutional Business – Barend Fruithof – ging, wurde das Team neu aufgestellt. Als Folge wurde ich «Senior Advisor». In dieser Funktion habe ich Grosskunden und wichtige Projekte betreut. Das war spannend, mir fehlten einfach zwei Sachen: Linienverantwortung, also die Verantwortung für ein Geschäftsfeld, und Führungsverantwortung.

In der Branche heisst es, Sie wurden zurückgestuft. Wie empfinden Sie das?
Rein hierarchisch war es kein Rückschritt. Aber ich hatte keine Führungsverantwortung mehr. Vorher führte ich als Leiter KMU Schweiz ungefähr 550 Personen.

Barend Fruithof wechselte zu Bär in die Geschäftsleitung, Sie zu Raiffeisen. Fruithof galt als populär, Ihnen wird CS-intern ebenfalls nachgesagt, ein «herausragender Leader» zu sein. Warum war Ihr Weg bei der Credit Suisse nach oben hin zu?

Es ist normal, dass eine Karriere nicht linear nach oben führt, sondern irgendwann leicht abflacht. Für mich kam der Punkt einfach zu früh. Ich bin der Meinung, dass ich bei der CS einen guten Job gemacht habe, dass ich gute Resultate geliefert habe, für die Bank und für die Kunden. Wenn Sie mich im Januar gefragt hätten, ob ich in fünf Jahren noch bei der Credit Suisse arbeiten werde, hätte ich die Frage mit «Ja» beantwortet.

Dann kam die Reorganisation?
Richtig.

Sie waren jetzt 30 Jahre dabei. Kann es auch sein, dass sich die Bank derart gewandelt hat, dass Sie nicht mehr zur Credit Suisse passen?
Die Bank ist sicherlich im Wandel. Klar, vor 30 Jahren war es ein anderes Business. Aber das war nicht ausschlaggebend.

Ist der Wechsel zu Raiffeisen eine Flucht in die Zukunft?
Der Wechsel zu Raiffeisen ist keine Flucht, sondern eine grosse Chance, Linien- und Führungsverantwortung in einem herausfordernden Umfeld zu übernehmen, denn die Gruppe mit ihren rund 300 Raiffeisenbanken und der Genossenschaftsstruktur ist viel dezentraler organisiert als die Credit Suisse, gleichzeitig werden wichtige Dossiers – darunter auch das Firmenkundengeschäft – zentral gelenkt.

Raiffeisen ist relativ neu im Firmenkundengeschäft. Der neue CEO Patrik Gisel hat das Departement im Mai 2015 aufgebaut. Müssen Sie noch Pionierarbeit leisten?
Pionierarbeit muss ich nicht leisten. Patrik und seine Leute haben schon viel gemacht. Es hat ein gutes Fundament. Jetzt gilt es, die Schwerpunkte für die nächsten fünf Jahre richtig zu setzen, damit wir die Stärken der Raiffeisenbanken gezielt ausspielen können. Meine Vision ist, dass Raiffeisen in fünf Jahren nicht mehr nur mit Hypotheken oder Privatkunden assoziiert wird. Wenn Sie «Raiffeisen» hören, müssen Sie auch gleich sofort «Firmenkundengeschäft» denken.

Welche Stärken der Raiffeisen wollen Sie ausspielen?
Die Bank hat eine grossartige Marke. Erst vor kurzem wurde sie wieder als das vertrauenswürdigste Finanzinstitut ausgezeichnet. Das ist ein grosser Unterschied zur Credit Suisse.

Die CS ist keine Top-Marke?
Doch, aber mit der Credit Suisse sind nicht dieselben Attribute verbunden. Raiffeisen steht für Bodenständigkeit.

Ist das die einzige Stärke, auf die Sie beim Ausbau des Firmenkundengeschäfts setzen?
Die Bank hat auch ein riesiges Vertriebsnetz: 300 Genossenschaftsbanken, über 1000 Geschäftsstellen – damit können wir quasi jeden Gewerbetreibenden in jedem Dorf erreichen. Ausserdem hat sich Raiffeisen strategisch auf den Schweizer Markt fokussiert.

Die Fokussierung aufs Inland kommt aber auch mit gewichtigen Nachteilen. Hat man sich da Ketten angelegt, die man abschütteln muss?
Raiffeisen fokussiert sich auch in Zukunft auf die Schweiz, denn im hiesigen Markt gibt es noch viele Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Dazu kommt: Ins Ausland sollte man nur, wenn man eine klare Value Proposition hat, die eine USP darstellt. Wenn Raiffeisen zum Beispiel einfach nach Deutschland ginge, um Hypotheken zu vergeben, in Konkurrenz zu den lokalen Sparkassen, dann wäre das wohl verbranntes Geld.

