Vor mehr als 30 Jahren kreierten französische Epidemiologen den Begriff des «French Paradox» und meinten damit die bemerkenswerte Tatsache, dass Franzosen trotz reichlichem Konsum von fetten Gänsen, Käse und Gauloises deutlich weniger Herzinfarkte erlitten und am Herztod verblichen als Finnen oder Schweden. Zur Freude vieler Hedonisten führten sie dies auf den regelmässigen Konsum von Wein zurück: Das French Paradox war geboren.

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Inzwischen ist der günstige Effekt moderaten Alkoholkonsums auf Herz und auch auf Geist – bessere Denkfunktionen im Alter wurden von Forschern der Universität Bordeaux bei Geniessern von Wein aus dem Bordelais dokumentiert – in zahlreichen Studien eigentlich zweifelsfrei nachgewiesen.

Heute wird nun diskutiert, ob ausschliesslich Rotwein Nutzen bringe und welcher am meisten, ob Weisswein es auch tue und ob allenfalls Bier oder Gebranntes auch gesundheitsfördernd seien. Selbst einzelne aufgeschlossene Schweizer Herzspezialisten halten heute Alkoholabstinenz für gefährlich fürs Herz. Die Faustregel, dass dem Mann ein bis drei Gläschen pro Tag gut tun und der Frau eines – die genetisch determinierte geringere Alkoholtoleranz der Frauen ist das einzig mir bekannte Gebiet, auf dem wir den Frauen überlegen sind –, darf als weise klassiert werden.

Aber auch andere Produzenten wollen unsere Tische bereichern und etwas für unsere Gesundheit tun. Kreta führt das kretische Paradox auf seine besonders gesunden Oliven zurück, das spanische basiert auf spanischen Fischen, Meeresfrüchten und Rioja, und selbst die Albaner leiten aus ihrer Hungerdiät ein gesundes Paradox ab.

Diskussionen über Getränk und Diät wurden schon immer mit fundamentalistischer Überzeugung geführt, und so toben nun um zwei der drei schönsten Dinge des Lebens weltanschauliche Schlachten. Die Ayatollahs des Grünzeugs kämpfen gegen die Bischöfe von Fleisch, Cholesterin und Fett – anfänglich vielleicht aus purer Überzeugung, zunehmend aber gestützt von milliardenstarken Interessengruppen. So publizierte «Time» im Jahre 2002 im Abstand von acht Monaten zwei Titelgeschichten: Die erste empfahl Tomaten und Broccoli, in der zweiten wurde für Steaks und Fett eine Lanze gebrochen. Und was «Time» recht ist, ist der «Weltwoche» und der «Glückspost» billig; die Lobbyisten auf dem Tummelfeld der Diätnarren werben um Jünger wie sich konkurrenzierende christliche Sekten um afrikanische und philippinische Seelen.

Hier sollten nun Schweizer Bergbauern und Sennen aktiv werden, denn neuerdings gibt es auch ein Swiss-Alpine-Paradox: Schliesslich erreichen viele unserer Bergbauern frei von Herzschmerzen ein gesegnetes Alter, und dafür soll laut Studien der Alpkäse verantwortlich sein. Christa Hauswirth, Martin Scheder und Jürg Beer aus Baden analysierten die Fettsäurezusammensetzung verschiedener Käse. Im Alpkäse aus der Gegend von Gstaad fanden sie die höchste Konzentration jener Omega-3-Säure, die vor Herzinfarkt, plötzlichem Tod und anderen Leiden schützt. Denn die glücklichen Gstaader Alpkühe – und wir dürfen getrost annehmen: auch jene aus Andermatt, La Punt und Grindelwald – weiden in Höhen über 2000 Meter und werden, der Schneeschmelze folgend, immer höher getrieben. Die Kräutlein, die sie dort fressen, sind voll der segensreichen Fettsäure, und so entstehen gesunde Milch und gesunder Alpkäse. Die Panazea gegen Herz- und Hirntod sprosst viel weniger im Emmental, und darum ist auch dieser Käse nicht so gesund, und vor Cheddar muss man gar warnen. Es kommt eben darauf an, was unsere Kühe fressen und wo sie dies tun.

Einer, der von solch einheimischen Produkten lebte, war der legendäre Zermatter Bergführer Ulrich Inderbinen. Bekanntermassen bestieg er noch mit 90 Jahren das Matterhorn und führte bis zu seinem 95. Altersjahr seine Gäste auf Viertausender, bevor er schliesslich mit 104 Jahren einen sanften, guten Tod starb. Seine Nachfahren haben mir versichert, dass er schon früh auf den Walliser Hochalpen arbeitete und dass er sich zeitlebens am heimischen Alpkäse, am Fendant und am Dôle erfreute.

Verbringen Sie also diesen Sommer in den heimischen Hochalpen, und nehmen Sie sich einige Käselaibe in die nebligen Tiefen mit für Ihren Genuss, für Ihre Gesundheit und für die Schweizer Alpwirtschaft!