Die Fokussierung aufs Inland hat aber auch dazu geführt, dass die Kostenstruktur relativ hoch ist. Kommt bald das grosse Raiffeisen-Outsourcing?
Da muss ich ehrlich sagen: Das weiss ich nicht. Wir sind eine Schweizer Bank für Schweizer Kunden. Ich bin deshalb überzeugt, dass Raiffeisen nicht im gleichen Masse wie die Grossbanken Jobs ins Ausland verlagern wird.

Wo liegen denn die Vorteile einer Schweiz-Strategie im Firmenkundengeschäft?
Der Auf- und Ausbau des Firmenkundengeschäfts hat bei Raiffeisen hohe Priorität. Dadurch gibt es weniger Diskussionen zwischen Regionen und Einheiten.

Auch nicht mit der Notenstein?
Nein, ich habe keine Angst, dass es einen Ressourcenstreit geben wird.

Patrik Gisel hat aber verschiedentlich betont, dass er die verwalteten Vermögen verdoppeln will. Gleichzeitig wollen Sie im Firmenkundengeschäft massiv zulegen. Alles ohne Ressourcenstreit. Ist das realistisch?
Um im Private Banking stark zu wachsen, braucht es sicherlich Zukäufe. Aus eigener Kraft wird das relativ schwierig. Denn wir verwalten bei der Notenstein heute rund 20 Milliarden Franken. Wenn wir also ein organisches Wachstum von – sagen wir – fünf Prozent anstreben, dann sind das 1 Milliarde Franken Net New Assets pro Jahr. Das reicht nicht für eine Verdoppelung.

Und wie steht es um das Firmenkundengeschäft? Gibt es da schon Ziele, Erwartungen?
Wir haben bisher noch keine Ziele betreffend Kreditvolumen oder ähnlichem festgelegt. Bewusst nicht. Wir wollen hier qualitativ wachsen.

Können Sie eine Zahl nennen?
Nur so viel: Zu einem Drittel der Schweizer Firmenkunden haben wir bereits eine Beziehung. Wir decken aber erst rund zehn Prozent des Kreditvolumens ab. Da gibt es also Potential, um bei den bestehenden Kunden das Geschäft auszubauen. Ich denke hier an einen Ausbau des Devisengeschäfts, des Leasing-Business und des Zahlungsverkehrs.

Werben Sie CS-Kunden ab?
Ich werde sicher versuchen, alle Firmen für Raiffeisen zu begeistern. Ich bin überzeugt, dass sich mit der Marke, dem Produkte- und Dienstleistungsangebot und den motivierten Mitarbeitenden das Firmenkundengeschäft erfolgreich weiterentwickeln lässt.

Werden Sie bei der Raiffeisen ein bisschen CS-Wind mitbringen?
Was ich sicherlich nicht machen will, sind fertige CS-Lösungen zu Raiffeisen zu bringen. Die Banken sind dafür zu unterschiedlich. Und auch die Kunden. Die CS hat vor allem grosse Firmen, Raiffeisen dagegen sehr viele KMUs.

Es gibt also keinen Strategie-Import, kein Überstülpen einer bestehenden Idee?
Überstülpen? Nein, sicher nicht. Es geht nicht darum, aus Raiffeisen eine CS zu machen, sondern darum, die Stärken von Raiffeisen im Firmenkundengeschäft richtig zu spielen.

Bringen Sie CS-Mitarbeiter nach St. Gallen?
Ich treffe in St. Gallen auf ein gut aufgestelltes Team, mit dem ich das Firmenkundengeschäft weiter ausbauen will. Es hat auch Ex-CS-Mitarbeitende dabei. Manche von denen haben mir im Vorfeld bereits eine E-Mail oder ein SMS geschrieben und mich willkommen geheissen.

Unterm Strich: Kann man sagen, dass Sie Raiffeisen zur neuen CS-Konkurrenz aufbauen?
Ich habe Raiffeisen auch früher immer als Konkurrenz gesehen. Wir haben sehr darauf geachtet, was die Bank macht.

Ein Beispiel?
Als Raiffeisen das Unternehmerzentrum RUZ gegründet hat, haben wir ganz genau hingeschaut.

Lohnt der Wechsel zu Raiffeisen eigentlich aus finanzieller Sicht?
Mein Salär stand beim Entscheid nicht im Vordergrund. Für mich war die spannende Aufgabe in einem herausfordernden Umfeld bei einem dynamischen Unternehmen der entscheidende Punkt.

Eine letzte Frage: Sie sagten, dass sie anfangs Januar sofort «Ja» gesagt hätten, wenn Sie gefragt worden wären, ob Sie in fünf Jahren noch bei der CS sein werden. Daher: Sind Sie sicher, dass Sie in fünf Jahren noch bei Raiffeisen sind?
Ja, davon bin ich überzeugt.

 

* Urs Gauch ist seit dem 1. Oktober Leiter des Firmenkundengeschäfts bei Raiffeisen Schweiz und Mitglied der achtköpfigen Geschäftsleitung. Er übernimmt die Führung von Patrik Gisel, der Pierin Vincenz als CEO beerbt.